Mit mehr Demokratie gegen die Klimakastrophe
Die Klimakrise wird im Rekordsommer 2022 immer offensichtlicher. Damit Politik und Verwaltungen endlich handeln, setzen Klima-Aktivist*innen jetzt verstärkt auf Bürgerbegehren mit konkreten, umsetzbaren Forderungen.
In 10 Jahren von 57 Maßnahmen nur 9 umgesetzt
Klimaschutz in Erfurt: Vor 10 Jahren hatte die Stadt mal einen, für die damalige Zeit sogar sehr ambitionierten Maßnahmenkatalog vorgelegt, sagt Stefan Meier vom Klimaentscheid Erfurt ganz ohne Ironie. Aber seit dem hat der Kampf gegen die Klimakrise weltweit deutlich Fahrt aufgenommen. Und die Bilanz der Landeshauptstadt sieht leider ziemlich mau aus: Von 57 Maßnahmen wurden in 10 Jahren lediglich 9 erfolgreich durchgeführt. 12 wurden überhaupt nicht umgesetzt. Für 3 liegen keine Infos vor und 31 sind „in Bearbeitung“. Wobei das wohl nur heißt, dass mal irgendein Bürokrat den Aktendeckel aufgeklappt hat. Gleichzeitig kommen die Einschläge der Klimakrise immer näher. Im Elbsandsteingebirge brennen seit Wochen die Wälder. Tagelange Temperaturen weit über 35 Grad und fast kein Regen. Alarmierend ist ein Blick auf die Jahresmittelwerte der Thüringer Lufttemperatur: 1,4 Grad liegt die im Zeitraum von 1988 bis 2018 über dem vorindustriellen Schnitt. Das belegen Daten der Thüringer Energie- und GreenTech-Agentur unzweifelhaft. Auf der Klimakrisen-Uhr ist es kurz vor zwölf.
Bürgerentscheid als Initiative des Bündnisses für Klimagerechtigkeit
Um die Politik zum raschen Handeln zu zwingen, setzen die Klimaschützer*innen jetzt auf die Karte mehr Demokratie. Am 1. August wurde vor der malerischen Kulisse der Barfüßerruine der Klimaentscheid Erfurt gestartet. Der Bürgerentscheid ist eine Initiative des Bündnisses für Klimagerechtigkeit Erfurt, mehr als zwei dutzend Organisationen angehören. Dabei geht es um diese Ziele:
1. Klimaneutralität bis 2035
2. Unverzügliche Erstellung eines Klima-Aktionsplans zur Erreichung der Klimaneutralität
3. Ein Klima-Rat wird gegründet und überprüft jährlich die Zielerreichung.
In Jena hat der Stadtrat die Forderungen des Klimaentscheid nach zwei Wochen übernommen
Damit sich der Stadtrat damit beschäftigen muss, werden binnen 4 Monaten mindestens 7.000 Unterschriften benötigt. Angesichts der über 12.000 Unterschriften, die vor zwei Jahren für das Bürgerbegehren Radentscheid gesammelt wurden, scheint das keine übermäßig große Hürde. In Jena hat sich der Stadtrat schon im Juli 2021 entschieden, die Forderungen des Klimaentscheids zu übernehmen – nur zwei Wochen nach Beginn der Unterschriftensammlung.
Die Frage ist aber, welche Maßnahmen können Städte wie Erfurt oder Jena zeitnah überhaupt umsetzen? In Jena ist der Aktionsplan dafür schon fast fertig und soll am 7. September im Historischen Rathaus öffentlich vorgestellt werden. Dafür wurde extra das professionelle Planungsbüro target GmbH beauftragt. Von April bis Ende Juni konnten alle Bürger*innen für das Erreichen der Klimaneutralität bis 2035 Vorschläge unterbreiten. Ein 60-Seiten starkes Dokument auf klimaentscheid-jena.de belegt, wie rege davon Gebrauch gemacht wurde.
Maßnahmenkatalog im September
Möglichkeiten gibt es bei genauer Betrachtung viele: Fassaden müssen im großen Stil mit Photovoltaik und Balkonkraftwerken bestückt werden. Statt Parkplätzen für immer fettere Autos braucht es Platz für Bäume und Grünanlagen. Radwege, Bus und Bahn müssen massiv ausgebaut werden. Schluss mit Wüsten aus Schottergärten, Tempo 30 innerorts. Deutlich teureres Anwohnerparken, dafür echte Sozialtickets für Bus und Bahn. An Ideen mangelt es nicht. Auch, wenn davon viele erst mal nicht begeistert sein werden, es wird, es muss kommen.
Aber selbst, wenn solche lokalen Maßnahmen zum Klimaschutz Wirkung entfalten, Robert Pauli vom Klimaentscheid Jena sieht auch die Grenzen der Lokalpolitik: „Es muss weiter Druck auf die Bundesregierung ausgeübt werden, um entsprechende Rahmenbedingungen für effektiven Klimaschutz und besonders für schnelle Umsetzung zu schaffen.“ Hierfür setzt Pauli auch auf die Organisation „GermanZero“. Mit über 1.000 ehrenamtlich organisierten Bürger*innen unterstützen sie lokale Klimaentscheide. Die meisten in Baden-Württemberg (19) und Bayern (12). GermanZero zeigt außerdem, dass viele Kommunen bereits Vorreiterrollen eingenommen haben. So wächst der Handlungsdruck auf die Bundesregierung.
„Wenn wir es nicht können, wer dann?“
Wobei gerade auf Jena, als ostdeutsche Stadt mit einem positiven Image, auch eine wichtige Symbolfunktion zukommt. Friedrich Herrmann, Deutscher Meister im Poetry Slam 2019 aus Jena drückt, es so aus: Seit ich 10 bin, lebe ich in Jena und war in dieser Zeit aus verschiedenen Gründen stolz auf diese Stadt. Wegen ihrem antifaschistischen Widerstand, wegen ihrer Bürgernähe, wegen ihrer Wandelbarkeit, wegen ihrem gelungenen Mix aus Tradition und Moderne. Wenn Jena der Leuchtturm des Ostens bleiben will, ist die Klimaneutralität 2035 unerlässlich. Wenn wir es nicht können, wer dann?“
th