Abscheuliche Verbrechen einer pervertierten Zivilbevölkerung

Der Historiker Daniel Blatman zieht in seinem Buch „Die Todesmärsche von 1944/45“ ein erschütterndes Fazit: Nicht nur die Schergen von SS und Wehrmacht beteiligten sich am Morden, sondern auch die ganze gewöhnliche Zivilbevölkerung.

Am 21. Oktober 2011 stellte der jüdische Historiker Daniel Blatman (Foto) in der Eckermann-Buchhandlung zu Weimar sein erschütterndes Buch „Die Todesmärsche 1944/45“ vor. Blatman ist Direktor des Avram Harman Institute of Contemporary Jewry der Hebrew University of Jerusalem. Für sein Buch über die Todesmärsche recherchierte er zehn Jahre. Vor einer leider sehr kleinen Schar von Zuhörern nahm er den letzten Akt der faschistischen Vernichtungsmaschinerie umfassend unter die Lupe. Von den Anfang Januar 1945 registrierten 700.000 Häftlingen kamen bei den Todesmärschen mindestens 250.000 ums Leben. Ungeheuerlich und unfassbar auch die Tatsache, dass man die Mörder nicht mehr nur in den Reihen der SS, Polizei und Wehrmacht zu suchen hatte: Es beteiligten nunmehr auch Zivilisten an Massakern und der Jagd auf „Volksfeinde“. Bei den Blutorgien an den ausgehungerten Juden, Kriegsgefangenen, Sinti und Roma oder Kommunisten mischten auch viele „normale“ Bürger mit. So auch in der Kleinstadt Celle, in der rund 300 Häftlinge vom Mob erschlagen und erschossen wurden. Auch wenn die abgerissenen Elendsgestalten auf viele Zivilisten „anders“ und „beängstigend“ wirkten, rechtfertigt das in keiner Weise die abscheulichen Verbrechen dieser pervertierten Zivilbevölkerung. Die umfangreichen Forschungen Blatmans zu diesem gesellschaftlichen „Phänomen“ ergaben den eindeutig bedrückenden Befund: Je mehr sich der Krieg seinem Ende zuneigte, und je unübersehbarer die Präsenz der Häftlinge inmitten der deutschen Bevölkerung wurde, desto regelmäßiger beteiligten sich deutsche Zivilisten daran. So spiegelt das epochale Werk Daniel Blatmans auch die traurige Befindlichkeit der deutschen Gesellschaft am Ende des 2. Weltkrieges wider.


Foto und Text:

Reiner von Zglinicki