Ein Scheitern der Partei wollen und müssen wir verhindern

Steffen Harzer vertritt Thüringen im Bundesvorstand der LINKEN. Er sieht die Partei noch immer Abgrund stehen. Deswegen müsse jetzt gemeinsam um die Partei gekämpft werden.

In letzter Zeit gab es bundespolitisch nicht viel Gutes über DIE LINKE zu berichten. Macht die Arbeit im Vorstand eigentlich noch Spaß?


Vergnügungssteuerpflichtig sind die Sitzungen des Parteivorstandes ganz sicher nicht. Es macht mir insofern Spaß, weil ich in den letzten zwei Jahren auch gesehen habe, dass ich tatsächlich etwas bewegen kann. Wir haben u. a. eine kommunalpolitische Konferenz durchgeführt und im Februar die BAG Kommunalpolitik neu gegründet, was mir beides sehr am Herzen lag. Als Bürgermeister, der seit Jahren ohne eigene Mehrheit  regieren muss, bin ich es ja auch gewohnt, Kompromisse zu schließen und auf Leute zuzugehen, die eine andere Meinung, ein anderes Denken haben. Das hilft natürlich bei der Arbeit im Bundesvorstand.


Ein Kompromiss ist sicher auch die neue Doppelspitze Kipping/Riexinger. Ist das nur der kleinste gemeinsame Nenner oder der dringend benötigte Neustart? 


Ich weiß gar nicht, ob das überhaupt ein Kompromiss ist. Wer weiß, wie das Ergebnis ausgegangen wäre, wenn Gregor Gysi nach und nicht vor Oskar Lafontaine geredet hätte? Für mich persönlich wäre Dietmar Bartsch vom inhaltlichen und politischen Ansatz der Bessere gewesen, allerdings kann ich Bernd Riexinger momentan nicht beurteilen, da ich ihn noch nicht kenne. Da gibt es natürlich eine gewisse Skepsis. Aber man sollte ihm eine Chance geben, sein Angebot die Partei wieder zusammen zuführen auch in die Tat umzusetzen. Katja Kipping hat ja zurecht die Männerzirkel mit ihrer Hinterzimmerpolitik kritisiert. Aber sie hat es ja auch nicht anders gemacht und ist erst nach dem Rückzug Lafontaines aus der Deckung gekommen. Auch vom inhaltlichen Ansatz fehlt mir da noch ein wenig die Substanz. Es liegt jetzt in der Hand der beiden Vorsitzenden, das, was sie versprochen haben, auch umzusetzen und das wird schwer genug.


Wobei die Hauptaufgabe sein wird, die immer noch drohende Spaltung abzuwenden?


Die Gefahr der Spaltung ist in Göttingen real gewesen. Ich denke, dass Gregor Gysi, der das offen und ehrlich angesprochen hat, damit mehr bewirken konnte als Lafontaine, der mehr darauf bedacht war, seine Kandidaten durchzubringen und Bartsch zu verhindern. Durch Gysis Rede haben sich manche Delegierte endlich bei den Vorstandswahlen von den Flügelkämpfen und Strömungsdebatten emanzipiert. Das sieht man z. B. daran, dass mit Raju Sharma der Bundesschatzmeister sich gegen den Lafontaine-Vertrauten Heinz Bierbaum durchgesetzt hat. Insofern wirkt dies nachhaltiger.


Wenn nach der Nichtwahl von Bartsch die Lafontaine-Anhänger „ihr habt den Krieg verloren“ rufen, spricht das aber nicht gerade für eine kulturvolle Diskussion …


Was die politische Kultur angeht, war es sicher einer der schlechteren Parteitage. Diskussionsfreudig waren wir aber schon immer. Früher haben manchmal alleine Anträge zur Geschäftsordnung mehrstündige Debatten ausgelöst. Die Sache mit den Rufen nach Riexingers Wahl war eine bewusste Provokation. Am nächsten Tag hat man dann eine Genossin von der Basis vorgeschickt, um sich zu entschuldigen – man hätte das aus reiner Freude getan. Den Initiatoren dieser Rufe glaube ich das aber nicht. Trotzdem kann ich mir vorstellen, dass diese Unkultur auch etwas Positives hat. Die Lehre daraus kann – auch aufgrund des Erschreckens auf dem Parteitag – nur sein, dass das nicht unser Weg ist. Ich denke, dass keiner wirklich die Spaltung will, aus unterschiedlichen Gründen, und deswegen sind wir dazu verdammt, zusammenzuarbeiten.


Können Sie sich denn vorstellen, dass 2013 Leute wie Dietmar Bartsch und Oskar Lafontaine wirklich gemeinsam erfolgreich Wahlkampf machen?

 

Oskar Lafontaine hat ausgeschlossen Spitzenkandidat zu werden, wenn er kein Parteivorsitzender ist. 2002 hatten wir mal vier Spitzenkandidaten, die SPD hatte eine Troika und es ist schief gegangen. Warum also nicht aus alten Fehlern lernen und nur einen Spitzenkandidaten in Person von Gregor Gysi aufstellen. Alle anderen können sich dann gerne einreihen und da meine ich nicht nur Oskar Lafontaine und Sarah Wagenknecht, sondern auch und vor allem Dietmar Bartsch.


Um bei der Bundestagswahl ein gutes Ergebnis zu erreichen, braucht es eine Rückkehr zu Themen und Inhalten. Welche könnten das denn sein?


Die Themen, mit denen wir groß geworden sind, haben an Aktualität nichts eingebüßt: Hartz IV, Mindestlöhne, Auslandseinsätze der Bundeswehr oder die Gefahren aus dem Fiskalpakt. Wir dürfen nur nicht auf dem Stand von 2009 stehen bleiben. Wir müssen endlich akzeptieren, dass Rot-Grün nicht mehr in der Regierung, sondern neben uns auf den Oppositionsbänken sitzt und natürlich auch versucht, unsere Themen zu übernehmen. Was nützt es uns, wenn wir uns an den Oppositionsparteien abarbeiten? Wir müssen unsere inhaltlichen Positionen so weiterentwickeln, dass wir nicht nur allein z. B. Arbeitslose ansprechen, sondern auch das links-intellektuelle Milieu. Das große Thema mehr Demokratie und bessere Bürgerbeteiligungen ist dafür sicher gut geeignet. Die Debatte um Commons, also Gemeingüter, bietet eine Möglichkeit für DIE LINKE ein eigenständiges Profil im Bereich des Zugangs und der Nutzung öffentlicher Güter zu entwickeln.Wir müssen als LINKE diese Themen auch in die Parlamente tragen. 


Wie kann es gelingen, dass die LINKE wieder stärker auch als Kraft der Straße und in Zusammenhang mit außerparlamentarischen Bewegungen in Verbindung gebracht wird?


Die Menschen merken, ob man erst kommt, wenn sie schon auf der Straße sind oder ob man von Beginn an dabei ist. Wir müssen unseren Mitgliedern den Rücken stärken, stets und ständig auch hinaus zu gehen und zu sagen: hier sind wir, hier ist DIE LINKE. Wir müssen aufhören, parlamentarisches und außerparlamentarisches getrennt zu betrachten. Es reicht nicht, sich im Westen auf das Außerparlamentarische und im Osten auf die Parlamente zu konzentrieren. Wir müssen beides miteinander verbinden.


Fehlt der LINKEN am Ende ein konkreter Lebensentwurf mit dem sich viele unterschiedliche Menschen Identifizieren können, wie man ihn bei Konservativen, Grünen oder auch Piraten ausmachen kann?


Das ist notwendig und sollte sich im Rahmen des Parteiprogramms bewegen. Dietmar Bartsch hatte da ja ein Leitbild – „Wohin will DIE LINKE“ – vorgeschlagen. Unser Programm basiert immer noch auf den Vorstellungen einer Wachstumsgesellschaft. Ich denke wir müssen gerade an dieser Stelle radikaler werden und überlegen, ob wir uns auch eine Gesellschaft ohne Wachstum vorstellen können. Damit würden wir auch die gesamte Gesellschaft in den Blick nehmen können, anstatt nur die Kommune oder nur die Arbeitslosen. Der Mindestlohn ist doch so ein Beispiel. 2005 waren wir die einzigen, die das gefordert haben, jetzt sagen es auch SPD und Grüne. Deswegen müssen wir noch klarer ausarbeiten, was an die Stelle von Hartz IV treten soll, wie wir mehr Demokratie in der Praxis umsetzen wollen usw. Da geht das Programm noch nicht weit genug.  Wenn wir gesellschaftliche Mehrheiten erreichen wollen, dann müssen wir auch klar sagen, welche Gesellschaft wir wollen. Die Antworten von gestern, sind nicht die Antworten von morgen.


Sie würden auch sagen, dass nach Erfurt zu wenig mit dem Programm gearbeitet wurde? 


Ich denke wir haben auch vor Erfurt zu wenig diskutiert. Man wollte ein Scheitern verhindern und hat Kompromisslinien ausgearbeitet, wo sich auch jeder irgendwo wieder finden konnte. Es ist ja schön, wenn sich jeder aus dem Programm bedienen kann, aber man muss diese Grundsätze auch stetig weiterentwickeln. Ich weiß auch nicht ob der Erfurter Programm-Parteitag so ein großer Erfolg war, denn er hat Göttingen gebracht, wo wir über dem Abgrund stehend versucht haben, die Probleme auszufechten. Wir stehen immer noch am Abgrund, es ist noch nicht entschieden. Wir müssen jetzt gemeinsam um die Partei kämpfen. Mich stimmt es hoffnungsfroh, dass ich direkt nach Göttingen die ersten Anfragen auf mein Angebot, in den Westen zu Gesprächs- und Diskussionsrunden zu kommen, erhalten habe. Ich habe immer den Eindruck, wir reden oft über das Gleiche, aber mit anderen Worten und verstehen uns nur deswegen nicht. Das liegt auch daran, dass wir im Osten 1989/90 die Erfahrung des Scheiterns gemacht haben, im Westen kennt man das nicht. Aber genau aus dieser Erfahrung heraus sage ich ganz klar: ein solches Scheitern wollen und müssen wir verhindern.


Thomas Holzmann