Nur volle Gleichstellung bringt Gerechtigkeit

Während die Altersarmut zunimmt, bricht Schwarz-Rosa das Versprechen der Rentenangleichung in Ost und West und betrügt die Leute mit der Rente mit 63. Diese sei nur ein Placebo findet Margit Jung, Sprecherin für Familie und Senioren der Linksfraktion im Thüringer Landtag.

 

Schwarz-Rosa plant eine Rente ab 63.  Das hört sich zunächst gut an, aber was steckt wirklich dahinter?

 

Die Rente ab 63, so wie sie jetzt vorgestellt wurde, ist ein Placebo. Für Frauen ist es unwahrscheinlich, dass sie überhaupt auf die für die Rente ab 63 notwendigen 45 Arbeitsjahre kommen. Bei den Männern gibt es auch nur wenige, die das betrifft. Für alle, die studiert haben und für die meisten Mütter, kommt es nicht in Frage. Das ist doch genau der große Betrug. SPD und CDU, Grüne und FDP haben zusammen die größten Einschnitte in der Rente gemacht: Rente erst ab 67, Riesterrente und die Absenkung des Rentenniveaus. Was auch immer die große Koalition plant, Realität ist, dass die Rentenkasse weiter geschmälert wird, auch weil nicht alle einbezahlen und die Bürger deswegen nicht das bekommen, was ihnen eigentlich zusteht.

 

Deswegen soll die Rente, so wie auch die jetzt eingeführte Mütterrente, zukünftig durch Steuern finanziert werden. Was bedeutet das konkret?

 

Die Mütterrente ist eine familienpolitische und keine rentenrechtliche Leistung. Der Staat hat ein Interesse daran, dass Kinder geboren werden und gibt der Frau einen Rentenpunkt für die Zeit, in der sie sich um diese gesellschaftliche Aufgabe kümmert. Diese Staatsaufgabe hat mit dem Versichertensystem erst mal nichts zu tun. Deswegen dürfen die Kosten für die Mütterrenten nicht aus der Rentenkasse finanziert werden.

 

Viele Menschen scheinen das Prinzip der solidarischen Rentenversicherung und des Generationenvertrages gar nicht mehr zu verstehen und glauben, dass sie das, was sie einzahlen, am Ende auch wieder bekommen müssen ...

 

Ja und deswegen ist das auch mit der Rentenangleichung Ost-West so ein Riesenproblem. Wir haben noch immer eine unterschiedliche Bewertung der Entgeltpunkte Ost und West. Weil die Menschen in der DDR in ein ganz anderes System eingezahlt haben, gibt es eine Art  Aufstockungsbetrag. Den kann man natürlich auch nicht einfach abschaffen, wenn man eine Benachteiligung des Ostens verhindern will. Die Lösung für mehr Rentengerechtigkeit und mehr Transparenz wäre eine volle Gleichstellung noch in dieser Legislaturperiode herzustellen, da verweigern sich CDU/CSU und SPD aber, trotz anderslautender Wahlversprechen. 

 

Als 1949 DDR und BRD gegründet wurden war die Produktivität, also das, was ein einzelner Mensch mit seiner Arbeit erwirtschaften kann, viel niedriger als heute.  Gemessen daran müssten doch die Rentner in Saus und Braus leben können. Die Realität ist aber, dass immer mehr Senioren zur Tafel gehen müssen ... 

 

Richtig, allein zwischen 1990 und 2012 hat sich das Bruttosozialprodukt in Deutschland verdoppelt. Es ist also theoretisch das Doppelte zum Verteilen da. Die zunehmende Altersarmut ist also nicht, wie oft behauptet, ein demografisches Problem, sondern in erster Linie das Ergebnis einer falschen Renten- und Arbeitsmarktpolitik. Der ganz große Einschnitt war die Absenkung des Rentenniveaus. Auch die Reallohnverluste seit der Wende spielen eine problematische Rolle. Viele Biografien, nicht nur im Osten, sind von Phasen der Arbeitslosigkeit geprägt. Dafür gibt es keine Rentenpunkte mehr. Deshalb liegen so viele Menschen unterhalb der Grundsicherung im Alter. Zudem gibt es eine enorme Dunkelziffer, weil viele Betroffene gar nicht erst zum Amt gehen. Wir wissen aber, dass sich diese Form der Altersarmut in manchen Regionen sogar verdreifacht hat. Längst ist das kein reines Ostproblem mehr. Leider ist das aber erst der Beginn: Altersarmut trifft vor allem die, die jetzt und in naher Zukunft in Rente gehen.

 

Altersarmut gibt es auch im Westen, aber der Osten fühlt sich trotzdem verschaukelt. Wieso sind in der DDR geborene Kinder für die Rente weniger wert als in der BRD geborene?

 

Zunächst einmal erhalten alle Frauen, die vor 1992 Kinder geboren haben, auch nach der Mütterrente noch immer einen Rentenpunkt weniger pro Kind als die Mütter späterer Jahrgänge. Hier ist die erste Rentenungerechtigkeit, die ostdeutsche und westdeutsche Frauen trifft. Zugleich ist aber ein Rentenpunkt Ost immer noch knapp drei Euro weniger wert als ein Rentenwert West. 

 

Gerecht ist das nicht, aber ist es rechtens oder ist eine Klage?

 

Diese Ungerechtigkeit kann man nur mit der zügigen Angleichung der ostdeutschen Rentenwerte an die westdeutschen erreichen. Hierzu liegt von unserer Bundestagsfraktion ein Rentenkonzept vor, welches es uns erlauben würde, diesen Prozess bis 2016 abzuschließen. Dazu muss aber die so genannte Mütterrente steuerfinanziert werden, um nicht die Rentenkasse mit einer familienpolitischen Leistung zu schmälern. Ansonsten wird die Bundesregierung nicht um die Erhöhung der Rentenbeträge herumkommen.

 

Dann jammert die Wirtschaft  wegen der hohen Lohnnebenkosten. Angesichts der wirtschaftlichen und demographischen Entwicklung werden die wohl bald drastisch steigen? 

 

In der Industrie braucht es immer weniger Menschen für immer mehr Wertschöpfung. Also wird auch weniger in die Rentenkasse eingezahlt, es sei denn, die Löhne würden steigen, z. B. durch die Einführung eines existenzsichernden gesetzlichen Mindestlohnes von mindestens zehn Euro. Wir haben aber jetzt schon nur noch 50 Prozent sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und viele verdienen ihr Geld mit Mieteinnahmen oder Spekulation, wo ebenfalls keine Rentenbeiträge gezahlt werden. Zudem haben sich die Unternehmen schon lange aus der paritätischen Mitfinanzierung der Rente verabschiedet. Wenn man das jetzige System aufrechterhalten will,  muss zuerst dafür Sorge getragen werden, dass wirklich alle in die Rentenkasse einzahlen und wir müssen eine gerechte Steuerpolitik durchsetzen, um privaten Reichtum wieder zur Finanzierung des Gemeinwesens heranzuziehen.

 

Die Systemfrage stellt sich auch, was das Eintrittsalter angeht. Ist eine  Form der Flexibilisierung des Renteneintrittsalters, bei der  z. B. ein Uni-Professor mit 70 und der Straßenbauer mit 60 in Rente gehen kann, überhaupt denkbar?

 

Das Thema ist schon sehr verlogen. Die Rente mit 67 wurde eingeführt, angeblich weil das System sonst nicht mehr zu finanzieren ist. Die 65- und 66-Jährigen, die das finanzieren sollten sind aber gar nicht in Arbeit. Sie nehmen wohl oder übel die Abschlagsrente in Kauf. Wir als LINKE sprechen uns deshalb weiter klar für die Rente mit 65 aus. In bestimmten Berufsgruppen müssen wir uns natürlich auf die Anforderungen einstellen und da ist ein flexibler Einstieg in die Rente sicher sinnvoll. 

 

Dafür bräuchte es parlamentarische Mehrheiten. Kann man so etwas mit Grünen und SPD vielleicht nach 2017 angehen? Oder braucht es eine breite Seniorenprotestbewegung, die das Kanzleramt blockiert?

 

Die Grünen haben, was die Rente angeht, völlig andere Auffassungen, die eher bei der FDP als bei uns liegen. Mit der SPD wäre da sicher einiges möglich. Auch von Thüringen aus könnte mit Bundesratsinitiativen Druck ausgeübt werden. Eine Protestbewegung sehe ich leider nicht. Viele scheinen sich damit abgefunden zu haben, dass in Sachen Ost-West-Angleichung nichts passiert. Wir haben eine riesige Altersarmut und was passiert? Man richtet sich ein! Hilfsangebote wie die Tafeln werden ausgebaut. Die Tafeln können und dürfen aber nicht unser soziales Sicherungssystem sein. Hier bräuchten wir in der Tat mehr Widerstand. DIE LINKE ist hier sicherlich ein wichtiger Bündnispartner, aber hier sind vor allem Vereine und Verbände wie die Volkssolidarität oder der VdK gefragt. Die letzte große Protestaktion  mit mehr als  200.000 Menschen vor dem Brandenburger Tor liegt schon einige Zeit zurück. In Thüringen haben wir jedes Jahr den Sozialgipfel. Da werden immer alle Forderungen auf den Tisch gelegt. Doch am Ende gehen die regierenden Politiker auseinander und alles bleibt wieder, wie es ist.    

 

Thomas Holzmann