Viele haben gar nicht mehr gewusst, was in der Stadt überhaupt passiert

Die Kommunalwahl brachte für DIE LINKE gleich zehn strahlende Siegerinnen und Sieger. Absolute Newcomerin ist die neue Bürgermeisterin von Kahla, Claudia Nissen.

Wie kamen Sie als junge Anwältin auf die Idee, sich für DIE LINKE in der Kahlaer Kommunalpolitik zu engagieren?



Der Onkel von meinem Freund, der für DIE LINKE ein Mandat hatte, wollte sich aus dem Stadtrat zurückziehen. Ich habe dann gleich gesagt: Das würde ich gerne machen. Ursprünglich nach Kahla kam ich nach dem Studium in Jena der Liebe wegen.

 

Oftmals haben es junge, neue Kandidaten schwer, gerade bei Kommunalwahlen. Wie erklären Sie sich den Sieg?


Der Amtsinhaber, Bernd Leube  hatte seinen Anspruch auf Pension erreicht und trat deswegen nicht noch einmal an. Ich hatte bei der Stadtratswahl die zweitmeisten Stimmen nach dem Bürgermeister. So habe ich mir gesagt, warum sollte ich das nicht auch machen können?


Und jetzt können Sie richtig frischen Wind in die Amtsstuben bringen?

 

Auf jeden Fall. Ich bin neu und unvoreingenommen und muss auf niemanden Rücksicht nehmen. Freie und ungebundene Politik machen zu können, wird sicherlich ein großer Vorteil sein.


Wo sehen Sie konkret die ersten Projekte, die in Kahla angegangen werden müssen?


Das größte Problem ist: die Stadt ist Pleite. Viel Neues kann ich unter diesen Vorraussetzungen nicht sofort schaffen. Mir geht es vor allem darum, den Menschen die Kommunalpolitik überhaupt wieder nahe zu bringen. Viele haben gar nicht mehr gewusst, was in der Stadt und in der Verwaltung überhaupt passiert. Ich will versuchen, mit den Bürgern wieder ins Gespräch zu kommen, damit sich auch wieder Interesse an Politik entwickelt. Wenn das Interesse da ist, dann werden auch Menschen kommen, die sagen, wir setzen dieses oder jenes Projekt gemeinsam um, auch wenn kein Geld da ist.

 

Das klingt nach großer Ehrlichkeit. Geht das in der Politik überhaupt dauerhaft? 


Ehrlichkeit und Gerechtigkeit sind mir sehr wichtig. Das geht in der Politik auf jeden Fall. Man muss es nur wollen. 


Nur mit Ehrlichkeit alleine sind Finanzprobleme in Kahla aber kaum in den Griff zu kriegen …


Die Frage haben schon viele gestellt. Ein Patentrezept dafür gibt es nicht. Wir müssen es erstmal schaffen, überhaupt wieder einen ordentlichen, von der Kommunalaufsicht genehmigten Haushalt, vorzulegen.

 

Sie haben angekündigt, die Wohnungsbaugenossenschaft keinesfalls zu privatisieren. Wie wäre es denn, in Kahla Wohnraum für Jenaer Studenten zu schaffen und so die Finanzlage zu verbessern?


Da sind wir schon dabei und das möchte ich weiter forcieren. Da sollten wir speziell auch schauen, kleine und vor allem auch WG-geeignete Wohnungen für Studenten aus Jena zu schaffen. Problem ist die Verkehrsanbindung. Speziell nachts braucht es eine Gelegenheit, von Jena nach Kahla zu kommen. Da will ich versuchen mit der Bahn ins Gespräch zu kommen, so dass um zwei oder um drei noch ein Zug fährt.


So schlimm die Finanzlage Kahlas ist, das wesentlich größere Problem scheint der Rechtsextremismus zu sein. Wie wollen Sie dem Thema begegnen?


Bis jetzt haben viele gesagt, Kahla hat gar kein rechtes Problem. Deswegen wurde alles immer unter den Tisch gekehrt. Wenn im Stadtbild aber immer wieder das FN (Freie Nationalisten) auftaucht, dann muss das viel stärker publik gemacht und Aufklärungsarbeit betrieben werden. Zu wenige wissen, was tatsächlich vor sich geht. Ich habe selber einen Anschlag auf meinen Briefkasten erlebt, auch wenn nicht sicher ist, dass tatsächlich Rechtsextreme dafür verantwortlich sind. Aber wir dürfen keine Angst vor einer Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus haben. Je breiter die Masse wird, die sich gegen Rechtsextremismus engagiert, desto eher kann man den Menschen auch die Angst vor Repressalien nehmen.

  

Bereits vor der Stichwahl hatten LINKE und SPD sich für eine bessere Zusammenarbeit entschieden. Kann der erfolgreiche, gemeinsame Wahlkampf auch in einer Stadt wie Kahla zu konkreten Politikergebnissen im Alltag führen?

 

In Kahla ist das mit der SPD eher schwierig. Ich will zuerst eine Sachpolitik für die Stadt machen und keine Parteipolitik. Dinge, die DIE LINKE vertritt, werde ich natürlich verstärkt forcieren. In erster Linie geht es mir aber darum, dass die Stadt voran kommt.

 

Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat dürfte es aber nicht einfach werden so etwas wie einen Bürgerhaushalt einzuführen. 


Ja, aber da ist Aufklärungsarbeit gefragt. Ich muss die Leute von den Vorteilen eines Bürgerhaushalts überzeugen. Da ist viel Kraft gefragt. Aber von dem was gut und vernünftig ist, wird man die Menschen früher oder später auch überzeugen können.


Gut und vernünftig ist auch die Energiewende. Wie sieht es da in Kahla aus?


Mit einem leeren Stadtsäckel lässt sich wenig machen, auch wenn das noch so wichtig ist. Erstmal müssen neue Anlagen finanziert werden und das ist momentan nicht drin. Sicher werden wir ein Energiekonzept erarbeiten und schauen, wo wir einsparen können. Aber zunächst ist mir der Erhalt bestehender Sport-, Sozial-, und Freizeiteinrichtungen wichtiger. 

  

Dafür braucht man auch die Vereine. Wie wollen Sie die besser einbinden?


Ich könnte mir vorstellen, dass der Bauhof die Vereine bei Veranstaltungen mehr unterstützt. Gut wäre es auch, mehr Vereinsfeste in die Stadt, ins öffentliche Leben zu bringen. So hätte jeder etwas davon und unsere schöne Altstadt könnte deutlich an Attraktivität gewinnen.


Immer wichtiger wird die Seniorenpolitik und ganz besonders die Barrierefreiheit. Dem kann sich die Politik auch nicht mit dem Verweis auf die Finanzen einfach entziehen.


Bei Neubauten müssen wir auf jeden Fall darauf Rücksicht nehmen. Ich will, dass die Senioren ihre täglichen Wege barrierefrei erledigen können. Da hoffe ich natürlich auch auf die Unterstützung von Vereinen und vielleicht von ortsansässigen Unternehmen. Das ist am Anfang eine meiner wichtigsten Aufgaben, für solche Projekte das Interesse zu wecken. Bis jetzt wurde da vieles im Keim erstickt und die Atmosphäre war nicht gut. Deswegen werde ich mich am Anfang bei allen vorstellen und einen klaren Neuanfang wagen. Da muss ich auch erstmal sammeln, was die  Leute wirklich wollen und was gebraucht wird. Ich wünsche mir, dass die Menschen wieder Vertrauen in ihre Bürgermeisterin gewinnen. Dieses Angebot werde ich machen und bin mir sicher, dass es auch angenommen wird. 


Thomas Holzmann