Der Kampf geht weiter

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Seit 2015 setzt sich Michael Gerner mit viel Herzblut für Geflüchtete ein. Es ist ein ständiger Kampf mit den Behörden und den zu oft leeren Versprechen aus der Politik, um Menschen, die Nichts und Niemanden haben ein Leben in Würde in Thüringen zu ermöglichen.

Vor gut drei Jahren besuchten wir Bollo und Ahmed in Pößneck. Beide kamen als so genannte UMA, unbegleitete minderjährige Ausländer von Mogadischu nach Pößneck. Ahmed lebt mittlerweile in Bayern. Im November 2021 erhielt er aus den Händen von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) einen Preis für Zivilcourage. Ahmed hatte bei einem Amoklauf eines psychisch kranken Somali in Würzburg (3 Tote) mit anderen geholfen, noch Schlimmeres zu verhindern. Bollo arbeitet heute in einem REWE in Jena. Was wäre aus ihm wohl ohne den Dauereinsatz von Michael Gerner geworden?

Dem Polizisten geht es auch nicht gerade glänzend. Eigentlich müsste er sich schonen und in den Vorruhestand gehen. Das würde aber deutlich weniger Geld bedeuten. „Seinen Jungs“ auch mal finanziell unter die Arme greifen, wäre dann nicht mehr möglich. Also wird Michael wieder den Dienst antreten und sich weiter in der Freizeit den Allerwertesten aufreißen, um jungen Menschen, die der Mehrheitsgesellschaft offenbar total egal sind, eine Perspektive zu bieten. 

 

„Sie sehen auf der Flucht Menschen sterben, aber auch in Deutschland geht der Mensch an den herrschenden Zuständen oft kaputt.“

 

Wir könnten jetzt hier die herzerwärmende Geschichte von Hadi erzählen, den Michael 2015 wie einen Sohn in seine Familie aufnahm. Heute hat Hadi nicht nur einen Job, sondern sogar die deutsche Staatsbürgerschaft. Aber Michael Gerner hat ganz schön was zu motzen: Über gefühlskalte Behörden. Über feuchte Augen an Bahnhöfen im Sommer der Migration 2015, der viele leere Versprechen folgten. Und auch über seine Partei DIE LINKE, deren ursprünglichste Basis der 53-Jährige verkörpert, wie nur noch wenige.

Zum Treffen in Gera hat Michael Khalid mitgebracht. Er floh 2016 nach Deutschland. Wie bei so vielen ehemaligen UMA hat die Familie alles investiert, sich sogar Geld geborgt, damit es einer nach Europa schafft.  „Was er durchgemacht hat, sollte kein Kind auf der Welt jemals durchmachen müssen“, findet Michael und fügt hinzu: „Sie sehen auf der Flucht Menschen sterben, aber auch in Deutschland geht der Mensch an den herrschenden Zuständen oft kaputt.“ Hier und da gibt es gute Projekte und andere Engagierte wie in Ilmenau Ingeborg und Cordula Giewald. Aber die allermeisten UMA sind spätestens wenn sie 18 Jahre alt werden total auf sich allein gestellt.

 

Es gibt Deutschkurse, da fallen bis zu 95 Prozent durch

 

Ohne Hilfe sind junge Geflüchtete der Behördenwillkür und dem Paragraphendschungel hoffnungslos ausgeliefert. Michael wünscht sich deshalb mehr praktische Solidarität, gerade auch von seinen Genoss*innen. Das beginnt schon bei der Sprache. Es gibt Deutschkurse, da fallen bis zu 95 Prozent durch. „Wenn in Erfurt 95 Prozent durch die Abi-Prüfung fallen, höre ich die Eltern bis Leipzig schreien“, stöhnt Michael. Aber ehemalige UMA haben niemanden, der sich für sie einsetzt.

 

Komplizierte Behördenpraxis

 

Ohne Deutschkenntnisse gibt es  für junge Menschen, die genug Schlimmes für drei Leben gesehen haben, auch im Kampf mit den Behörden nichts zu lachen.

Khalid befindet sich im Moment in der Duldung. Immerhin wäre es sogar möglich, eine Arbeitsgenehmigung zu kriegen. Aber die Behördenpraxis ist kompliziert.

Khalid kommt aus dem äthiopisch-somalischen Grenzgebiet, ist Äthiopier, gehört dort aber zur somalischen Minderheit, die überhaupt keine Rechte hat. Doch die Probleme Afrikas interessieren deutsche Behörden nur peripher. Weil Khalid aus ihrer Sicht zu wenig zur Passbeschaffung getan hatte, brummten sie ihm gleich eine Strafe auf: statt 360 Euro im Monat, gab es nur noch 330 Euro. Dass sich Dokumente aus von jahrzehntelangen Bürgerkriegen zerrütteten Ländern nicht mal eben so beschaffen lassen, juckt die Amtsschimmel nicht. In der Kultur Ostafrikas gibt es außerdem einen ganz anderen Kalender.

 

Ein Selfi vor der Botschaft, um die Behörde vom guten Willen zu überzeugen

 

Wenn man Khalids Eltern fragt, wann er geboren ist, sagen sie: nach Ramadan. Ein äthiopischer Pass ist so nicht zu kriegen und einer aus dem Failed State Somalia schon gar nicht. Zum Glück fuhr Khalid zur Botschaft nach Berlin und machte dort ein Selfie. Das reichte der Behörde in Gera erst mal, um das Strafgeld wieder zu streichen.

Nach Informationen des Thüringer Flüchtlingsrates lebten Anfang 2022 ca. 250  junge Geflüchtete wie Khalid in Thüringen, zu viele unter unwürdigen Bedingungen in Heimen, ohne jede Privatsphäre. Die Wenigsten haben einen Helfer wie Michael Gerner. Integration ist so kaum möglich. Diese Jungs sitzen tagein tagaus in ihren Zimmern und wissen nicht, was sie tun sollen. Musik machen, Fußball oder ein anderer Sport wäre eine Option, um unter Leute zu kommen. „Aber dafür haben sie den Kopf nicht frei und oft fehlt nach dem Fluchtmartyrium auch die Kraft“, erklärt Michael. 

Personalmangel und ein ungutes Rassismusgefühl im Bauch machen es nicht leichter. Aber auch in Gera gibt es Verbündete wie die Migrationsbeauftragte der Stadt, Nicole Landmann, die sich gerade für Khalid einsetzt. Und als Polizist, weiß Michael, dass auch in den Behörden letztlich immer nur Menschen sitzen. Und wo Menschen sitzen, da ist immer Hoffnung auf Menschlichkeit. 

 

„2015 standen wir mit feuchten Augen am Bahnhof. Aber wo wird die Integration in der Praxis kritisch hinterfragt“

 

Michael wünscht sich in Thüringen Träger wie in Nordrhein-Westfalen, die sich für drei Jahre um UMA kümmern. In Thüringen werden dagegen manchmal sogar Töpfe zur Förderung eingerichtet, die nicht abgerufen werden, weil sich vor Ort keiner kümmert.

Christian Schaft, Susanne Hennig-Wellsow und andere LINKE unterstützen seine Bemühungen schon lange mit Spenden für die Thüringer Flüchtlingspaten. Alle in der Partei sind stets voll des Lobes.  Michael hat trotzdem den Eindruck, man wolle das Thema Geflüchtete lieber nicht mehr so nach außen kehren. „2015 standen wir mit feuchten Augen am Bahnhof. Aber wo wird in unserer Partei die Integration in der Praxis kritisch hinterfragt? Wie viele ehemalige UMA haben in Thüringen eine Einstiegsqualifizierung? Wie viele haben ihre Deutschkurse bestanden“, das sind die Fragen die ihm umtreiben.

 

Ein Schild auf einer Demo hochhalten reicht nicht

 

Michael reicht es nicht, am internationalen Tag gegen Rassismus (21. März) ein Schild auf einer Demo hochzuhalten: „Warum kann so ein Tag nicht genutzt werden, um mehr auf den Verein Thüringer Flüchtlingspaten oder auch das neue afghanische Aufnahmeprogramm  aufmerksam zu machen“.  Weil Michael die praktische Hilfe bevorzugt, ist er ein großer Fan des Professors für Sozialmedizin, Gerhard Trabert. In dessen „Ambulanz ohne Grenzen“ werden  Patienten ohne Versicherungsschutz, darunter viele Geflüchtete, kostenfrei medizinisch behandelt.

 

 

Solchen Einsatz würde sich Michael  flächendeckend von seiner Partei wünschen. Ansätze gibt es:  „Was Anja Müller mit dem Restaurant bzw. Café der Herzen in Bad Salzungen auf die Beine gestellt hat, könnte doch auch für Geflüchtete funktionieren.“

Für mehr solche Orte der Herzen würde er sich ein Konzept vom Landesvorstand der Thüringer Linkspartei wünschen.

 

Viele erinnern sich wehmütig  an die Hartz-IV-Beratung, die DIE LINKE in Thüringen früher vielerorts anbot. Mit der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Migration gäbe es in der Partei eine Institution, die dafür die Grundlagen schaffen könnte:  Die könnte vor allem mehr Empathie in die Partei tragen und die viel zitierte „praktische Solidarität“ vorleben. Außerdem sollte diese LAG die Probleme der Integration in die LINKE Partei und Fraktionen tragen. Dort ist man zwar auf Michael nicht immer gut zu sprechen, weil er den Finger  in die Wunde legt. Aber auch, wenn Michael kein Diplomat mehr wird kämpft er weiter unermüdlich dafür, dass „seine Jungs“ ein menschenwürdiges und sicheres Leben in Thüringen haben. Mit Erfolg: Nach Redaktionsschluss der Printausgabe erreichte uns die gute Nachricht, dass Khalid jetzt arbeiten darf.

 

 

Thomas Holzmann