„In Sachen Bürgerbeteiligung müssen wir uns noch erheblich verbessern“

Bernd Fundheller, Kreisvorsitzender der LINKEN findet, die Stadt und der Kreis Gotha ist ein „schlafender Riese“ mit einem vielfältigen Potential, das es zukünftig besser zu nutzen gilt

Wie würden Sie Ihre Stadt und Ihren Kreis jemanden schmackhaft machen, der nichts über Gotha weiß?


Gotha ist eine alte Residenzstadt mit einer wirklich starken Kultur. Gotha hat ein tolles Schloss und Museum, eine wirklich sehenswerte Altstadt, die immer weiter verbessert wird.  Auch wirtschaftlich steht die Stadt gut da. Touristisch muss man die Nähe zum Thüringer Wald betonen. Ohrdruf oder Tambach, das sind  schöne Gegenden, die jedes Jahr sehr viele Touristen anlocken. Auch die Fahner Höhe mit ihren vielseitigen Obstplantagen würde ich nennen wollen. Aber wir haben natürlich noch weit mehr zu bieten. 


Trotzdem gibt es Leute, die behaupten, dass in Gotha nicht viel los ist. Ist die Nähe zur Landeshauptstadt ein Problem, so dass man hier an der Peripherie am langen Arm verhungert? 


Das sehe ich anders. Gotha ist da mehr ein schlafender Riese, der drauf wartet, geweckt zu werden. Nach der Wende wurde hier leider vieles versäumt, viele Chancen wurden ausgelassen. Trotzdem haben wir uns ordentlich entwickelt, auch wenn eine Menge Potential brach liegt. Mit der Nähe zu Erfurt hat das aber eher nichts zu tun.   


Es drohen aber wichtige Dinge wegzubrechen, wie die Ohratalbahn nach Gräfenroda …


Leider ja. Als Transportmittel wird sie nicht genügend genutzt, damit das Land Thüringen ein Interesse am Erhalt der Strecke hätte. Da haben wir keine Gelder mehr zu erwarten. Deswegen muss jetzt schon eine touristische Nutzung dieser reizvollen Strecke geplant werden, die direkt in den Thüringer Wald führt und sicher nicht nur Eisenbahnfreude anlocken würde. Der Name Ohratalbahn sollte sich auf jeden Fall verwenden lassen, um Investoren zu finden. Der Kreis oder die Stadt alleine können das ohne finanzielle Unterstützung aber auf keinen Fall stemmen.


Was den Tourismus angeht steht der Kreis Gotha insgesamt gut. Warum kann die Stadt da trotz ihrer vielen Kulturschätze bei den Übernachtungen nicht mithalten? 


Es fehlt etwas an gutem Marketing. Der neue Leiter der Kulturstadt GmbH ist da aber auf einem guten Weg, mit dem, was wir hier vor Ort haben, besser zu werben. Schloss und Altstadt habe ich ja schon genannt, aber wir haben noch viel mehr zu bieten, z. B. das älteste Kloster in ganz Thüringen. Unsere Geschichte als historische Residenzstadt, die die Entwicklung des Adels in Europa maßgeblich beeinflusste, hat man lange, versäumt sinnvoll zu vermarkten.


Ist das so etwas wie die Thüringer Krankheit: Es gibt hervorragende Voraussetzungen, aber wirklich effizient genutzt werden sie nicht?  

Für ganz Thüringen kann ich das nicht genau beurteilen, aber für Gotha trifft das schon zu. Wir haben das Problem erkannt und ich denke, wir sind da auf einem guten Weg, unsere Potentiale zukünftig deutlich besser zu nutzen.


Für Thüringer Verhältnisse ist der Kreis verhältnismäßig stark industrialisiert, vor allem dank zahlreicher Zulieferbetriebe in der Automobilindustrie. Wie hat sich die Arbeitswelt seit der großen Krise von 2008 verändert?


Bis zu der Krise war die Zeitarbeit kein großes Thema. Durch viele größere Firmen wie ZF oder Schmitz-Cargobull hatten wir immer ein gigantisches Beschäftigungspotential. Diese Unternehmen waren von der Krise massiv betroffen. Teilweise wurden da mehr als die Hälfte der Leute entlassen, auch große Teile der Stammbelegschaft. Nach der Krise wurden viele von den Entlassenen zwar wieder eingestellt, aber oft als Zeitarbeiter zu wesentlich geringeren Löhnen. Das geht sogar so weit, dass Firmen wie ZF ihre eigenen Zeitarbeitsfirmen haben. Die Zeit- und Leiharbeit ist nicht mal das einzige Problem, was die Löhne massiv nach unten drückt. Auch die Haus-Tarifverträge wurden in letzter Zeit erheblich nach unten korrigiert. Mich ärgert ungemein, dass die Gewerkschaften da so weite Zugeständnisse gemacht haben.


Mit noch niedrigeren Löhnen müssen die Beschäftigen in der Lebensmittelindustrie auskommen ...


Ja, das geht aber nicht über die Zeitarbeit, sondern über eine sehr eigenartige Form der Arbeitszeiteinteilung. Bei Storck z. B. gehen die Leute oft nur stundenweise arbeiten und dementsprechend niedrig sind auch die Löhne, von denen viele nicht leben können und als so genannte Aufstocker auch noch zum Amt gehen müssen. 


Bleiben wir beim Thema Essen. Die Fahner Höhe ist ja überregional bekannt. Gibt es dort Projekte für eine nachhaltige ökologische Entwicklung in der Region oder wird dort auch alles mit Monokulturen zugepflastert?


Biologische Landwirtschaft ist schon länger ein Thema und das wird sicher auch noch weiter ausgebaut werden. Aber auch jenseits der Fahner Höhe gibt es interessante Projekte. Der Verein KommPottPora Gotha ist ein Netzwerk von vielen Vereinen, die künftig wieder mehr natürliche Streuobstwiesen entwickeln wollen, wo sich jeder einfach bedienen kann. Ich kann mir gut vorstellen, das wir zukünftig noch mehr solche Projekte auf genossenschaftlicher Basis bekommen werden. Aber auch in Gotha haben wir das Problem mit Monokulturen, wo uns ein wenig die Hände gebunden sind, weil die EU mit ihren Förderrichtlinien da vieles bestimmt. Und wenn Brüssel beschließt, nächstes Jahr den Anbau von Mais zu fördern, dann werden natürlich viele Bauern großflächig Mais anbauen, um ihn gewinnbringend statt als Futtermittel als Energieträger zu verkaufen.


Energie ist ja seit Fukushima das Topthema dieses Jahres. Wie sieht es mit dem Ausbau erneuerbarer Energien im Kreis Gotha aus? 


Beim Thema Energie haben wir leider ein ganz grundsätzliches Problem: es gibt zwei Energieversorger, die Fernwärme GmbH und die Stadtwerke GmbH. Bei den Stadtwerken kommt das Problem dazu, dass E.on 42 Prozent der Anteile hält und mit den anderen Gesellschaftern dauernd im Streit liegt. Wir wollen natürlich eine LINKE Energiepolitik durchsetzen und das heißt, 100 Prozent der Stadtwerke in kommunale Hand. Die Landtagsfraktion hat ja bereits ein Konzept mit dem Titel Energierevolution vorgelegt. Aber dafür gibt es keine Mehrheit im Stadtrat, zumal die SPD hier zur CDU tendiert, auch wenn einzelne Abgeordnete insgeheim mit der Politik des SPD-Bürgermeister, Knut Kreuch, nicht immer einverstanden sind. So lange die Situation aber so bleibt, hat der kaufmännische Geschäftsführer das Sagen und der kommt von E.on. Dementsprechend wird nur das Allernötigste investiert. In Sachen erneuerbare Energien haben die Stadtwerke in den letzten Jahren so gut wie nichts angeboten. Die Fernwärme GmbH hat, was den Strom angeht, kaum Möglichkeiten, aber sie sind immerhin bemüht, viel Energie zu sparen. Was wir an erneuerbaren Energien haben liegt in privater Hand, so auch der geplante Bau einer 30-Mega-Watt-Solaranlage. 


Das zeigt doch, dass die Bürgerinnen und Bürger in Gotha ganz andere Vorstellungen haben als Großkonzerne wie E.on. Wie sieht es mit Partizipationsmöglichkeiten und direkter Demokratie aus?


In Sachen Bürgerbeteiligung müssen wir uns noch erheblich verbessern. Ich habe immer das Gefühl, dass unser Oberbürgermeister sich nach außen bürgernah gibt, am Ende entscheidet er aber doch alleine. Gerade wird über den Bau eines riesigen Einkaufzentrums diskutiert. Die Händler in der Stadt laufen dagegen natürlich Sturm. Viele Menschen haben Angst, dass deswegen die Innenstadt stirbt. Auf diese Ängste muss man hören, aber was die Bürgerbeteiligung angeht, sind wir in Gotha gut zehn Jahre im Rückstand. Der Bürgerbeteiligungshaushalt ist so etwas, was andere Städte schon machen und für uns auch interessant ist. Mit mehr direkter Demokratie werden wir die Menschen viel eher gewinnen können, mit der Politik gemeinsam die Probleme in der Stadt zu lösen. Das kann und muss auch der Zukunftsansatz für LINKE Politik sein, nicht nur hier in Gotha.


Thomas Holzmann