Grundwerte bei allen Entscheidungen: Menschenwürde, Demokratie, Solidarität und Gerechtigkeit

Steffen Dittes, stellvertretender Landesvorsitzender von DIE LINKE. Thüringen und Leiter des Landeswahlbüros über das Landeswahlprogramm, Klimaschutz, Mobilität, Mieten und diametral verschiedene Politikkonzepte.

Der Geraer Parteitag war sehr harmonisch und das Wahlprogramm wurde mit großer Mehrheit beschlossen. Kann es aber sein, dass das Wahlprogramm hauptsächlich von einer relativ überschaubaren Gruppe von Funktionären diskutiert wird?  

 

Wir hatten einen sehr langen und intensiven Prozess, an dem in verschiedenen Foren und auch bei einer Basiskonferenz viele die Möglichkeit hatten, am Entwurf mitzuwirken und Einfluss auf Positionen und Formulierungen zu nehmen, bevor der Landesvorstand den Entwurf bestätigte. Und auch die enorme Anzahl an Änderungsanträgen zum Wahlprogramm zeigen, dass sich sehr viele Genossinnen und Genossen, und wahrlich nicht nur Hauptamtliche, mit dem Wahlprogramm beschäftigt haben. Insofern muss man das Problem etwas relativieren. Aber ja, es gibt auch die Herausforderung, dass bei den Politiker_innen, die als Abgeordnete oder innerhalb der Landesregierung sich jeden Tag hauptamtlich mit Fachthemen und politischen Fragestellungen beschäftigen, ein Wissensvorsprung gegenüber den vielen hunderten ehrenamtlich Aktiven in der LINKEN besteht. Wir müssen im Landesverband darauf achten, dass wir in Debatten unsere Genoss_innen nicht überfordern. Wir bleiben aber als Partei nur lebendig, wenn wir die Erfahrungen, das Wissen, die Kompetenzen, Positionen und Meinungen aller unserer Mitglieder, ehrenamtlich Aktiven und hauptamtlichen Funktions- und Mandatsträger_innen, in unsere Entscheidungen einfließen lassen.

 

Das fertige Wahlprogramm wird um die 100 Seiten lang sein. Wer, außer Berufspolitikern, Politikwissenschaftlern und Journalisten, soll das vollständig durchlesen?   

 

Die Funktion von Wahlprogrammen hat sich in den letzten Jahren verändert. Das hat auch etwas mit Leseverhalten und den neuen elektronischen Möglichkeiten zu tun. Heute wollen sich Menschen sehr konkret zu spezifischen Fragestellungen informieren. Dass DIE LINKE für soziale Gerechtigkeit, Frieden, Antifaschismus und für gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West steht, wissen die Menschen. Was sie aber wissen wollen ist, was dies in den sie betreffenden Fragen konkret bedeutet, bspw. bei der Frage der Rente, der ärztlichen Versorgung auf dem Land oder wie sich die Schule für ihre Kinder und Enkel entwickeln wird. Dazu kommen die vielen Fachverbände, Multiplikatoren oder auch der Wahl-O-Mat, der zunehmend an Bedeutung gewinnt, und aktuell diskutierte Fragen, wie beispielsweise der Klimaschutz, auf die auch DIE LINKE Antworten geben muss. Im Wahlkampf muss es uns aber auch gelingen, unsere Kernaussagen prägnant und verständlich zu vermitteln und die Menschen neugierig auf unser Wahlprogramm zu machen. 

 

Inwiefern könnte die gestiegene Bedeutung der Klimafrage der LINKEN bei der Kommunal- und Landtagswahl helfen, gerade auch, weil die Grünen in Thüringen nicht so stark sind wie in den urbanen Zentren im Westen und Süden?

 

Das ist ein Thema, das in der Thüringer Koalition einhellig verfolgt wird. Wir sind das erste der neuen Bundesländer mit einem eigenen Klimagesetz. Wir haben ehrgeizige Vorstellungen für Thüringen was die autarke Stromversorgung und 100 Prozent regenerative Energieträger betrifft. Von der aktuellen Diskussion, insbesondere auch durch die berechtigten Forderungen der Fridays for Future Demonstrationen, werden die Grünen, die als Umweltpartei wahrgenommen werden, sicherlich profitieren können. Aber was ich bei den Demonstrationen wahrnehme, ist nicht die Forderung nach einer starken grünen Partei, sondern die klare Ansage an alle Parteien, sich endlich um die Belange des Klimaschutzes zu bemühen. Die Menschen werden sich entscheiden, ob sie eine Partei wählen wollen, die Klimaschutzpolitik mit einer Politik der sozialen Gerechtigkeit verbindet oder diese alternativ gegenüberstellt. Politische Unterscheidung findet an dieser Stelle nach wie vor statt, und bei Wahlen werden unterschiedliche Gesellschafts- und auch Wertevorstellungen zur Wahl stehen. Nur eines ist auch klar, eine Partei, die den Klimaschutz nicht zu ihrer Aufgabe macht, wird kein Vertrauen mehr gewinnen.

 

Beim Stichwort soziale Gerechtigkeit scheint sowohl für die Kommunal- als auch für die Landtagswahl, das Thema Wohnen und Mieten einen hohen Stellenwert einzunehmen. Wie kann es DIE LINKE nutzen, dass derzeit über die Gründung einer eigenen Landeswohnungsbaugesellschaft und sogar über mögliche Enteignungen diskutiert wird?

 

Über Enteignungen von Wohnungsunternehmen wird gegenwärtig in Berlin sehr intensiv diskutiert. Dort ist die Situation auf dem Wohnungsmarkt noch einmal deutlich angespannter als in Thüringen. Die sozialen Folgen einer profitmaximierenden Verwaltung von Wohnungen, die Verdrängung von sozialen Milieus aus ganzen Stadtteilen, erleben wir in Thüringen in Teilen auch, aber nicht in dieser zugespitzten Form wie in Berlin und in anderen Großstädten. Auch die Eigentümerstrukturen in Thüringen sind nicht mit denen in Berlin vergleichbar. Aber auch in Erfurt, Jena oder Weimar brennt das Mietenthema unter den Nägeln. Deshalb sind wir die Förderung des sozialen Wohnungsbaus in dieser Legis- laturperiode angegangen. In Erfurt gilt das sogenannte Baulandmodell, dass bei Bauvorhaben – egal ob öffentlich oder privat –­ einen Anteil von 20 Prozent Sozialwohnungen vorschreibt. Auf dem Parteitag haben wir über einen Mietendeckel für Thüringen von sechs Euro pro Quadratmeter diskutiert. Mit einer möglichen Landeswohnungsbaugesellschaft nehmen wir zwei Punkte in den Blick. Zum einen das Zurückkaufen von privatisierten Wohnungen ins öffentliche Eigentum und zum anderen schaffen wir die Möglichkeit, selbst zu entscheiden wie und wo wir im Wohnungsbau investieren wollen. Wenn es dafür in Thüringen noch rechtliche Hindernisse gibt, müssen wir darüber diskutieren, wie wir diese beseitigen können.   

 

Ein anderes großes Thema, das sowohl bei der Kommunal- als auch bei der Landtagswahl eine Rolle spielen könnte, ist die Mobilität.  Wie realistisch sind größere Reformen wie zum Beispiel die Schaffung eines Thüringer Verkehrsverbundes oder ein Einstieg in den kostenfreien ÖPNV, zumindest für unter 18-Jährige?  

 

Mobilität verstehen wir als LINKE auch immer als Teil der Daseinsvorsorge. Aber wir merken bei diesem Thema auch als linke, sozialistische Partei, dass wir eben doch noch im Kapitalismus leben und die betriebswirtschaftlichen Logiken nicht einfach zu überwinden sind. Der Schwerpunkt im Personenverkehr liegt immer noch auf dem Auto und das kann, gerade auch vor dem Hintergrund des Klimaschutzes, nicht die Zukunft sein, auch nicht mit E-Mobilen. Deswegen wollen wir unter anderem mit einem Thüringer Verkehrsverbund die Attraktivität des ÖPNV innerhalb Thüringens erhöhen und die Menschen so dazu ermuntern, vom individuell genutzten Auto umzusteigen.  Auch der fahrscheinfreie ÖPNV, das bedeutet nicht automatisch kostenfrei, kann die Attraktivität erhöhen, wenn an die Stelle eines fahrtenbezogenen Einzeltickets eine sozial gerecht gestaltete Nahverkehrsabgabe tritt. Auch das Thema der Kostenfreiheit werden wir weiter diskutieren, ganz zwangsläufig. Zum Beispiel bei der Frage einer Grundsicherung für Kinder, die schließt nämlich ein, dass für Kinder der Besuch der Musikschule, des Sportvereins, von Kindergeburtstagen keine Kostenfrage sein kann und auch nicht der Weg dorthin. Wenn wir dann von der Kostenfreiheit für Kinder zur Fahrscheinfreiheit für Erwachsene kommen, ist das ein deutlicher erster Schritt zu einer anderen Verkehrspolitik.

 

Trotz aller wichtiger inhaltlicher Fragen werden wir vor allem bei der Landtagswahl eine starke Personalisierung erleben. Das ist insbesondere durch die guten Werte für Bodo Ramelow logisch und nachvollziehbar. Aber muss es wirklich die scharfe Zuspitzung auf die Formel „Ramelow oder Barbarei“ sein?

 

Über Zuspitzungen kann man immer geteilter Meinung sein. Entscheidend ist, ob der inhaltliche Gehalt hinter einer rhetorischen Zuspitzung belastbar ist. Und hier erinnere ich an 2014, als Mike Mohring offen mit der AfD geliebäugelt und Gespräche mit AfD-Funktionären geführt hat. Nach seinen Vorstellungen hätte die Höcke-Partei ihn geschlossen zum Ministerpräsidenten mitwählen sollen. In Sachsen wird ein Bündnis der CDU mit der AfD offen diskutiert. Und was politisch einer solchen Regierungsbeteiligung einer extrem rechten Partei folgt, können wir angesichts der Erfahrungen im Landtag erahnen, in Österreich konkret aber schon erleben. Ein Abbau sozialer und politischer Rechte für viele Menschen, insbesondere von Geflüchteten, Ausbau eines autoritären Obrigkeitsstaates, Schwächung repräsentativer Demokratie, von Klimaschutzpolitik ganz zu schweigen. Dem gegenüber steht die Politik der LINKEN, die sich bei allen Entscheidungen von ihren Grundwerten wie Achtung der Menschenwürde und Demokratie, Solidarität und Gerechtigkeit leiten lässt. Es stehen also nicht nur verschiedene Politikkonzepte zur Wahl, sondern zwei diametral gegenüberstehende Gesellschaftsvorstellungen.

th