Wir brauchen eine umfassende Demokratisierung der Gesellschaft

DIE LINKE muss die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Menschen sich selber an den politischen Entscheidungen beteiligen, das fordert Dieter Hausold (MdL), Leiter der Thüringer Arbeitsgruppe für die Programmdiskussion in der Partei DIE LINKE.

In letzter Zeit wurde die Programmdebatte in den Medien vor allem durch den Streit über das Existenzrecht Israels dominiert. Ist das wirklich ein so großer Konflikt in der Partei? 


Dass es in dieser Frage einen Riesenstreit gegeben hätte, konnte ich nie feststellen. Das Existenzrecht Israels war bei der ganz großen Mehrheit der Parteimitglieder nie umstritten. Es war, genauso wie die Positionierung für eine Zwei-Staaten-Lösung, also einem eigenen palästinensischen Staat,  immer Grundlage, den Konflikt im Nahen Osten zu beenden. Ich bin froh, dass das jetzt in der neuen Präambel noch einmal ganz deutlich hervorgehoben wurde. 


Aber Nationalstaaten generell sind doch etwas, was es in einer linken Programmatik, genau wie das kapitalistische System, zu überwinden gilt …


Das ist eine überflüssige Debatte, denn das Programm ist für die nächsten 15 bis 20 Jahre konzipiert. Eine weiterführende, auf den gesamten Globus bezogene Debatte über Nationalstaaten ist damit nicht zu verbinden. Anders sehe ich das für Europa. Hier müssen europäische Institutionen – allerdings wirklich demokratisch legitimierte – sowie Regionen an Bedeutung gegenüber den Nationalstaaten gewinnen.


DIE LINKE will ja die Eigentumsverhältnisse ändern. In der TA vom 12. Juli hieß es dazu: „LINKE will Banken verstaatlichen“. Ist das verändert worden oder hat die TA mal wieder was nicht richtig verstanden? 


Eine Verstaatlichung im engeren Sinne ist, bezogen auf Wirtschaft und Banken, nicht unser Konzept. Andererseits sind wir der Auffassung, dass die großen Banken und die strukturbestimmenden Konzerne unter gesellschaftliche Kontrolle gehören und somit auch die Eigentumsfrage ins Feld geführt wird. Wir müssen die Kapitaldominanz  zurückdrängen. Dazu sind stärkere gesellschaftliche Kontrollmaßnahmen und mehr Einfluss derjenigen, die die Werte produzieren notwendig. In Bereichen wie der Energieversorgung wollen wir die Unternehmen natürlich aus dem privaten Eigentum herauslösen. Es geht dabei aber um Vergesellschaftung, um kommunales Eigentum, in anderen Bereichen um Belegschafts- oder Genossenschaftseigentum. Das Programm geht ja davon aus, dass wir uns in einer ökonomisch-ökologischen Doppelkrise befinden, die die Demokratie und den sozialen Zusammenhalt enorm gefährdet. Deshalb kann es nicht sein, dass Profit und Konkurrenz und damit die Kapitalinteressen immer wieder hauptsächlich bestimmen, wohin die gesellschaftliche Entwicklung geht.


Die ökonomisch-ökologische Doppelkrise hat auch schon Prof. Dörre in der letzten UNZ beschrieben. Er empfiehlt der Partei eine „lernende Programmatik“. Der Entwurf ist aber 90 Seiten lang. Hat man da nicht schon zu viel festgeschrieben?


Diese lernende Programmatik bezieht sich vor allem drauf, die rasanten gesellschaftlichen Entwicklungen immer wieder aus politischen Gesichtspunkten neu zu analysieren. Insofern kann man gar nicht auf alle Fragen endgültige Antworten haben. Lernende Programmatik heißt vor allem auch, dass man die gewonnenen Erkenntnisse und die politischen Schlussfolgerungen immer wieder auf den Prüfstand stellt, mit der gesellschaftlichen Entwicklung vergleicht und mit den davon betroffenen Menschen diskutiert, so dass auch gesellschaftliche Mehrheiten erreicht werden können. Es ist ja unsere Thüringer Aussage, dass die Debatte innerhalb der Partei und mit der Öffentlichkeit mindestens so wichtig ist, wie das auf dem Erfurter Parteitag zu beschließende Programm selbst. Wir können das Programm nicht als etwas statisches betrachten, sondern vor allem als einen Diskussionsentwurf an die Gesellschaft. Dem wird der vorliegende Entwurf manchmal besser, manchmal nicht so gut gerecht, insgesamt aber schon. Die Länge ist ja ein altes Thema. Der Entwurf ist ein Kompromiss unterschiedlicher Auffassungen innerhalb der Partei, der in dieser Länge mit  der Gesellschaft schwer zu diskutieren ist. Wir werden uns in Thüringen, aber sicher auch auf Bundesebene bemühen, vermittelnde Schwerpunktmaterialien herauszugeben. Wenn es uns gelingt, vernünftig mit der Öffentlichkeit zu diskutieren, ist die Länge nicht so entscheidend.

  

Wenn es um die konkrete Mobilisierung der Gesellschaft geht, liest man aber wenig Konkretes …


Auf die Akteure in der Gesellschaft wird schon mehrfach verwiesen. Mir kommt etwas anderes noch zu kurz. Wir brauchen eine umfassende Demokratisierung der Gesellschaft, wenn wir entsprechende Wandlungen vorantreiben wollen. Dazu brauchen wir eine Ergänzung der repräsentativen Demokratie durch die direkte Demokratie. Das heißt, wir müssen in den nächsten Jahren die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Menschen mitgenommen werden  und sich selber an den politischen Entscheidungen beteiligen. Das gilt gerade auch für Finanzen und Haushalte, was jetzt auf Landesebene bei Volksentscheiden immer noch ausgenommen ist. Das ist im Entwurf  noch ausbaufähig. 


Nach wie vor haben aber viele Menschen regelrecht Angst vor der LINKEN, weil sie sich vor allem an die negativen Seiten im real existierenden Sozialismus, allen voran die Verfolgung von Andersdenkenden, erinnern. Wie kann man ihnen diese Angst nehmen und sie von den gemeinsamen politischen Zielen überzeugen, auch über die Formulierungen im Programm hinaus?  


Wir haben uns als PDS bzw. als LINKE 20 Jahre im demokratischen System bewährt. Unsere Mitglieder und die Mandatsträger haben nachgewiesen, dass sie die Demokratie verteidigen und als unabdingbar ansehen. Wir haben 1989/90 mit dem Stalinismus als System gebrochen, weil die Demokratie ad absurdum geführt wurde und es Menschenrechtsverletzungen und  selbst Verbrechen im Namen des Sozialismus gab. Deswegen muss jede sozialistische Partei immer wieder kommunizieren und leben, dass Sozialismus nur unter demokratischen Bedingungen zu Stande kommen kann. Eine Partei alleine kann das niemals entscheiden, sondern nur eine breite gesellschaftliche Mehrheit. Wir müssen auch darauf achten, unsere Vorstellungen nicht in einem Wolkenkuckucksheim zu sehen, sondern  heute erlebbare Veränderungen für die Menschen erreichen, wie z. B. den Mindestlohn, eine Bürgerversicherung oder die Abkehr von Auslandseinsätzen der Bundeswehr und das Beenden von Kriegen.  


Zu den gesellschaftlichen Mehrheiten braucht es auch parlamentarische Mehrheiten bzw. eine Regierungsbeteiligung der LNKEN. Wie hoch ist die Gefahr, dass im Programm durch so genannte rote Haltelinien Schranken auferlegt werden, welche die Regierungsfähigkeit, gerade auch auf Landesebene, dezimieren?   


Da sehe ich kein Problem, denn über Regierungsbeteiligungen wird immer ganz konkret in den Ländern entschieden. In Thüringen haben wir immer Positionen vertreten, die wir auch in einem Regierungsprogramm einbringen und umsetzen können. Was im Programm steht ist überhaupt nicht gegen eine pragmatische Tagespolitik gerichtet. In dem wir uns für konkrete politische Ziele einsetzen, machen wir auch den ersten Schritt in eine andere Gesellschaft. Das geht auch mit einer Regierungsbeteiligung.


In einem Brief an die Mitglieder sprach Gesine Lötzsch davon, dass in der Diskussion über den Entwurf viel gelernt wurde. Welche Lerneffekte gab es speziell in Thüringen?


In Thüringen haben wir die Programmdebatte genutzt, um eine breite politische Diskussion zu den wichtigsten aktuellen und perspektivischen Fragen zu führen. Einen solchen Diskussionsprozess mit so vielen inhaltlichen Zuschriften von Parteimitgliedern hatten wir in den letzten Jahren noch nie. Die Programmdebatte hat dadurch auch das politische Profil des Landesverbandes gestärkt, nicht nur in der Spitze, sondern auch in der Breite. Dadurch konnten wir auch unsere Thüringer Grundsätze im Programm stärken, z. B. die Hervorhebung der Demokratiefrage oder die von Prof. Klaus Dörre konstatierte  ökonomisch-ökologische Doppelkrise.    


Sie sehen aus Thüringer Sicht dem Erfurter Parteitag gelassen entgegen? 


Gelassen nicht unbedingt, denn wir werden im August noch intensiv darüber diskutieren, inwieweit wir auf dem Parteitag noch den ein oder anderen Änderungsantrag stellen. Wir wünschen uns an manchen Stellen noch deutlichere Formulierungen. Beim jetzigen Stand der Dinge gehe ich aber davon aus, dass der Parteitag das Programm mit einer breiten Mehrheit annehmen wird. Trotzdem ist es demokratisch richtig und wichtig, auf dem Parteitag noch einmal eine intensive Debatte zu führen. Diejenigen, die immer behauptet haben, wir könnten uns in dieser Partei nicht auf die wichtigs-ten programmatischen Eckpunkte einigen, sollten auf jeden Fall jetzt schon eines Besseren belehrt sein. 

Thomas Holzmann