„Wir machen uns kaputt“

Ellen Ost, Krankenpflegerin im Jenaer Uniklinikum kämpft seit 2019 in der Krankenhausbewegung – mit Erfolg. UNZ sprach mit ihr über den Entlastungstarifvertrag und warum sie sich neben den Arbeitskämpfen auch im Bundesvorsand der Linken engagiert.

Wie dramatisch ist die Lage im Jenaer Klinikum gerade?

 

Seit Sommer habe ich das Gefühl, dass die Lage in den Krankenhäusern deutlich angespannter ist. Das liegt vor allem an dem hohen Krankenstand beim Personal. Es gibt kaum mal einen Tag, an dem sich nicht jemand krank meldet. Ich weiß gar nicht, ob das nur die Nachwehen von Corona sind, als die Leute ja wirklich weit über ihr Limit hinaus gearbeitet haben. 

 

Die wahren Probleme in den Krankenhäusern wurde durch Corona nur sichtbarer …

 

In den nicht ärztlichen Bereichen wurde in der Tat schon früher extrem gespart. Die Ausbildung ist zurückgefahren worden. Frei werdende Stellen wurden nicht wieder neu besetzt. Die Arbeitsbedingungen wurden immer schlechter. Viele Kollegen haben dann gemerkt: So geht es nicht weiter. Wir machen uns kaputt und wir gefährden auch unsere Patient*innen. Aber die über Jahrzehnte verfehlte Gesundheitspolitik kann man natürlich nicht von heute auf morgen wieder gut machen. Das ist ja überall so, vom Nahverkehr bis zur Verwaltung. Auch deren Systeme können es nicht mehr kompensieren, wenn ständig Kolleg*innen wegen Überlastung krank ausfallen. 

 

Oder wie es kürzlich ein Kollege von der GdL ausdrückte: „Der Vorstand sieht nur Zahlen, aber keine Menschen.“

 

Genau. Deswegen gehen wir ja in Jena seit 2019 für bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße. Damals hat der Vorstand noch gesagt, sie würden niemals einen Entlastungstarifvertrag unterschreiben. Jetzt sind sie, glaube ich, ganz froh dass wir diesen Tarifvertrag haben. Da hat schon ein Umdenken stattgefunden. Es stehen auch keine zehn Leute mehr vor der Tür, die sofort im Krankenhaus anfangen wollen. Fachkräfte können wir nur halten oder gar zurückholen, wenn sich die Arbeitsbedingungen verbessern.

 

 

Was genau verbessert ein Entlastungstarifvertrag?

 

Wenn zu wenig Personal da ist, dann wird sehr schnell reagiert und es werden Betten gesperrt. Natürlich gibt es dann Kritik, dass Patient*innen nicht behandelt werden. Ich entgegne dem immer: Wenn ich geplant operiert werden muss, dann warte ich doch lieber zwei, drei Wochen länger und werde gut betreut, statt gleich zu operieren, und dann ist aber die Nachsorge auf der Station nicht gewährleistet.

 

 

Zumal ja das kaputtsparen und die Überlastung des Personals schlimmste Auswirkungen haben kann. Stichwort multiresistente Krankenhauskeime. 

 

 

Zu dem Thema kann ich nur auf das Schwarzbuch Krankenhaus verweisen, da bin ich auch mit Autorin. Darin schildern Kolleg*innen aus allen Bereichen, vom Labor bis zur Station, ihre Erfahrungen, was Personalmangel mit ihnen selbst, aber auch mit den Patientinnen macht. Multiresistente Keime ist natürlich ein sehr komplexes Thema.In Jena hat eine Studie gezeigt, dass viele Menschen diese Keime in sich tragen, ohne davon krank zu werden. Im Krankenhaus werden die gefährlich, wenn so ein Patient mit einem besonders schwerkranken in einem Zimmer liegt und sich dann ansteckt. Hygiene braucht nun mal Zeit, und wenn ich das Personal nicht habe, habe ich auch die Zeit nicht. 

 

Also haben die Proteste und Streiks in Jena wirklich konkret was gebracht?

 

Ja. Schon 2015 hat mit der Charité in Berlin das erste große Krankenhaus gezeigt, dass so ein Streik funktionieren kann. Die haben auch den ersten Entlastungstarifvertrag erkämpft. Der hatte ganz viele Mängel, aber das war das Startsignal. Jetzt sind es schon über 20 Kliniken, die sich der Krankenhausbewegung angeschlossen haben. Ganz bemerkenswert finde ich, dass es auch das einzige privatisierte Universitätsklinikum (Gießen-Marburg) geschafft hat, einen Entlastungstarifvertrag zu erkämpfen.

 

Streiks nehmen zu, die Gewerkschaften freuen sich über mehr Mitglieder, Fridays for Future unterstützt die Tarifkonflikte vor allem beim ÖPNV. Das klingt ganz hervorragend, aber hat es auch Substanz?

 

Ich war als Organizerin bei unserer Tarifauseinandersetzung in Berlin. Da war auch die erste Stadtversammlung. Entscheidend dabei ist, möglichst vielen Leuten Hintergrundwissen mitzugeben, warum die Kolleg*innen auf die Straße gehen müssen: Das Streik immer das letzte Mittel, wenn sich der Arbeitgeber nicht bewegt. Wenn dann von so einer Stadtversammlung einfach mal ein paar Leute zu einem Streikposten gehen und sagen: Das ist genau richtig, was ihr macht, hat das eine sehr hohe Bedeutung. Gerade für die Bus- und Straßenbahnfahrer, die sehr oft verbal angegangen und zum Teil auch tätlich angegriffen werden. Ich habe mir angewöhnt, wenn ich vorne in der Straßenbahn aussteige, dann klopfe ich kurz und bedanke mich für die Fahrt. Wenn man dann das Lächeln von dem Straßenbahnfahrer sieht, der sich darüber so sehr freut, dass er gesehen wird, dann ist das ein sehr schönes Gefühl. 

 

Solche Ansätze könnte auch die Linkspartei brauchen für die du dich im Bundesvorstand engagierst. Was macht dir Hoffnungen, dass die Partei wieder aus der Krise herausfindet?

 

Beim letzten Bundesparteitag war ich sehr überrascht, dass eine Kollegin die ich aus Berlin kenne, plötzlich auf der Bühne ihren Parteieintritt verkündet. Solche Persönlichkeiten müssen wir viel mehr pushen, auch medial mit guten Bildern und einfachen Zitaten. Praktische Erfolgsgeschichten linker Politik, die ist ja durchaus gibt, dringen viel zu wenig in die Bevölkerung durch. Dafür braucht es MultiplikatorInnen wie eben meine Kollegin in Berlin. In Thüringen mache ich mir schon große Sorgen wie das mit der Linken weitergeht. Ich finde wir müssten viel klarer formulieren, sowohl unsere eigenen Erfolge hier als auch die Kritik an der Ampel. Aber es ist schwierig, weil einfach die Leute nicht mehr da sind. Diese Strukturen müssen wir wieder aufbauen, mit den jungen Leuten, die jetzt gerade in die Partei eintreten. Dazu braucht es konkrete Angebote und ich hoffe dass wir die schnellstmöglich anbieten können.

 

Thomas Holzmann