Mehr als nur Party
Der Christopher Street Day hat sich in Thüringen zu einem „Protest mit Verfassungsrang“ entwickelt. Doch die Party-Stimmung verstellt nicht den Blick auf das politisch wesentliche: denn solange Vorurteile Mitmenschen benachteiligen, Diskriminierung Menschen in Angst leben lässt, braucht es die laute Stimme für eine weltoffene Gesellschaft.
Beim Sommerfest der Erfurter LINKEN flog die Tür auf und herein stürmten zwei gute gelaunte junge Menschen, die direkt von der großen CSD-Sause kamen. Die Reaktion: PSSST, hier reden Parteifunktionäre. Das Bild steht nicht nur symbolisch für den Zustand der Linkspartei, sondern auch ein bisschen für den Umgang mit dem Christopher Street Day bei einigen Genoss*innen. Denn bei manchen Älteren hört man mehr oder weniger offen, dass sei „Gedöns“ und es würde „ja nur noch um so was“ gehen.
Das lässt sich leicht widerlegen. Schaut man auf die Webseite des Landesverbandes unter Pressemitteilungen, findet sich dort keine einzige der zehn aktuellen zum Thema „Gender“ oder Identitätspolitik. Trotzdem hält sich der Vorwurf genauso hartnäckig wie der, es würde beim CSD ausschließlich nur noch um Party gehen. UNZ war wie immer bei der großen Demo am 2. September durch Erfurt dabei und hat ziemlich viel politischen Inhalt gesehen. Und warum sollte der nicht auch gut gelaunt, in Farbe und bunt präsentiert werden?
Zum Feiern gibt es durchaus gute Gründe. Über die Jahre ist der CSD in Thüringen schließlich kräftig gewachsen. Neben Erfurt kommen auch in Jena und Weimar jedes Jahr Tausende und sogar in Eisenach, Gotha und Altenburg haben schon Paraden stattgefunden oder sind in der Planung. Die Größte hat natürlich die Landeshauptstadt. Mindestens 5.000 waren es in diesem Jahr. Noch größere Demos gibt es höchstens von oder gegen einen gewissen braunen Bernd. Die eigentliche Zahl dürfte aber ohnehin weit höher liegen. Denn nicht alle laufen zwei Stunden bei hochsommerlichem Wetter sozusagen mit kreuz- und queer durch die ganze Stadt. Und neben der Demo tummelten sich auch viele auf dem großen Straßenfest direkt vor dem Anger 1. Welche Bedeutung der CSD mittlerweile völlig zu Recht einnimmt, zeigt sich am Besuch Birgit Pommers (LINKE). Obwohl gleichzeitig der Tag der offenen Tür im Landtag zelebriert wurde, ließ es sich die Landtagspräsidentin als „stolze Schirmfrau“ nicht nehmen, persönlich zu erscheinen – nicht bloß fürs Foto und kurze Grußworte, sondern um das Fronttranspi durch die Stadt zu tragen. Denn: „Solange Vorurteile Mitmenschen benachteiligen, solange Diskriminierung Menschen in Angst leben lässt, braucht es eine laute Stimme für die Grundwerte unserer Gemeinschaft. Der CSD ist bunt, laut und weithin sichtbar. Er steht für eine weltoffene Gesellschaft. Sein Protest hat Verfassungsrang.“
Das sieht auch der Ministerpräsident so. Bodo Ramelow lässt seit 2015 die Regenbogenfahne sogar vor der Staatskanzlei hissen. Aber unter Rot-Rot-Grün gibt es auch mehr als nur symbolische Erfolge. Das 2021 eröffnete queere Zentrum in Erfurt ist ein Beleg dafür. Sollte die CDU oder gar die Nazis von der AfD in Thüringen an die Regierung kommen, wird es diesen wichtigen Ort der Hilfe und Beratung bald nicht mehr geben. Entsprechend viele Schilder mit Sprüchen wie „CSD statt AfD“ oder „kein Sex mit Nazis“ waren zu sehen.
Birgit Pommer bringt es auf den Punkt: „Es bleibt die Aufgabe aller Demokrat*innen, sich gegen Ausgrenzung und Diskriminierung zu stellen. So lange Hassverbrechen immer wieder geschehen, so lange muss unser Engagement dauern.“