Auf dem rechten Auge blind

Wegen eines Deals zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht im Ballstädt-Prozess laufen gewalttätige Neonazis weiter frei rum. Warum das Urteil nich nur ein Justizskandal, sondern auch ein Schlag ins Gesicht aller Opfer und Antifaschist*innen ist.

Am 12. Juli wurden in der Neuauflage des „Ballstädt-Prozesses“ am Landgericht Erfurt Urteile gefällt, die symptomatisch für das Versagen von großen Teilen der Justiz im Umgang mit rechter Gewalt sind. Schon vier Monate vor Verhandlungsbeginn wurde öffentlich bekannt, dass Staatsanwaltschaft und Gericht den elf angeklagten Neonazis Deals anbieten werden. Für den Fall, dass sie zugeben, an dem brutalen Überfall auf eine Kirmesgesellschaft in Ballstädt (Kreis Gotha) im Februar 2014 beteiligt gewesen zu sein, würde ihre Haft in Bewährungsstrafen abgemildert. So sollte die Neuauflage des Prozesses abgekürzt und mehr oder weniger unter den Teppich gekehrt werden. 

Ein weiterer heftiger Schlag ins Gesicht der damals teils schwer verletzten Personen, aber auch aller Antifaschist*innen. Dabei hatte ein Bündnis aus Omas gegen Rechts und antifaschistischen Gruppen jeden Prozesstag von früh bis spät kritisch begleitet und den Opfern ihre Solidarität entgegen gebracht. 

 

Die Omas hatten sogar eine Petition („Keine Deals mit Nazis“) gestartet, die von mehr als 46.0000 Menschen mitgezeichnet wurde. 

Entsprechend groß ist der Ärger nach dem Skandalurteil. Absprachen zwischen Angeklagten und Staatsanwaltschaft sind zwar an sich nicht ungewöhnlich. Was den Ballstädt-Deal so skandalös macht, ist die Tatsache, dass gegen den Hauptangeklagten Thomas Wagner zudem ein weiteres Verfahren läuft. Wagner war bis zu seiner Festnahme Chef der rechtsextremen Rockergruppe „Turonen“, als deren Treff das sogenannte Gelbe Haus in Ballstädt galt. Auch der Angeklagte Marcus R. gehört der Neonazi-Szene an, er ist mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen Körperverletzung. 

Kein Wunder, dass sich sogar das Internationale Auschwitz-Komitee in die Debatte einschaltet und erklärt: „Die Urteile sind Erfolg für die rechtsextreme Szene und konterkarieren den Kampf gegen Rechts.“ 

 

In der Kritik steht vor allem auch die Richterin Sabine Rathemacher. Sie selbst versteht den Wirbel nicht und sieht „Stimmungsmache“ gegen die Justiz: „Wer den Rechtsstaat angreift, muss seinen Standpunkt zur Haltung des freiheitlich-demokratischen Systems hinterfragen“, so die Richterin. Den Nebenklageanwälten wirft sie vor, die Opfer des Kirmesüberfalls politisch zu instrumentalisieren.“ Eine krude Vorstufe zur Täter-Opfer-Umkehr.

 

Wie so viele Richter*innen und Polizist*innen ist auch sie offenbar auf dem rechten Auge blind und will politisches Motiv erkennen. Das ist in Thüringen leider keine Seltenheit. Vor einem Jahr hatten vermummte Neonazis feiernde Jugendliche an einem Freitagabend vor der Staatskanzlei krankenhausreif geprügelt und wieder hieß es: Das war nur eine Schlägerei von Betrunkenen Jugendlichen. Aus dem für die BUGA rausgeputzten Erfurter Nordpark berichten Antifaschist*innen wöchentlich von brutalen Überfällen, bei denen nicht selten Naziparolen gegrölt werden. 

Das AJZ in Erfurt wird regelmäßig von Neonazis angegriffen. Auch diese Straftaten bleiben strafrechtlich oft nahezu folgenlos. 

 

Nicht wenige fühlen sich an die finsteren „Baseballschlägerjahre“ in den frühen Neunziger erinnert. Doch es gibt auch eine starke Gegenbewegung. Allen voran natürlich die Omas gegen Rechts. Ebenso positioniert sich die Fridays-for-Future-Bewegung  in Thüringen ganz klar antifaschistisch. Die Parole: „Von Erfurt bis nach Rojava, Klimaschutz heißt Antifa“, ist alles andere als eine hohle Phrase. Sei es auf Demonstrationen oder bei der Begleitung des Ballstädt-Prozesses, einige der Klima-Aktivist*innen sind immer mit dabei. 

Genauso bei der Demo in Erfurt am 17. Juli: Es war nicht nur der Schwarze Block, der lautstark durch die Innenstadt zog. Dass es deutlich bunter und diverser zugeht, gehört auf jeden Fall zu den positiven Entwicklungen der letzten Jahre. Leider haben das noch nicht alle kapiert. Als der Demozug durch die gut gefüllte Innenstadt zog, stand einigen Leuten in den Restaurants und Cafés der Schock ins Gesicht geschrieben.  Bei zu vielen der bürgerlichen Gesellschaft hat „Antifa“ noch immer den negativen Klang randalierender Steinewerfer, die angeblich auch nicht besser sind als die Nazis. Laut Polizeibericht gab es eine Anzeige wegen des Tragens verfassungsfeindlicher Symbole. Dass es sich hierbei um einen der wenigen Neonazis gehandelt haben muss, die Gegenkundgebungen angemeldet hatten, wird mal wieder verschwiegen.

Und leider nimmt die Gewalt kein Ende:  Am 19. Juli wurde ein 33-jähriger Mann aus Ägypten gehindert aus der Straßenbahn auszusteigen und  zusammengeschlagen. Am 20. Juli wurden zwei Männer aus Syrien und Mexiko  von einem 40-Jährigen rassistisch beleidigt, ein Angriff mit einer Flasche konnte zum Glück verhindert werden. Später wurde ein Mann aus der Mongolei geschlagen. Der Ägypter arbeitet als Keller in einem koreanischen Restaurant am Domplatz. Die Inhaber*innen des „Wolkims“ hatten für die Ergreifung des Täters sogar eine Belohnung von 1000 Euro ausgelobt. Auch so ein kleiner Hoffnungsschimmer in einer Zeit, in der kaum ein Tag ohne Nazigewalt vergeht.