"Die größte Armut der Kinder ist fehlende Kultur"

1936 in Nürnberg geboren, Studium der Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie, Promotion – ein interessantes, aufregendes Leben mit vielen verantwortungsvollen Herausforderungen als Journalistin im In- und Ausland, zuletzt als Chefredakteurin des Hessischen Fernsehens, zahlreiche Auszeichnungen. Und dann noch für DIE LINKE. Thüringen in den Bundestag ...

1936 in Nürnberg geboren, Studium der Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie, Promotion – ein interessantes, aufregendes Leben mit vielen verantwortungsvollen Herausforderungen als Journalistin im In- und Ausland, zuletzt als Chefredakteurin des Hessischen Fernsehens, zahlreiche Auszeichnungen. Und dann noch für DIE LINKE. Thüringen in den Bundestag . . . 

 

2001 ging Luc Jochimsen in den wohlverdienten Ruhestand. Jahrelang hatte sie mit ihrem Mann eine Pendlerehe geführt, war beruflich viel unterwegs. Wie würde das jetzt werden? Sie packte eine große Bücherkiste und zog sich mit ihrem Angetrauten nach Italien zurück. (Dort gibt es ein Anwesen, wo drei befreundete Familien Ruhe und Entspannung finden). Sie genoss es, endlich mal Zeit für sich und ihre Bücher zu haben, beschäftigte sich mit der Antike, las sich wieder in die Mythologie der griechischen und germanischen Götter ein, nahm erneut Dostojewski zur Hand, erfreute sich des angenehmen Klimas sowie der italienischen Mentalität und fand es einfach schön. Bis eines Tages Dietmar Bartsch anrief, und ihre Gedankenwelt durcheinander wirbelte. Er wollte wissen, ob sie sich vorstellen könne, 2002 als unabhängige Spitzenkandidatin für die PDS in Hessen in den Wahlkampf zu ziehen. 

 

„Das war ein Moment wie ein Stromstoß. Damit habe ich nicht gerechnet und mir war klar, das würde mein jetziges Leben auf den Kopf stellen. Ich habe mit meinem Mann gesprochen,  wir redeten uns die Köpfe heiß, überlegten hin und her und kamen dann zu dem Schluss: Warum eigentlich nicht?“ 

 

 

So war es oft im Leben, dieser Frau: Wenn sie gefragt wurde, stellte sie sich neuen Herausforderungen. So war es auch, als sie eine neue Aufgabe als Chefredakteurin des Hessischen Fernsehens bekam. Eigentlich war sie mit ihrer damaligen Arbeit als ARD-Korrespondentin und Leiterin des ARD-Fernsehstudios in London sehr zufrieden, fühlte sich wohl in diesem Land, aber nach dem Angebot kamen ihre Gedanken nicht zur Ruhe. „Du kannst  nicht immer kritisieren, dass zu wenig Frauen in Leitungsfunktionen gerufen werden, und wenn du dann eine bekommst, kneifst du“. 

Als sie in Frankfurt/Main die neue Herausforderung angenommen hatte, fiel ihr auf, dass sich in der Bundesrepublik Jahre nach der Vereinigung kaum etwas verändert hatte. Kaum einer interessierte sich für den neuen Teil Deutschlands. Sie erlebte Bundestagsdebatten in Bonn, die sie zornig machten. Sie konnte nicht verstehen, wie man mit der PDS umging. Das hing wohl auch mit ihrer Korrespondentenzeit in London zusammen. Dort begegneten sich Politiker über alle Differenzen hinweg auf Augenhöhe. Man redete sich die Köpfe  heiß, aber ging respektvoll miteinander um. In der Bundesrepublik kam die PDS in Politik-Sendungen nicht einmal vor. Es hieß, das ist eine Regionalpartei, die sich von selbst erledigt. Das befriedigte Luc Jochimsen nicht. Schließlich war die CSU auch eine Regionalpartei. Klein beigeben war nicht ihr Ding, sie war streitbar, manchmal auch umstritten. Und sie hatte die Idee, für eine neue Politik-Sendung: „3, zwei, eins“ – drei Moderatoren, zwei völlig unterschiedliche Politiker, ein Thema. 

 

In den sieben Jahren dieser Sendung, die sie vorwiegend gemeinsam mit Hugo Müller-Vogg und Manfred Bissinger moderierte, lernte sie viele PDS-Politiker und Politikerinnen kennen. Oft kam es nach der Live-Sendung noch zu angeregten Gesprächen. Auch die Linken erfuhren mehr von ihr. Als sie dann gefragt wurde, ob sie für die PDS ins Parlament will, wollte sie nicht nein sagen. Als jemand, der immer im Westen gelebt hat, sich aber früher schon für die DDR interessierte, war diese Kandidatur eine Aufgabe der Einheit. Als die Partei bei der Bundestagswahl 2002 an der 5-Prozent-Hürde scheiterte, war für Luc Jochimsen die politische Tätigkeit zunächst abgeschlossen, nicht aber die Beziehungen zur PDS. Sie fuhr zu Parteitagen, pflegte Kontakte. Als sich dann 2005 der Thüringer Landesvorsitzende Knut Korschewsky erkundigte, ob sie es nicht noch einmal in Thüringen versuchen wolle, begann alles von vorn. 

Sicher, Thüringen war ihr nicht fremd. Über Gabi Zimmer hatte sie viele Kontakte dorthin. Sie war als Autorin zu Buchlesungen gewesen, war bei der „Herbstlese“ dabei, moderierte eine große Veranstaltung für Bodo Ramelow und hatte ja selbst 1981 einen Film über den 8. März und die Frauen in Erfurt und Umgebung gemacht. 

Linkes Denken war ihr nicht fremd. Ihr Vater war Atheist, kurze Zeit Mitglied der KPD, ihre Mutter war eine  gläubige Christin. In diesem Spannungsbogen entwickelten sich in der Familie viele Diskussionen, die auch sie prägten.

 

In diesem Jahr wurde sie zum zweiten Mal in Thüringen in den Bundestag gewählt. Mit 73 ist sie dort die älteste Frau. Sie will kämpfen – vor allem für die Beendigung des Krieges in Afghanistan. Das hat wohl etwas mit ihren eigenen Erfahrungen als Kriegskind zu tun. Sie war drei Jahre alt, als der II. Weltkrieg ausbrach und neun als er zu Ende war. In Düsseldorf wurde ihre Familie ausgebombt und sie selbst durch Phosphorbomben verbrannt und durch Splitter verletzt. So etwas vergisst man nicht. Deshalb hat sie immer ihre Stimme erhoben gegen den Krieg. Sie hat sich engagiert, als es darum ging, Erde vom Urnengrab der Pazifistin Bertha von Suttner von Gotha in den Bundestag zu holen und unterstützt DIE LINKE im Friedenskampf. Am 8. November beim Festakt für das neue Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin trug sie einen weißen Schal mit der Aufschrift: Nun erst recht raus aus dem Krieg.

 

Luc Jochimsen mischt sich ein. „Ich möchte in keiner Gesellschaft leben, in der jeder rücksichtslos nur an sich denkt. Das haben mir schon meine Eltern mitgegeben. Ich finde den Gedanken unerträglich, in einem Land zu leben, in dem es Bettler gibt, und ich habe wirklich gedacht, dass nach dem grauenvollen Krieg die Welt besser wird.“ 

Einen besonderen Stellenwert in ihrem Leben hat die Kultur. Ihre Mutter hat in ihr die Liebe zu Büchern, Theater und Kunst geweckt. Und sie findet, die Europäische LINKE hat da eine wichtige Aufgabe. Die interessanten Diskussionen der LINKEN über Kunst und Literatur im Weimarer „Cafe Gedanken frei“ waren immer Anziehungspunkte. Besonders die Teilhabe von Kindern an Kultur – lesen, malen, musizieren, Theater spielen – sind ihr wichtig. „Die größte Armut der Kinder ist fehlende Kultur. Jeder Mensch, der auf die Welt kommt, ist hungrig. Er braucht etwas zu essen. Er braucht aber auch Bilder, Töne, Worte, damit seine Sinne, sein Gehirn stimuliert werden.“ 

 

Einen ganz persönlichen Traum hat diese Frau noch: Einmal auf dem Rücken eines Pferdes durch die Mongolei reiten. „Mich fasziniert dieses Land. Zwischen dem traditionellen Leben der Viehzüchter und der Moderne in den Städten lässt sich ein Kultursprung von tausenden von Jahren erleben. Mein Vater war ein Pferdenarr, so bin ich mit Pferden aufgewachsen. Reiten ist so etwas wie meine zweite Natur.“

 

Regina Pelz