Wohnen ist mehr als ein Dach über dem Kopf

Seit dem Wegfall vieler Mietpreisbindungen und dem Zuzug in die thüringer Städte, haben viele Vermieter die Situation schamlos ausgenutzt. UNZ sprach mit Ute Lukasch, Wohnungspolitische Sprecherin der LINKEN im Thüringer Landtag, über den Mietenwahnsinn und was die Politik dagegen tun kann.

Mietenwahnsinn kannte man früher nur in großen Metropolen. Seit einigen Jahren ist er auch in Thüringer Städten angekommen. Wie dramatisch ist die Situation aus ihrer Sicht?

Die ganze Problematik hängt vor allem damit zusammen, dass die Beleg- und Mietpreisbindungen in den letzten Jahren massiv ausgelaufen sind. Das bedeutet, dass diese Mieten 15 Jahre lang nicht erhöht werden konnten. Für solche Neubauten, Umbauten oder Sanierungsmaßnahmen gab es in den 2000er Jahren entsprechende Fördermittel.

Außerdem wurde in dieser Zeit propagiert, die Thüringer Städte würden weiter schrumpfen. In einigen Städten, allen voran Erfurt, Weimar und ganz besonders Jena, gibt es aber einen Bevölkerungszuwachs, der damals nicht prognostiziert wurde. Zuzug und Wegfall der Mietpreisbindung sind zwei Faktoren, welche die Vermieter, allen voran die Privaten, schamlos ausnutzen. Außerdem gibt es in Thüringen, mit Ausnahme von Jena keine einzige Bedarfsanalyse. Folglich wissen wir gar nicht, wie viele Sozialwohnungen wir genau bräuchten. Es gibt in Thüringen keine einheitliche statistische Erfassung. Professor Langlotz (Abteilungsleiter Städte- und Wohnungsbau im TMIL) schätzt, dass 60 Prozent (!) der Bevölkerung in Thüringen einen Anspruch auf Sozialwohnungen hätten. Aber die Scham, aufs Amt zu gehen und einen Antrag zu stellen, ist sehr hoch. Sozialwohnungen haben ein Geschmäckle, was ich sehr bedauere. Schließlich sind Sozialwohnungen ganz normale Wohnungen.

Warum wird die Mietpreisbindung nicht wieder eingeführt?

Das machen wir. Die Beleg- und Mietpreisbindung ist an die Förderung gebunden. Bei aktuellen Projekten sowohl im Neubau, wie auch bei Sanierung kann die Belegbindung sogar bis zu 20 Jahre betragen, in denen die Miete nicht massiv erhöht werden kann.

Nicht massiv, klingt nach einem sehr dehnbaren Begriff.

Es ist auch schwierig. In den 2000er Jahren gab es Neubau-Fördermittel für die kommunalen Unternehmen, die nicht kostendeckend waren. Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Kommunale Unternehmen sind das einzige Regularium gegen den Mietwahnsinn. In diesen kommunalen Unternehmen gibt es aber auch Angestellte, die natürlich sagen: Ich möchte irgendwann genauso bezahlt werden wie Kollegen im Westen. Die kommunale Wohnungsbaugenossenschaft (KoWo) Erfurt z. B. hat Sozialarbeiter eingestellt. Es gibt auch Unternehmen, die haben Reinigungskräfte eingestellt und diesen Bereich nicht ausgelagert. Das ist an sich gut, denn dabei geht es um das Kümmern im Wohnquartier und um seine Bewohner. Da gibt es eine soziale Verantwortung. Gerade auch als Stadtrat bin ich immer in einer gewissen Zwickmühle, was diese Fragen auf der einen Seite und das Erhöhen der Mieten auf der anderen Seite angeht. Wenn kommunale Unternehmen Gewinne machen, ist das Problem leider sehr oft, dass diese benutzt werden, um die städtischen Haushalte zu sanieren.

So wie in Erfurt schon geschehen?

Dort war es früher oft so, dass die Hälfte an den städtischen Haushalt abgeführt wurde und die andere Hälfte im Unternehmen verblieb. Es ist ja nicht so, dass die KoWo nichts investiert hätte. In Erfurt ist das gar nicht so sehr das Problem, sondern vielmehr der massiv gestiegene Preis für Grund und Boden. Das gilt auch für Weimar, Jena und neuerdings Nordhausen. Städte, die aber noch über eigenen Grund und Boden verfügen, könnten den für sozialen Wohnungsbau entsprechend zur Verfügung stellen.

Neben den kommunalen Wohnungsbaugenossenschaften gibt es weitere Akteure, die gegen den Mietenwahnsinn kämpfen. Selbstverwaltete Wohnprojekte beispielsweise. Wie kann die Landesregierung diese besser unterstützen?

Zusammen mit Ministerin Birgitt Keller finden wir immer eine Lösung, um Projektmittel zu bewilligen. Unter den CDU-Regierungen gab es solche Förderungen praktisch gar nicht und deswegen ist die Bereitschaft, entsprechende Anträge zu stellen gering. Ich sage den Leuten immer, bringt es zu Papier kommt damit auf uns zu und dann können wir bei Vielem helfen. Schwierig wird es immer, wenn es um privaten Grund und Boden geht. In Nordhausen gibt es ein ganz tolles Projekt, die Ellermühle, das nicht nur Sozialwohnungen, sondern speziell auch Wohnungen für Senioren und junge Mütter zur Verfügung stellen will. Da gehört auch ein Kommunikationszentrum und eine moderne Turbine dazu. Solche Projekte muss man fördern und ich hoffe, dass so etwas unter dem neuen OB besser läuft als unter dem Alten, der das immer blockiert hat.

Kommunalparlamente entscheiden bei dem Verkauf von Gebäuden aber meist für den Höchstbietenden, in der Regel sind die rein profitorientiert und Projekte, wie vor einigen Jahren Wohnopia e. V. in Erfurt, schauen in die Röhre. Warum gibt es da nicht eine Bürgschaft o.ä.?

Es müssen keine Bürgschaften sein. Ich bin immer für Stadtratsbeschlüsse, die solche Verkäufe über eine Konzeptvergabe regeln. Ein solches Beispiel habe ich mir kürzlich zusammen mit dem kommunalpolitischen Forum in Gera angesehen. Die Häselburg hat ein Verein gekauft, der bei den Einreichern keineswegs der Meistbietende war, er hatte aber das bessere Konzept, die bessere Idee. Es müssen die Leute vor Ort wollen, es muss gut begründet werden und dann sind solche Projekte immer und überall möglich.

Solche Projekte findet man vor allem bei jungen Leuten in größeren Städten. Wie sieht es im Gegensatz dazu beim Thema seniorengerechtes Wohnen aus?

Auch hier gibt es in Gera interessante Projekte in Wohngemeinschaften mit gemeinsamer Küche. In Schmölln gibt es Projekte, bei denen man Betreuung in Anspruch nehmen kann, aber nicht muss. Seniorengerechtes Wohnen braucht aber noch mehr Voraussetzungen. Seniorengerecht bedeutet auch: mehr Platz. Mit 45 Quadratmetern kommt eine Einzelperson mit nicht hin. Wohngeld gibt es allerdings nur bis zu diesen 45 Quadratmetern. Es kann doch nicht sein, dass eine minimal größere Wohnung, die z.B. eine barrierefreie Dusche hat und in der man mit dem Rollator überall gut hinkommt, für viele Senioren nicht mehr bezahlbar ist. Stellen Sie sich vor, wenn zum Beispiel ein pflegebedürftiger Ehepartner stirbt und man hat eine Wohnung, die größer als diese 45 Quadratmetern ist. Sollen die dann ausziehen müssen? Ich sage nein. Und deswegen werde ich mich dafür einsetzen, dass genau das in unser Landeswahlprogramm im nächsten Jahr hinein kommt.

Es müsste sich doch aber viel grundlegender etwas verändern?

Wir müssen das Wiener Modell einführen. Die Stadt Wien besitzt heute 220.000 Wohnungen in 1.749 Gemeindebauten (Wohnblock des kommunalen sozialen Wohnungsbaus) – ein Viertel aller Wiener Wohnungen. Das städtische Unternehmen Wiener Wohnen gilt als größte Hausverwaltung Europas, 2015 hat es 394 Millionen Euro in Erhalt und Sanierung der Gemeindebauten investiert. Gut jede siebte Gemeindewohnung liegt in den beliebten Innenstadtbezirken, selbst im noblen ersten Bezirk gehört jede 23. Wohnung der Stadt und das Städtische ist gemeinwohlorientiert und arbeitet nach dem Prinzip der Gemeinnützigkeit. Schon 1918 wurde beschlossen, 18.000 Wohnungen durch die Stadt bauen zu lassen.

Das klingt sehr interessant. Aber was könnte R2G in einer möglichen zweiten Legislaturperiode auch tatsächlich umsetzen?

Ich hoffe, dass wir das Barrierereduzierungsprogramm fortschreiben können. Das kann auch unabhängig vom Haushalt weiterlaufen. Gerade im ländlichen Raum brauchen wir solche Dinge wie Fahrstühle, barrierefreie Bäder usw., damit Senioren weiter dort wohnen bleiben können. Für viele Ältere ist es der größte Wunsch, so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden zu bleiben. Den sozialen Wohnungsneubau wollen wir auf jeden Fall weiter betreiben, vielleicht dann mit einer etwas schlankeren Richtlinie, damit es schneller geht. Ich möchte außerdem, dass die Kommunen mehr auf die schon beschriebene Konzeptvergabe setzen. Das gilt besonders für Städte wie Gera, die kaum noch über eigenen Wohnraum verfügen. Wohnen ist mehr als nur ein Dach über dem Kopf. Mir geht es auch immer um eine Quartiersentwicklung, mit kulturellen Zentren, Begegnungsstätten und offenen Räumen. Es gibt kaum etwas Schlimmeres als Neubaublöcke zu planen mit einer Mini-Parkanlage, viel zu kleinen Spielplätzen und mangelhafter ÖPNV-Anbindung.

Thomas Holzmann