Unwissenheit fördert Vorurteile und Angst vor fremden Kulturen

Mehr als die Hälfte der Asylsuchenden in Thüringen lebt in Gemeinschaftsunterkünften, isoliert von der Gesellschaft. Viele Thüringer haben auch deswegen keinen Kontakt zu Ausländern und sind leicht empfänglich für Vorurteile

Im Herbst wurde viel über Thilo Sarrazins Buch und das Thema Integration geredet. Die Debatte wurde nun wieder vom Terrorismus abgelöst. Kann es sein, dass das alles nur gezielte Störfeuer sind, die von anderen Problemen wie Atommüll oder Stuttgart 21 ablenken sollen?  


Sarrazin versteht es als gnadenloser Populist leider sehr gut, Treffer in der medialen Berichterstattung zu landen. Das Thema wurde dann entsprechend aufgegriffen und gesagt, wir reden jetzt mal über Integration. Jeder hat anschließend geglaubt, dazu etwas sagen zu müssen. Aber kaum jemand hat tatsächliche Angebote oder Konzepte vorgelegt, wie eine bessere Integration von Ausländerinnen und Ausländern aussehen soll. Auch die Medien hat das in der Tiefe nicht interessiert. Würde man da rangehen wollen, müsste ganz am Anfang begonnen werden, wenn Menschen als Flüchtlinge nach Deutschland kommen und ihren Asylantrag stellen. Wenn wir da ehrlich zu uns selbst wären, würden wir zu dem Schluss kommen, dass Integration für Asylsuchende unmöglich ist, denn erst wenn der Asylantrag angenommen ist, haben die Menschen Anspruch auf Integrationsleistungen des Staates. 


Sind diese Menschen davor illegal in Deutschland?


Nein, aber sie werden in hohem Maße durch die Form der Leistungsgewährung diskriminiert. Kinder von Asylsuchenden dürfen zwar in die Schule oder den Kindergarten gehen, Asylsuchende und auch geduldete Flüchtlinge aber haben z. B. keinen Rechtsanspruch auf Sprachkurse. Sie müssen in der Regel völlig isoliert, in gesonderten Gemeinschaftsunterkünften wohnen. In Thüringen leben 56 Prozent der Asylsuchenden in solchen Lagern. Dabei wird natürlich die Begegnung mit der einheimischen Bevölkerung sehr erschwert, wenn nicht sogar unmöglich. Durch die Residenzpflicht dürfen sie sich in Thüringen ja nicht einmal frei bewegen, sondern sitzen in ihrem jeweiligen Landkreis fest, in dem sich ihre Ausländerbehörde befindet. Sie dürfen ohne Erlaubnis nicht mal zu einem wichtigen Termin in einen anderen Landkreis fahren.


Im Thüringer Landtag gibt es mit SPD, Grünen und LINKEN theoretisch eine deutliche Mehrheit für die Abschaffung der Residenzpflicht. Warum setzt die SPD ihr eigenes Wahlprogramm in dieser Frage nicht um? 


Im SPD-Wahlprogramm stand, „die Residenzpflicht weiten wir auf ganz Thüringen aus“, sprich Bewegungsfreiheit für Asylsuchende wird zumindest innerhalb des Freistaates ermöglicht. Diese Forderung wurde aber schon im Koalitionsvertrag aufgeweicht. Nach dem im Spätsommer  vorgelegten Verordnungsentwurf sollte die Residenzpflicht nur auf angrenzende Landkreise erweitert werden. Will man wo anders hin, bleibt das ganze Prozedere und der bürokratische Aufwand mit der Behörde so, wie vorher auch. Dabei geht es ja nicht mal um die freie Wahl des Wohnortes, sondern nur um das vorübergehende Verlassen, also um kurzzeitige Aufenthalte außerhalb des so genannten Residenzbezirkes. Statt der alten ganz kleinen Residenzbezirke werden jetzt etwas größere geschaffen. An der rassistischen Kontrollpraxis beispielsweise ändert sich nichts. Da werden Flüchtlinge von der Polizei kontrolliert, nur weil sie als Flüchtlinge erkennbar sind.   


Was passiert, wenn ein Asylsuchender außerhalb seiner Residenz aufgegriffen wird?  


Bei den ersten beiden Malen ist es eine Ordnungswidrigkeit, für die es eine Geldbuße gibt, die sie von ihrem Taschengeld bezahlen müssen. Bei Wiederholung wird es zum Straftatbestand und dann kann sogar das Gefängnis drohen.  

 

Versucht man gerade Menschen aus islamischen Ländern eine Art Sündenbockcharakter anzuhängen, damit sie für alles, was schlecht läuft verantwortlich gemacht werden können, so wie man es in der Geschichte oftmals mit den Juden gemacht hat?

  

Das sehe ich auch so. Bei Sarrazin sind es ja Juden und Muslime die beschimpft werden. Gerade was Muslime angeht, ist das ein Thema, was sehr gerne aufgegriffen wird, besonders an den Stammtischen. Es wird hier versucht, eine ganze Bevölkerungsgruppe als Bedrohung darzustellen. 

Studien zeigen aber, dass viele Menschen, die Angst und Vorurteile gegenüber dem Islam haben über gar keine Kontakte zu Moslems verfügen …


Diese Angst vor Fremden und Unbekanntem ist leider trauriger Alltag, auch in Thüringen. Die Menschen fürchten sich vor dem, was sie nicht kennen. In den letzten Jahren hat sich dabei aus meiner Sicht aber nicht viel geändert. In Thüringen haben wir nur wenige Ausländer und in vielen Landstrichen kommt man überhaupt nicht mit Ausländern in Kontakt. Das fördert natürlich Unwissenheit und Vorurteile und dadurch entsteht die Angst vor fremden Kulturen.    


In Thüringen leben insgesamt rund 33.000 Ausländer. Wie steht es ganz allgemein um deren Integration?


Ich denke, dass die allermeisten sehr bemüht sind, hier in diesem Land anzukommen und sich zu integrieren. Sei es mit den Kindern in der Schule, bei der wirtschaftlichen Betätigung oder in Vereinen. Viele erbringen sehr hohe Integrationsleistungen. Geredet wird aber immer nur über einige wenige Negativbeispiele und nie über die vielen Positiven. 

    

Die Negativbeispiele werden dann gerade auch von Rechts instrumentalisiert und alle über einen Kamm geschoren. Dagegen sind staatliche Hilfsmaßnahmen mehr als angebracht. Was ist eigentlich aus dem Landesprogramm gegen Rechtsextremismus geworden?


Es gibt mittlerweile einen Entwurf. Der ist aber sehr schwammig formuliert, analytisch schwach und es steht nicht wirklich etwas Konkretes drin, wo z. B. Stellen und Beratungszentren und der gleichen geschaffen werden sollen. Das kritisieren auch viele Organisationen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Mit dem, was DIE LINKE und die SPD vor der Landtagswahl gemeinsam erarbeitet haben, hat das eigentlich gar nichts mehr zu tun.


In Ihrer Heimat Arnstadt sitzt mit Hans-Christian Köllmer, der auch Sarrazin offen unterstützt hat, immer noch ein Bürgermeister im Amt, der mit Faschisten und Rechtsextremen zumindest sympathisiert. Gibt es irgendeine Chance, ihn vor der nächsten Wahl aus dem Amt zu befördern.

 

Leider nein. Wir hatten es mit einer Abwahl durch den Stadtrat versucht, das ist aber abgelehnt worden. Bis zu den Wahlen 2012 wird nichts mehr passieren, aber da wird Köllmer wohl nicht mehr antreten. Ich habe noch ein bisschen die Befürchtung, dass er womöglich für „Pro Deutschland“ für den Bundestag kandidieren könnte.  


Am 10. Dezember war der internationale Tag der Menschenrechte. Was würden Sie sich für die Migrantinnen und Migranten in Zukunft wünschen?

 

Ich würde bei den Leistungen ansetzen. Flüchtlinge sollten Anspruch darauf haben, in einer richtigen Wohnung leben zu können, anstatt in den so genannten Gemeinschaftsunterkünften. Außerdem sollte man ihnen Bargeld statt Gutscheine geben, um nicht noch weiter unter das Existenzminimum zu kommen, als dies ohnehin schon durch die abgesenkten Leistungshöhen im Asylbewerberleis-tungsgesetz festgeschrieben ist. Wichtig wäre es, endlich für eine bessere Anerkennung von Schul- und Berufsabschlüssen zu sorgen. Die derzeitigen Verfahren sind viel zu kompliziert. Gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels wäre das auch für Thüringen ein wichtiger Schritt. Bei Asylsuchenden und Geduldeten findet man viele Hochqualifizierte, die aber nicht in ihrem erlernten Beruf arbeiten können. Manche sind dann so lange außen vor, dass es schwierig wird, wieder in den Job hinein zu kommen, gerade bei technischen Berufen, wo es eine ständige Weiterentwicklung gibt. Wenn man hier etwas verbessern würde, wäre das nicht nur eine große Chance für die Flüchtlinge, sondern auch für die deutsche Gesellschaft.