Eine neue Wirtschaftsordnung auf der Basis von Nachhaltigkeit

Tilo Kummer (DIE LINKE), Vorsitzender im Ausschuss für Naturschutz und Umwelt im Thüringer Landtag sieht im Programmentwurf der LINKEN nach Nachholbedarf in Sachen Umweltpolitik – die Grenzen des Wachstums wurden noch nich ausreichend berücksichtig.

Die Grünen haben bei den letzten Landtagswahlen durch die alles überlagernde Atomfrage massiv zugelegt, während DIE LINKE davon nicht profitieren konnte. Wie soll sich die Partei, auch vor dem Hintergrund der laufenden Programmdebatte, umweltpolitisch aufstellen, damit diese Kernkompetenz auch beim Wähler ankommt?


Das ist nicht nur eine Frage des Parteiprogramms. Schon die PDS ist radikaler als jede andere Partei auf Bundesebene an das Thema Atomausstieg und 100 Prozent erneuerbare Energien herangegangen. Unsere Forderungen gingen weit über das hinaus, was SPD und Grüne mit dem Atomausstieg beschlossen haben. Das Problem liegt in der Vermittlung. Die Grünen werden seit den achtziger Jahren mit Umweltthemen verbunden, die SED konnte man damals nicht wirklich damit verbinden. Die PDS hat mit diesem Erbe gebrochen, trotzdem ist aus meiner Sicht die ökologische Frage im Programmentwurf deutlich unterbelichtet.    


Was fehlt aus Ihrer Sicht?


Das Problem ist, es beinhaltet hauptsächlich gewerkschaftliche Forderungen aus der alten Bundesrepublik. Um diese zu erfüllen, wird im allgemeinen Teil davon ausgegangen, dass es  Wirtschaftswachstum geben muss. Ohne zu erläutern, dass das Wachstum, welches wir wollen ein anders sein soll, als das, welches Ressourcen verbraucht, können wir nach dieser Logik keine Umweltpolitik gestalten.Sie meinen, die Grenzen des Wachstums, die der Club of Rome schon in den Siebzigern feststellte, wurden nicht ausreichend berücksichtigt?Was der Club of Rome beschrieben hat, wird heute nicht mehr angezweifelt. Aber im Programm ist man bei diesen pauschalen Forderungen nicht bereit gewesen, das auch klar anzusprechen. Es muss eine Einheit geben, zwischen dem Wirtschafts- und dem Umweltteil im Programm. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Umwelt hat vorgeschlagen, den Wachstumsbegriff an den entsprechenden Stellen herauszunehmen. Eine neue Wirtschaftsordnung auf der Basis von Nachhaltigkeit, das muss das Programm einer modernen sozialistischen Partei leisten. Wir müssen definieren, wie wir die Dreieinigkeit von Ökonomie, Ökologie und Sozialem herstellen wollen.


Das bedeute doch, dass DIE LINKE in der Umweltpolitik stärker wirtschaftspolitisch argumentieren muss bzw. Umweltpolitik als die eigentliche Grundlage für Wirtschaftspolitik verstanden werden sollte …


Es kann keine langfristig erfolgreiche Wirtschaft geben, wenn die ökologischen Grundlagen vernachlässigt werden. Wenn wir weg wollen von der Verschwendung von Ressourcen, müssen der Wirtschaft Grenzen gesetzt werden. Von sich aus wird sie das nicht machen. Wir können nicht darauf warten, dass die Ressourcen durch Verknappung so teuer werden, dass deswegen umgedacht wird. Zumal das viele soziale Probleme erzeugt, weil sich die Menschen die entsprechenden Produkte auch nicht mehr leisten können. Beim Tanken merken wir es ja jetzt schon. Dazu kommen die Kriege um die Rohstoffe, siehe Libyen oder den Kampf um wichtige Ressourcen, wie die seltenen Erden. Davon müssen wir weg, hin zu regenerativen Ressourcen, mit denen wir unseren Bedarf decken. Genau das gehört für mich auch ins Programm.  


Das Atomthema hat in den letzten Wochen alles überlagert, vom Dioxin-skandal Anfang des Jahres hört man nichts mehr. Ebenso nicht von der Debatte um ökologische versus konventionelle Landwirtschaft, die auch in der LINKEN aufkeimte. Wie kann man diesen Widerspruch auflösen?


Zuerst durch Aufklärung. Man muss sagen, dass ein früherer Dioxinskandal auch die Öko-Branche betroffen hat, weil es keinen Bereich der Landwirtschaft gibt, der ohne Futtermittel auskommt. Hier ging es um die kriminelle Energie eines Futtermittelherstellers und nicht um bio gegen konventionell. Auch in Thüringen hatten wir schon so einen Fall beim Trockenfutterwerk Apolda. Thüringen konnte damals aber nicht bundesweit durchsetzen, dass solche Grenzwertüberschreitungen generell zu melden sind. Drei Jahre Haft hätte der Geschäftsführer damals kriegen können, wurde aber wegen zu geringer Schuld frei gesprochen. Das ist die eine Seite. Wenn gegen so etwas demonstriert wird, wie zuletzt auf der Grünen Woche, richtet sich das nicht gegen verbrecherische Umtriebe in der Industrie, sondern gegen große Landwirtschaftsbetriebe. Die gibt es als Genossenschaften oder Mehrfamilienbetriebe vor allem im Osten, während im Westen eher der einzelne Bauer seine Scholle bearbeitet. Die großen Betriebe sind aber vom Sozialen her, bei Urlaubsmöglichkeiten, Krankheitsfällen usw., besser aufgestellt und durch ihre Größe eher in der Lage, Rücksicht auf ökologische Belange zu nehmen als kleine Betriebe. Wenn man das alles berücksichtigt, relativiert sich dieser Konflikt. Sowohl ökologische als auch konventionelle Produktion haben ihre Vor- und Nachteile. Öko kann zu einer Verarmung der Böden bei den Nährstoffen führen, dafür gibt es eine ausgeglichene Humusbilanz. In der konventionellen ist es genau umgekehrt. Wir dürfen uns nicht auf ein Gegeneinander von biologischer und konventioneller Landwirtschaft einlassen. Wir brauchen ein nebeneinander der Betriebe, die am nachhaltigsten wirtschaften, die regionalen Kreisläufe stärken und den Wirtschaftsdruck entschärfen. 


Dieser Wirtschaftsdruck führt auch dazu, dass viele Sorten von Obst und Gemüse verschwinden, oft gegen den massiven Widerstand der Verbraucher, wie bei der Kartoffelsorte Linda. Was kann man für mehr Biodiversität tun?


Dazu haben wir schon eine große Anfrage auf den Weg gebracht. Thüringen war ein klassisches Land des Gemüseanbaues und wir wollen wissen, warum heute nur noch so wenig angebaut wird. Lösen kann man das Problem nur bei den WTO-Verhandlungen. Dort muss sicher gestellt werden, dass nur noch Produkte auf den Markt kommen, die die Anforderungen erfüllen, die wir auch an die hier erzeugten Produkte stellen. Es kann nicht sein, dass wir die Haltung von Hühnern in Käfigen verbieten, gleichzeitig aber die Käfigeier in vielen Produkten wie z. B. Nudeln zulassen. Wir verbieten Pflanzenschutzmittel, führen aber Produkte ein, die damit behandelt wurden. Das muss ein Ende haben.       


Neben dem Problemfeld Landwirtschaft gibt es auch in anderen Umweltfragen ungelöste Probleme, wie Feinstaub, Bienensterben, Klimawandel. Davon hört man kaum etwas. Wie ernst ist die Situation in Thüringen?  


Das größte Umweltproblem in Thüringen ist gegenwärtig die Entwicklung des Verkehrs. Das sieht sauber aus. Die Nutzung so vieler Verbrennungsmotoren hat aber Auswirkungen z. B. auf den Stickstoffgehalt der Böden. Viele Pflanzen und Tiere, die an stickstoffarme Böden angepasst sind, gehen dadurch kaputt. Eine andere Verkehrspolitik ist da für mich eine ganz entscheidende ökologische Frage. Ein anderer Dauerbrenner ist die Kaliindustrie, die die Werra stark versalzt. Dazu kommt die Verpressung gigantischer Mengen an Abwasser in den Untergrund, wodurch in großen Gebieten das Grundwasser versalzen wird. Dabei könnte man derzeitige Abfallprodukte wie Steinsalz oder Magnesium aufbereiten und nutzen, anstatt es wegzuwerfen und von anderen Förderstellen zu importieren. Das ist der Firma Kali und Salz aber zu teuer, obwohl sie gigantische Gewinne machen. Außerdem haben wir im früheren Uranbergbau das größte Altlastenprojekt, mit Kosten von fünf Milliarden Euro. Auch wenn die Gruben mittlerweile verfüllt sind, treten nach wie vor hohe Belastungen auf. Umso schlimmer ist es da, dass die Landesregierung keine Auskunft darüber geben kann, welche Auswirkungen das auf die Weiße Elster hat.          


Was kann jeder selbst für Nachhaltigkeit und Umweltschutz tun?   


Die Frage ist, ob wir die richtigen Werte haben. Darüber sollte jeder Einzelne nachdenken. Die meisten Menschen arbeiten, um Dinge zu kaufen, die sie nicht brauchen, mit denen sie Leuten imponieren, die sie nicht leiden können. Davon müssen wir weg. Wir sollten nur Dinge kaufen, die wir auch brauchen. Wir sollten überlegen, wo wir Schwerpunkte im Leben setzen. Lieber häufiger mal in ein schönes Konzert gehen, als ein dickes Auto fahren. Wir hetzen durch die Welt als Getriebene, aber der gigantische Reichtum, den wir im Vergleich zu anderen Ländern haben, macht uns nicht glücklicher. Darüber muss man nachdenken, dann kann auch jeder Einzelne mit kleinen Schritten etwas erreichen.


Thomas Holzmann