Schluss mit Erbsen zählen: Warum wir eine Neuordnung bei der Bahn brauchen.
Schon zweimal hat Bodo Ramelow im Tarifkonflikt bei der Bahn vermittelt. UNZ sprach mit ihm über den Streit zwischen EVG und GdL sowie über Auswege aus der Sackgasse Tarifeinheitsgesetz.
Sie haben Claus Weselsky bei den Schlichtungen kennen gelernt. Was ist er für ein Typ?
Er ist ein aufrechter und gerader Gewerkschafter. Ich finde die Art und Weise, wie dieser Konflikt personalisiert und wie diese Person verteufelt wird, alarmierend. Wie kann man einen Menschen so niedermachen, nur weil er die Interessen seiner Mitglieder konkret und nachdrücklich vertritt?
Selbst der DGB-Chef Reiner Hofmann drosch auf Weselsky ein. Warum stellt er sich nicht hinter ihn?
Das ist der Konkurrenzkampf zwischen dem Deutschen Beamtenbund (DBB) und dem DGB, weil die Gewerkschaft der Lokführer (GdL) dem DGB nicht angehört. Vor 30 Jahren, hätte ich für die GdL wahrscheinlich auch keinen Handschlag gemacht. Aber, um das zu verstehen, muss man sich mit der GdL beschäftigen. Sie ist aus einer Standesorganisation, einer Beamtenorganisation, heraus gewachsen, auch heraus gedrängt worden. Heute ist sie eine kämpferische Gewerkschaft.
Über die Transformation der Gewerkschaftslandschaft seit 1990 könnte man locker eine Doktorarbeit schreiben. Versuchen sie bitte die grob zu skizzieren.
Die alte westdeutsche Struktur bei der Eisenbahn war überschaubar. Es gab die große Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED). Das war die mit Abstand größte DGB-Gewerkschaft im Staatskonzern Deutsche Bahn. Dort gab es viele unterschiedliche Berufsgruppen. Eine davon, die Lokführer, waren verbeamtet. Das gab es übrigens auch bei der Post: Die Busfahrer. Mein Onkel war so ein Beamter. Für die Arbeitergeber hat dieser Beamtenstatus natürlich den Vorteil, dass niemals gestreikt werden kann. Das galt aber nicht für das Zugbegleitpersonal. Zu der Zeit war die GdL eine reine Ständeorganisation und überhaupt nicht kämpferisch. Das änderte sich als die große Reichsbahn in die kleinere Deutsche Bahn hineingepresst wurde. Plötzlich waren ganz viele Lokführer aus dem Osten übrig. Die sind in den Westen versetzt worden, wenn sie nicht ihren Arbeitsplatz verlieren wollten, aber eben nur als Angestellte. Zeitgleich begann die Umwandlung der Bahn in eine Aktiengesellschaft. Das ging einher mit einer Lohnsenkung: 18 Schichten mehr, ohne Entgelt. Hier kommt erstmals die GdL ins Spiel. Die weigerte sich nämlich, diesen Vertrag zu unterschreiben und hat dagegen gekämpft. Es gab dann zwei Player in der Eisenbahn: die neue Eisenbahn-Gewerkschaft EVG, fusioniert aus der Verkehrsgewerkschaft GDBA und Transnet (ehemals GdED) sowie die GdL. Wobei die GdL im Beamtenbund geblieben ist, sich aber heute viel mehr öffnet. Ihr Anspruch ist, alles was rund um die Schiene als Arbeitnehmer tätig ist, zu vertreten. So könnte aber die EVG schnell ihren Anspruch verlieren, die größte Gewerkschaft im Betrieb zu sein.
An der Stelle kommt das Tarifeinheitsgesetz ins Spiel.
Die damalige Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat das 2015 extra erfunden. Es ging um die Piloten-Gewerkschaft Cockpit, die Flugbegleiter-Gewerkschaft UFO und die GdL. Dazu käme auch noch die Ärzte-Gewerkschaft Marburger Bund. Aber da hat man vermieden, es zum Konflikt werden zu lassen. Auch bei Cockpit und UFO hat man sich irgendwie geeinigt. Nur bei der Bahn wird das Tarifeinheitsgesetz gegen die unliebsame GdL angewandt. Das ist eine Disparität in der Waffengleichheit. Der Arbeitgeber Bahn hat mit dem Gesetzgeber und Eigentümer eine kollusive Handlung begangen, mit dem der Bahnvorstand die GdL einschüchtert.
Welchen Ausweg gibt es? Eine Schlichtung hatten sie ja abgelehnt, weil es von Seiten der Bahn kein vernünftiges Angebot gibt.
Es gibt aktuell keinen Schlichtungsanruf. Insofern habe ich auch nicht abgelehnt. Die Schlichtung, die im Raum stand, war eine im letzten Jahr. Damit beginnt die Provokation. Der Arbeitergeber hat letztes Jahr die Zusatzversorgung – es geht um zusätzliche Renten – gekündigt. Das ist ein eklatanter Vorgang. Der Bahnvorstand hat gleichzeitig mit Hilfe des Tarifeinheitsgesetzes feststellen lassen wollen, wer in den rund 200 Bahnbetrieben die mehrheitlichen Gewerkschaftsmitglieder hat. Viele dieser Feststellungen sind vor Arbeitsgerichten gelandet. Der Arbeitgeber versucht mit der Anwendung des Tarifeinheitsgesetzes die GdL davon abzubringen, überhaupt streikfähig zu sein. Wenn in den Einzelbetrieben, z.B. bei DB Cargo, die in der EVG organisierten rollenden Beschäftigten mehr Leute als die GdL haben, dann ist die GdL nach dem Tarifeinheitsgesetz nicht mehr handlungsfähig.
Wobei Weselsky meint, die GdL könnte auch noch Leute werben und so zur größeren Gewerkschaft werden.
Nicht in der Summe, aber in den Betrieben. Die GdL ist wesentlich kleiner. Aber was sagt denn die große Mitgliederzahl der EVG, wenn ein Hauptteil der Mitglieder in anderen Bereichen beschäftigt ist, der mit dem Konflikt bei Eisenbahn gar nichts zu tun hat? Mit dem Tarifeinheitsgesetz will man eine Gewerkschaft nicht nur an die Kette legen, sondern tarifunfähig machen. Das erklärt die Verbitterung. Deswegen habe ich in den letzten Schlichtungsspruch 2017 mit hineingenommen, dass auf die Anwendung des Tarifeinheitsgesetzes in der Laufzeit des Tarifvertrages verzichtet wird.
Das will die die Bahn aber nicht mehr mitmachen. Wie könnte ein neuer Kompromiss aussehen?
Es gibt zwei Möglichkeiten. Eine wäre, dass die EVG und GdL künftig die Tarifverträge gemeinsam abschließen und zwar mit bindendem Geltungsbereich für beide Seiten. Die andere wäre der dauerhafte Verzicht auf die Anwendung des Tarifeinheitsgesetzes, auch Abdingen genannt.
Könnte, wenn es zu einer rot-rot-grünen Bundesregierung kommt, das Tarifeinheitsgesetz auch einfach wieder abgeschafft werden?
Das wäre absolut wünschenswert. Ich halte das Tarifeinheitsgesetz für überflüssig wie einen Kropf. Ich fände es toll, wenn wir im Zuge der Pariser Klimaziele endlich eine Offensive starten, damit mehr Fracht und mehr Personen auf die Schiene gebracht werden. Das bedeutet letztlich aber auch, dass wir eine Neuordnung der Bahn brauchen. Statt 200 einzelner Betriebe, die jedes Mal Erbsen zählen, brauchen wir Regionalbetriebe und regionale Schienennetze. Wir haben auch in Thüringen das Problem, dass wir unsere Vergabe von Schienenverkehr nicht alleine regeln können. Wir müssen uns immer mit Sachsen-Anhalt an einen Tisch setzen, weil ein Teil der Schienenverbindungen über die Landesgrenzen hinweg geht. Schwierigkeit: Es ist keine In-House-Vergabe (d.h. ohne öffentliche Ausschreibung) möglich. Ich hätte lieber, dass jedes Teilschienennetz dem jeweiligen Bundesland zugeordnet ist. Dann könnten Landeseisenbahn-Verkehrsgesellschaften entstehen. So wie es z.B. in Niedersachen üblich ist. Bei uns wäre es an der Zeit über die Zukunft der Erfurter Bahn nachzudenken und sie zu einer Landes- eisenbahn-Gesellschaft weiter zu entwickeln.
Thomas Holzmann