Viel besser als ihr Ruf

Bei wem in Thüringen ein Regionalexpress vor der Tür hält, kann die Eisenbahn nicht nur eine Alternative zum Pendeln mit dem Auto sein: Bahn fahren in Thüringen ist oft sogar ziemlich komfortabel. Das gilt vor allem seit Einführung des Deutschlandtickets vor drei Monaten.

Auf den Hauptstrecken läuft es meistens

 

Gibt es ein Unternehmen, über das sich mehr aufgeregt wird als über „Die Bahn“? Ich bin in Thüringen seit 9-Euro- und Deutschland-Ticket ziemlich häufig auf verschiedenen Bahnstrecken unterwegs und kann in den Kanon der Dauernöler so nicht mit einstimmen. Vor allem auf den Hauptstrecken von und nach Erfurt läuft meistens alles reibungslos. Zu den Stoßzeiten kommt man sich zwischen Erfurt, Weimar und Jena zwar vor wie die von Rio Reiser besungene Ölsardine, aber das ist angesichts von nur 30 Minuten Fahrzeit und guter Taktung zu verschmerzen. Auch nach Suhl (45 Minuten) oder Ilmenau (48 Minuten) kann der Regionalexpress sehr wohl eine echte Alternative zum Auto sein.

 

Eisenbahnromantik auf den Nebenstrecken

 

Probleme gibt es vor allem bei den Dauerinsolventen Holländern von Abellio und zwischen Erfurt und Nordhausen. Hier sucht die Bahn, wie in allen Bereichen, händeringend Personal. Oft vergeblich und so bleiben Stellwerke manchmal unbesetzt, Busse müssen ran. Zweigt man von einer Haupt- auf eine Nebenstrecke ab, z. B. von Zella-Mehlis ins schmucke Fachwerkstädtchen Schmalkalden, dürften Fans von Eisenbahnromantik vor Freude jauchzen. Man zuckelt vorbei an zugewucherten Haltepunkten im Grünen und unbeschrankten Bahnübergängen, wo nur die moderne Kunstrasen-Sport-Anlage an das 21. Jahrhundert zu erinnern scheint. Aber im Gegensatz zu den alten Formsignalen im Bahnhof von „Schmalle“, sind unbeschrankte Bahnübergänge, wo der Zug auf Schrittgeschwindigkeit herunter bremsen muss, nur schön für Nostalgiker, aber Mist für alle, die pendeln müssen. Trotzdem ist der Triebwagen der Süd Thüringen Bahn, eine Tochter der kommunalen Erfurter Bahn, in Stoßzeiten gut gefüllt: mit Studierenden der FH, die sogar einen eigenen Bahnhof hat und mit Senior*innen. Oft sieht man in den Zügen herzliche Begegnungszenen und dann wird sich freudig erzählt, wo man schon überall, dank Deutschland-Ticket, gewesen ist. Meistens sind die älteren Damen und Herren auch so clever, nicht zu den Stoßzeiten zu fahren. Dann ist Zugfahren, egal ob Erfurter Bahn oder DB Regio, meistens ziemlich entspannt. Daran ändern auch die offenbar durch das Deutschlandticket gestiegenen Fahrgastzahlen nichts.

 

Bis zu 25 Prozent mehr Fahgäste durch Deutschlandticket

 

Bundesweit ist nach drei Monaten Deutschland-Ticket klar: Es lockt mehr Fahrgäste an. Über 11 Millionen wurden bislang verkauft. In den Nahverkehrszügen der Deutschen Bahn ist laut DB-Regio-Chefin Evelyn Palla die Zahl der Fahrgäste um rund ein Viertel gestiegen. Im Juni sei die Anzahl der Fahrgäste sogar um 25 Prozent höher gewesen als noch im April. Die Fahrgäste in Regionalzügen der DB hätten zudem deutlich längere Strecken zurückgelegt; besonders die Ausflugsrouten Richtung Meer und Berge seien in der Ferienzeit sehr beliebt. In manchen Regionen sind die Menschen sogar so viel unterwegs wie im „9-Euro-Sommer“. Angesichts von Ankündigungen aus dem FPD geführten Verkehrsministerium den Preis des Deutschland-Tickets anzuheben, appellierte sie an Bund und Länder, den monatlichen Preis von 49 Euro dauerhaft stabil zu halten. Die DB Regio wünsche sich, dass der Preis weiterhin leistbar bleibe und vielen Menschen Zugang zu täglicher Mobilität ermögliche. Aber nicht alle ziehen ein so positives Fazit. Für den Ehrenvorsitzenden des Fahrgastverbands Pro Bahn, Karl-Peter Naumann, ist das Ticket kein wirklich großer Erfolg. Ein großer Teil der Neukunden habe das System ohnehin zwischendurch genutzt, etwa mit Tageskarten und Einzelfahrscheinen, sagte Naumann der „Rheinischen Post“.  „Dass man wirklich Menschen in großen Mengen von der Straße in den öffentlichen Personennahverkehr gelockt hat, ist nicht passiert.“ Gleichwohl sei das Deutschlandticket für viele Menschen eine deutliche Verbesserung, weil die Nutzung des ÖPNV billiger und einfacher geworden ist. Das Hauptproblem bleibt nach Naumanns Einschätzung jedoch, dass viel Geld in eine Tarifsubvention gesteckt werde, statt in den Ausbau.

 

Zügen zwischen Jena und Erfurt schon immer rappelvoll

 

Auch in Thüringen hat das Deutschlandticket beim größten Verkehrsverbund VMT – einem Zusammenschluss von 15 Verkehrsunternehmen – eine Rekordzahl an Abonnent*innen gebracht Die Zahl war schon im Juni auf 70.000 angestiegen. Rund 45.000 Menschen seien aus alten Abo-Verträgen auf das Deutschlandticket umgestiegen. Auch die Jenaer Nahverkehrsgesellschaft hat über 30.000 Deutschland-Tickets verkauft. Die Auslastung der Busse und Bahnen hat dementsprechend deutlich zugelegt, wenn auch nicht so stark wie nach der Einführung des 9-Euro-Tickets. Die Züge sind deutlich voller geworden, leider zum Teil so sehr, dass Leute nicht mehr in die Züge kämen. Allerdings waren die Züge zwischen Erfurt und Jena auch schon vor Einführung des Tickets oft rappelvoll. In ländlichen Regionen hingegen sind die Busse nach wie vor nicht komplett ausgelastet, weil das Angebot einfach so gering ist, dass es kaum Umstiegseffekte durch das Deutschlandticket gibt. Trotz insgesamt guter Bilanz bleibt also noch viel zu tun. Das gilt auch für das Thüringer Verkehrsministerium. Vor allem um die Mobilität der ärmsten in der Gesellschaft wie versprochen „zu garantieren“, wäre eine Art neues Thüringen-Ticket, was nur im Freistaat gültig ist, aber nochmal deutlich günstiger ist, ein Riesending. Ein 29-Euro-Ticket, wie es Rot-Rot-Grün in Berlin einführen wollte, bevor die CDU wieder den Oberbürgermeister stellte, wäre so eine Idee. Vielleicht ja auch für den Thüringer Wahlkampf im nächsten Jahr.