Umdenken auf beiden Seiten

Seit 2009 führt Knuth Schurtzmann eine gemeinsame Fraktion der LINKEN und der Grünen im Saale-Holzland-Kreis. Durch die Kreistagsarbeit haben die Grünen DIE LINKE in Sachen Nachhaltigkeit sensibilisiert und DIE LINKE die Grünen beim Thema Soziales: Jetzt rollen sich nicht mehr mit den Augen, wenn es um die Unterstützung der Tafeln geht.

Es kommt neuer Schwung in die Debatte um rot-rote oder rot-rot-grüne Bündnisse. Im Saale-Holzland-Kreis sind Sie seit 2002 Fraktionsvorsitzender und ab 2009 Vorsitzender einer gemeinsamen Kreistagsfraktion von LINKEN und Grünen. Kann man diese Erfahrungen für die Landes- und Bundesebene verallgemeinern?

 

Ich denke schon, dass das vergleichbar ist. Als überzeugter Demokrat weiß ich, dass sich Demokratie immer von unten nach oben und nicht anders herum entwickelt. Die handelnden Parteien legen ihre Berührungsängste erst dann ab, wenn sie von der eigenen Basis gesagt kriegen: Wir arbeiten hervorragend mit der LINKEN zusammen. Dann sinkt auch die Hemmschwelle, mit uns in der Sache zu kooperieren.  

 

Also ist das, was im Saale-Holzland-Kreis passiert, Pionierarbeit?

 

Es ist eine Art Pilotprojekt. Nach der letzten Kommunalwahl hatten die Grünen nur zwei Mandate im Kreistag. Das hätte bedeutet: keine Fraktionsstärke und damit keine Beteiligung an den Ausschüssen. Wir haben angeboten, sie bei uns mit aufzunehmen, damit sie in den Ausschüssen wirken können, nicht mehr und nicht weniger. Darauf hat, Olaf Möller von den Grünen bei der Konstituierung des Kreistages gesagt: DIE LINKE ist für uns die einzige demokratische Fraktion, weil sie die Einzige ist, die in Fragen von Transparenz und Demokratie aus der Geschichte gelernt hat. So eine Aussage, vom früheren Landessprecher der Grünen, hat unsere Kreistagsfraktion geadelt. 

 

Welche Vorteile ergeben sich aus der gemeinsamen politischen Arbeit mit den Grünen noch?

 

Vor allem inhaltlich hat uns das viele positive Effekte gebracht. In dieser Legislatur hatten wir so viele landwirtschaftliche, nachhaltige und Umweltthemen auf der Agenda wie noch nie. Da haben uns die Grünen sensibilisiert. Dass Massentierhaltung nicht gut ist, das wussten wir, aber wir haben zu wenig über Alternativen nachgedacht. Auch ein Energiekonzept haben wir mit den Grünen erarbeitet. Im Gegenzug haben wir sie bei sozialen Themen sensibilisiert, ihnen klar gemacht, wie eine Hartz-IV-Familie wirklich lebt und warum wir Hartz-IV-Beratungen anbieten. Deshalb haben sie jetzt einen ganz anderen Zugang und stimmen z. B. für die Unterstützung der Tafeln, anstatt wie früher nur die Augen zu verdrehen.  Es hat ein Umdenkprozess auf beiden Seiten statt gefunden. Beim Neujahrsempfang haben wir ausschließlich Bioprodukte aus der Region angeboten. Das war zwar teurer als sonst, hat aber die Diskussion über regionale Wirtschaftskreisläufe und Nachhaltigkeit erst recht weiter angeregt.   

 

Wäre so etwas auch mit der SPD-Fraktion denkbar?

 

Noch Ende der neunziger Jahre hat man sich nicht einmal die Hand gegeben, was aber vor allem an den handelnden Personen lag – auf beiden Seiten. Heute ist die Haltung bei der SPD gemischt, tendenziell aber zur Zusammenarbeit bereit. Seit 2009 werden wir mit ihnen zusammen durchaus  als Opposition wahrgenommen, auch wenn, wir weiterhin eigenständige Fraktionen haben. 

 

Gibt es Beispiele, bei denen es gelang, die konservative Mehrheit im Kreistag zu überwinden? 

 

Ja, aber dazu muss man parlamentarische Tricks anwenden und viel Geduld haben. Vor drei Jahren gab es von uns einen Antrag für die paritätische Förderung aller drei staatlich anerkannten Museen im Kreis. Das ist zunächst abgelehnt worden, wurde aber weiter diskutiert.  Nach Jahren kam dann die CDU mit dem Antrag. Wir haben uns dann bereit erklärt, den zu unterstützen, auch wenn der nicht optimal ist, weil er nur zwei der drei Museen beinhaltete, aber es geht schon mal in die richtige Richtung. Stichwort: Links wirkt! Ansonsten ist die Hemmschwelle der Mehrheit aus CDU, FDP und Bauernverband einfach noch zu groß, um einen Antrag der LINKEN zu unterstützen. Dafür ist es uns aber schon  gelungen, einzelne Fraktionen dazu zu bringen, mit uns zu stimmen. Bei einer Mehrheit von nur drei Stimmen im konservativen Lager kann sich das richtig lohnen. So hat es im letzten Jahr dazu geführt, dass – erstmals in der Geschichte des Saale-Holzland-Kreises – der Haushalt nicht in der ursprünglichen Fassung genehmigt wurde.

 

Könnte ein solcher Prozess zu einer Entparteipolitisierung der Kommunalpolitik führen?

 

Das könnte für die Parteien, auch für DIE LINKE, noch zum Problem werden. Die Tendenz, dass auf den unteren Ebenen, Parteien eine immer  untergeordnetere Rolle spielen, sehe ich jetzt schon. Bei uns tritt auch der Feuerwehr- und der Kulturverein bei der Kommunalwahl an. Andernorts sind es Bürgerbündnisse, die sich speziell für ihren Ort einsetzen wollen.  Ich sage aber, wir brauchen nicht für jedes Dorf mit hundert Einwohnern eine eigene Fraktion der LINKEN und noch eine der CDU. Man muss  doch nicht einen Bratwurstrost mit LINKEN-Schirm und einen mit CDU-Schirm haben, wenn ein gemeinsamer es auch tut. Dieser Ansatz kann auf Gemeindeebene funktionieren und zukünftig vielleicht auch auf der Kreisebene. Momentan schätze ich aber, dass die Organisationsstruktur von Vereinen und Verbänden auf Kreisebene dafür noch zu schwach ist. 

 

Hat der Saale-Holzland-Kreis hier eine Sonderstellung oder könnten andere Kreise diesem Beispiel relativ leicht folgen? 

 

Ich halte das für durchaus möglich. Das hängt aber auch immer von den vor Ort handelnden Personen ab. Ich persönlich halte mich für sehr offen gegenüber Andersdenkenden und anderen Ideologien. Ich mache bei einer Straßenblockade mit, bin aber auch bereit, mit bekennenden „Hilfsneonazis“ Fußball zu spielen und danach beim Bier über Politik zu reden. Ich finde es wichtig, hier einen Ansatz zu haben, die den einen oder anderen dann doch zum Nachdenken bringt.  Wenn ich mich für Mehr Demokratie e. V. einsetze, trage ich auch nie das T-Shirt der LINKEN, sondern immmer das von Mehr Demokratie und in dieser Reihenfolge werde ich wahrgenommen: als überzeugter Demokrat und bekennender LINKER. Wenn man diese Schwelle für sich persönlich überwinden kann und bereit ist, mit anderen wahren demokratischen Kräften nach Gemeinsamkeiten zu suchen und nicht nur über absolute Mehrheit nachdenkt, dann weicht das starre Parteikonstrukt in der Tat immer weiter auf. 

Für Mehr Demokratie setzt sich DIE LINKE immer ein, aber wird es auch in der täglichen Arbeit vorgelebt? 

 

Ich denke, dass wir uns da noch stärker engagieren müssen. Das Problem ist der enorme Erwartungsdruck, den wir uns vor Wahlen selbst aufbauen. Ich bin da entspannter, weil ich eine Vision habe: Ich halte eine andere Gesellschaftsordnung als den Kapitalismus für möglich. Nicht unbedingt 2014, vielleicht auch nicht 2018. Demokratie ist ein Prozess, der Zeit braucht! Natürlich muss die Partei auf Wahlergebnisse schauen, schließlich geht es auch um Geld, dass für die politische Arbeit gebraucht wird. Aber selbst als wir 2002 keine Bundestagsfraktion hatten, ist die Partei daran nicht kaputt gegangen – im Gegenteil. Vielleicht hat uns das sogar wieder auf den Boden der Realität zurückgebracht. Wenn wir als LINKE auf mehr Demokratie pochen, dann sollten wir uns für Reformen wie das Kumulieren (mehrere Stimmen für einen Kandidaten) und Panaschieren (Stimmen für unterschiedliche Listen) einsetzen. Das würde die Mischung aus Fachexperten und bürgernahen Politikern in den Parlamenten deutlich verbessern. Ein guter Fachpolitiker würde dann immer gewählt werden, weil man ihn überall kennt, da spielte es keine Rolle mehr, wenn er von seiner Partei nur auf Listenplatz 30 gesetzt wird. Die größte Zerstrittenheit gibt es immer bei den Aufstellungen von Listen. Das könnten wir uns sparen, wenn die Wähler den Parteien per Kumulieren und Panaschieren die Listen zerpflücken könnten. 

 

Die letzte Kommunalwahl 2012 war für DIE LINKE überaus erfolgreich. Entsprechend hoch dürfte die Erwartungshaltung für 2014 sein. 

 

Für meinen Kreis sage ich voraus, dass wir erstmals die Chance haben werden, die „schwarze“ Mehrheit zu knacken. Ich will, dass unser Lager, LINKE, SPD, Grüne, mehr Stimmen bekommt, als das Konservative aus CDU, FDP und Bauernverband. Das ist für mich wichtiger, als die Frage, ob wir als LINKE ein Mandat mehr oder weniger haben. Ich möchte natürlich, dass unsere Fraktion die stärkere bleibt, zumal ich im Kreis durchaus als Oppositionsführer wahrgenommen werde. Aber ich weiß auch, dass es wohl nur dann reichen wird, wenn SPD und Grüne ebenfalls zulegen können. Deswegen machen wir mit den Grünen zusammen eine Rechenschaftstour durch den Kreis. Inhaltlich machen wir vieles gemeinsam und das kann sich auch mit die SPD entwickeln. Wir werden niemals alle einer Meinung sein, aber die Schnittmengen zwischen LINKEN, SPD und Grünen sind eindeutig vorhanden und, wenn sich eine entsprechende Mehrheit ergibt, dann sollten wir auch versuchen, sie zu nutzen.          

 

Thomas Holzmann