„Wir wollen Politik für alle Bevölkerungsschichten machen“

Wulf Gallert, Fraktionsvorsitzender DIE LINKE im Landtag von Sachsen-Anhalt und Spitzenkandidat für die Landtagswahl am 20. März will mit einem klaren Sieg genügend Druck auf die SPD ausüben, damit DIE LINKE eine rot-rote Koalition führen kann – vorausgesetzt den Sozialdemokraten kommt es auf die Inhalte an.

 

Vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am 20. März stellt sich die Frage, wie kann die DIE LINKE an die Regierung kommen? 


Diese Frage stellt sich eigentlich erst nach der Wahl. Bis dahin geht es um die Frage, ob wir als LINKE die Wahl gewinnen und zur stärksten Partei, vor der CDU werden. Das würde natürlich auch ein besonderes Signal nach Berlin senden. Wir sagen, wenn wir die Wahlen gewinnen, ist die Chance auf eine Koalition mit der SPD größer. Die SPD befindet sich, wie in vielen Ländern im Osten, in einer Sandwichposition zwischen CDU und LINKEN. Wir wissen, dass die Sozialdemokraten ihre Fahne immer nach dem Wind drehen. Und wenn das so ist, dann müssen wir eben stärker blasen. Letztlich ist es egal, was in dieser Frage vor der Wahl erzählt wird. Wenn DIE LINKE am 20. März die stärkste Partei wird, können wir auch genügend gesellschaftlichen Druck auf die SPD erzeugen, der dann auch eine Koalition möglich macht. 


Mit Ihnen als Ministerpräsidenten?

 

In einer solchen Koalition entscheidet der Wähler, wer Ministerpräsident wird. Wenn wir stärker werden als die SPD, wovon ich ausgehe, dann werden wir eine solche Koalition auch anführen.

 

In Thüringen war die Situation 2009 ähnlich und die SPD ging trotzdem lieber den scheinbar einfachen Weg zur CDU …


Das kann ich natürlich für Sachsen-Anhalt nicht ausschließen. Ich kann und will nur für meine eigene Partei kämpfen. Wenn die SPD nach einem schlechten Wahlergebnis unbedingt den Juniorpartner der CDU spielen will, dann können wir das nicht verhindern. Die Frage ist doch, ob die SPD inhaltlich für Rot-Rot ist, oder ob es ihr nur um eine machtpolitisch günstigere Position in der MP-Frage geht. Bei Letzterem würde nicht nur der Wählerwille missachtet, sondern auch deutlich, dass die SPD dann keine inhaltliche Basis hätte, auf die man sich eine Legislaturperiode lang verlassen kann. Rot-Rot kann nur funktionieren, wenn die Inhalte im Vordergrund stehen.


Welche Inhalte könnten das sein?


Es gibt drei zentrale Themen: Unsichere und schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse bei hoher Produktivität, längeres gemeinsames Lernen in einem zukunftsfähigen Schulsystem und die Frage der Chancengleichheit für alle Kinder, unabhängig von der Situation in ihrem Elternhaus. 

Chancengleichheit ist das zentrale Thema. Deswegen auch der Wahlkampfslogan: „Ein Land für alle“?


Wir haben als LINKE in Sachsen-Anhalt den Anspruch einer Volkspartei und wollen Politik für alle Bevölkerungsschichten machen. Im Vordergrund stehen natürlich die Menschen, die von anderen politischen Konstellation an den gesellschaftlichen Rand gedrängt worden sind: Die Arbeitslosen, die Hartz-IV-Empfänger, die Niedriglohnbezieher, Alte und Kranke. Viele Menschen befürchten, dass ihnen das auch passieren kann. Wir wollen die gleichen Entwicklungsmöglichkeiten für alle und das bedeutet, Partei vor allem für die zu ergreifen, die bisher davon ausgeschlossen waren.


Der Schlüssel zur Chancengleichheit ist wiederum eine andere Bildungspolitik. Besteht nicht die Gefahr, dass es massiven Widerstand gibt, wie man es in Hamburg bei der Forcierung des längeren gemeinsamen Lernens gesehen hat?


Bildung ist eines der zentralen Debattenthemen, welches wir schon länger haben. Unser Vorschlag wird nicht das ganze Bildungssystem aus den Angeln heben, denn wir wissen, dass die Vorbehalte außerordentlich groß sind. Wir wollen die Sekundarschulen (entspricht in Sachsen-Anhalt einer integrierten Haupt- und Realschule, Anm. d. Red.) schrittweise so aufwerten, dass sie die reale Möglichkeit bieten, zum Abitur zu kommen. Das Gymnasium wollen wir so verändern, dass jeder zu einem Abschluss gelangt. Wer das Abitur nicht schafft, sollte wenigstens den Realschulabschluss machen, denn sonst werden die Schüler abgeschult, gehen zurück auf die Sekundarschule, wo sie oft so demotiviert sind, dass sie gar keinen Abschluss mehr schaffen. Wenn 46 Prozent der Kinder aufs Gymnasium gehen und weniger als 23 Prozent das Abitur schaffen, wird dieses Problem mehr als deutlich. 


Eine weitere große Forderung ist der Ausbau der Bürgerbeteiligung. Wie genau soll das aussehen?


Wir wollen die Möglichkeiten ausbauen, mit Bürgerentscheiden auf der kommunalen Ebene Dinge zu entscheiden, die den Menschen wichtig sind. Zurzeit gibt es noch diesen Haushaltsvorbehalt, wodurch praktisch keine wichtigen Entscheidungen getroffen werden können. Wir wollen die Möglichkeiten der Beteiligung und der Kommunikation zwischen den gewählten Vertretern und den Menschen verbessern und die Transparenz des politischen Prozesses erhöhen. Dinge wie Bürgerhaushalte sollen in den Kommunalverfassungen verankert werden, damit sie den Modellcharakter verlieren und zu einer typischen Möglichkeit der politischen Willensbildung werden. Politische Entscheidungen müssen so bürgernah wie möglich getroffen werden. Das erfordert, die kommunale Entscheidungskompetenz gegenüber dem Land bzw. die Gemeinde gegenüber dem Kreis tendenziell zu stärken.


Die Energiepolitik wird im Wahlprogramm unter der Rubrik „Standorte fördern“ behandelt. Welche Priorität hat der Ausbau erneuerbarer Energien in Sachsen-Anhalt?  

 

Das Thema hat schon eine hohe Priorität. Die erneuerbaren Energien sind bereits jetzt ein wichtiger Arbeitgeber, im Solarvalley, in der Region Bitterfeld-Wolfen oder auch in Magdeburg. Ein Energiekonzept für Sachsen-Anhalt haben wir bereits entwickelt, wobei es aber nicht nur um die energiepolitischen Leitlinien geht. Im Bereich Braunkohle gibt es sichere Arbeitsplätze, gute Einkommen, Gewinnbeteiligungen sowie lokales und regionales Engagement der Firmen. Bei den Erneuerbaren muss man da leider eine extreme Rückständigkeit konstatieren. Es gibt massenhaft Zeitarbeit, Entlassungswellen, Betriebsräte wurden lange Zeit verhindert, der Einfluss der Gewerkschaft wird radikal zurückgedrängt und die Stundenlöhne sind größtenteils viel zu niedrig. Auch mit diesem Problem muss man sich auseinandersetzen, zumal so etwas nicht dazu beiträgt, die Akzeptanz für erneuerbare Energien deutlich wachsen zu lassen. 


Ein weiteres Projekt wäre die Einführung eines öffentlichen Beschäftigungssektors. Was kann dieser leisten? 


Wir wollen uns am Berliner Modell orientieren und 5.000 solcher Stellen schaffen. Im Vergleich zum Modell Bürgerarbeit hätte der öffentliche Beschäftigungssektor den Vorteil, den Menschen mit einem Verdienst von 1.350 Euro Brutto im Monat, einen sozialversicherungspflichtigen Job zu verschaffen, Arbeitslosenversicherung eingeschlossen. Die Jobs sind immer freiwillig, denn die Leute wollen arbeiten und raus aus Hartz IV, was ihnen mit Bürgerarbeit oder gar Ein-Euro-Jobs nicht gelingt. Wir wissen aber auch, dass jede dieser Stellen uns als Land 6.000 Euro kostet, Geld was nicht so ohne Weiteres vorhanden ist. In den Kommunen bleiben schon jetzt viele wichtige Arbeiten liegen. Da ist es auf jeden Fall falsch zu argumentieren, diese Dinge aus Geldmangel einfach nicht mehr anzugehen. 


Ein leidiges Thema vor Landtagswahlen ist der Rechtsextremismus. Wie stehen die Chancen, dass die NPD den Einzug nicht schafft? 


Sie haben leider die Möglichkeit reinzukommen. Nicht, weil die NPD als Partei eine so große Rolle spielt – sie haben hier nur 230 zerstrittene Mitglieder –, sondern weil nach neusten Erhebungen zehn Prozent der Bevölkerung durchaus Zustimmung zu faschistischen und rassistischen Positionen äußern. Die Hauptursache dafür ist, dass sich viele Menschen nicht ausreichend von den politischen Institutionen vertreten fühlen. Wir dürfen jetzt nicht in Panik und Hektik verfallen, müssen aber auch alles tun, um den Einzug der NPD zu verhindern. 


Dass sich die Menschen durch die Institutionen nicht vertreten fühlen, sieht man auch an der niedrigen Wahlbeteiligung von 44 Prozent im Jahr 2006. Ist ein solcher Landtag überhaupt ausreichend legitimiert?


Regierung und Parlament haben so natürlich nur eine schwache Legitimation, aber eine andere haben wir nicht. Wir brauchen eine Repolitisierung der Politik.  Wenn bei Mindestlöhnen gesagt wird, das ist Sache der Wirtschaft, da darf sich die Politik nicht einmischen, wundert es nicht, dass die Menschen der Politik keine Problemlösungskompetenz mehr zutraut. Aber genau daran müssen wir als LINKE arbeiten. 


Thomas Holzmann