Eine Frage der Perspektive

Interview

Im Gespräch mit dem neuen Erfurter Radverkehrsbeauftragten Dirk Büschke und Thomas Engel vom Verein Radentscheid.

 

 

Der Ellenbogen regiert die Gesellschaft und so auch im Straßenverkehr. Dabei ist in vielen Städten die Verkehrswende längts im Gange. Auch Erfurt hat seit Dezember einen 

hauptamtlichen Radverkehrsbeauftragten. Der kann die Verkehrswende auch nicht alleine stemmen, bringt aber frischen Wind in eine Stadtverwaltung, die bisher fast ausschließlich die Auto-Perspektive einnahm.

 

 

Verkehrswende im Land der Raser und Drängler

 

An Aufreger-Themen mangelt es wahrlich nicht. Und, wenn gerade mal nicht ein Geschrei über Corona, Putin oder die Asylpolitik die Wortgefechte in den (sozialen) Medien bestimmen, dann wird sich gern und oft über das Thema Radfahren aufgeregt. Der zynische Standard-Irrsinn bei Facebook und Co. klingt ungefähr so: „Wer Rad fährt, hält sich eh an keine Regeln und, weil die ja auch gar keine Steuer zahlen sind sie selbst schuld, wenn sie verunglücken.“ Aber wie so oft ist auch das Geschehen im Straßenverkehr immer eine Frage der Perspektive: Wer Auto fährt, den nerven Radler und Fußgänger. Wer mit dem Rad unterwegs ist, wird von Autos und zu Fuß gehenden geärgert. Und wer zu Fuß geht, hat sowieso weder Lobby noch Knautschzone oder Helm.  Deutschland und natürlich auch Thüringen sind nach wie vor absolute Autoländer. Aber auch im Land der Raser und Drängler nimmt die Verkehrswende Fahrt auf. 

 

Fahrradfreundlicher Verkehrsdezernent 

 

Beispiel: Bürgerbegehren für besseren Radverkehr in Erfurt, Jena und Weimar. In der Landeshauptstadt sitzt zudem mit Matthias Bärwolff (DIE LINKE) ein ausgesprochener  Fahrradfreund als Verkehrsdezernent im Rathaus. Ihm unterstellt seit neuestem: Der erste hauptamtliche Radverkehrsbeauftragte, Dirk Büschke. UNZ traf ihn zum Gespräch. Um den Schwierigkeitsgrad  zu erhöhen, haben wir Thomas Engel, Vorstand im Verein Radentscheid Erfurt, gleich mit dazu eingeladen. 

 

Mehr Platz Kindern, Cafés, Grünflächen, Radfahrstreifen

 

 

Dass beide passionierte Radler sind und die aktuelle Info-Kampagne der Stadt („Ich stehe doch nur rum“) gut finden, überrascht nicht. Dass beide ein Auto besitzen, das in der Tat nur rumsteht, schon etwas eher. Beide können sich aber vorstellen, bald auf das eigene Auto zu verzichten. Aber andere meinen: „Sie müssen ihres verteidigen. Obwohl ihnen das gar niemand wegnehmen will“, sagt Dirk Büschke. Vielmehr gehe es um die Frage: Braucht mensch wirklich eine eigenes Auto, wenn man nicht jeden Tag damit zur Arbeit fahren muss? Büschke wäre der Platz für spielende Kindern, Cafés, Grünflächen oder Radfahrstreifen besser geeignet.  Kurzum: Es geht um die Frage der Flächen-Gerechtigkeit. Ein Thema, das nicht nur verkehrspolitisch in Erfurt heiß diskutiert wird. So beim geplanten Technologiepark auf einem Acker in Urbich oder bei einem neuen Wohngebiet in Schmiera.

 

 

 

 

12.7000 Unterschrift für den Radentscheid 

 

Themen, die auch Thomas Engel bestens kennt. Schließlich sind Radentscheid und ADFC im Klimabündnis informiert und vernetzt. Allein dort sind mehr als zwei Dutzend Organisationen an Bord. Mensch kennt sich von diversen Demos und dem Bürgerbegehren Radentscheid. Das war 2020 erfolgreich: 12.700 Unterschriften für besseren Radverkehr!

 

Anwohner*innen laufen Sturm gegen Radweg

 

Aber trotzdem sprießen die Radwege nicht wie Pilze aus dem Boden. Thomas Engel erinnert an das Debakel Nordhäuser Straße, die vom Domplatz zur Uni führt. „Dort sind die Anwohner gegen ein eigentlich gutes Planungsvorhaben Sturm gelaufen“. Obwohl ihre Vorgärten auf Grund der stark befahrenen Straße keinen Erholungswert haben, wollen sie keinen Millimeter für einen Radweg abgeben. So bleibt nur, sich mit dem Rad zwischen Autos und Straßenbahn zu quetschen oder einen Umweg durch den Nordpark in Kauf zu nehmen. Probleme, die auch der „leidenschaftliche Radfahrer“ Dirk Büschke kennt. Bis vor kurzem hat er in Kühnhausen bei den Entwässerungsbetrieben gearbeitet. Das Thema Radfahren begleitet den Wirtschafts-Ingenieur aber schon seit dem Studium, als ein Professor eine Radtour von Leipzig in die Fahrrad-Hauptstadt Amsterdam veranstaltete. Als Bachelorarbeit schrieb er eine Machbarkeitsstudie über Radschnellwege nach holländischem Vorbild in Leipzig. 

 

Es gibt nur zwei Meinungen 

 

Der Hass der Bleifußfanatiker, die eine „Öko-Diktatur“ herbei halluzinieren, bleibt aber auch Dirk Büschke nicht verborgen. Selbst aus der Landespolitik tönt es: „Wie können so viel Steuergelder verschwendet werden“.  Sogar im privaten Umfeld gibt es nur zwei Reaktionen: „Die einen sagen: Endlich tut sich was und bringen Amsterdam oder Kopenhagen als Beispiel. Die anderen sagen: Denkt doch mal an Leute, die nicht so viel Geld haben. Und die Straßenbahn ist mit 2,30 viel zu teuer ...“.

Zugeben: Das sind teils berechtigte Punkte. Und, dass in Kleinstädten und Dörfern die Leute  nicht mal einfach so vom geliebten Diesel aufs E-Bike umsteigen können, ist auch Büschke und Engel sehr bewusst. Aber die haben auch nicht so ein großes Platzproblem wie Erfurt. Thomas Engel beschreibt es so: „Verschandelt und  zugestellt von Autos, die 12 Quadratmeter wegnehmen. Es kann doch nicht sein, dass kein Platz für Radwege da ist, weil überall Blech rumsteht.“ 

 

„Die Verkehrswende können wir als Kommune nicht einfach herbeirufen“

 

Büschke versucht, die Erwartungshaltung etwas zu bremsen: „Die Verkehrswende können wir als Kommune nicht einfach herbeirufen. Aber wir können regional kleine Projekte umsetzen. Für Bündnisse aus Bus-, Bahn- und Radverkehr braucht es eine viele stärkere Subventionierung des öffentlichen Nahverkehrs.“  Ergo bleiben erstmal nur kleine Projekte wie der Bau von Asphaltrampen, die besonders hohe Bordsteine entschärfen. Thomas Engel verzieht das Gesicht: „Ich hatte da auf einen Aufbruch gehofft,  aber das scheint versandet zu sein.“ Woran liegt das? Zum einen halten die Rillenstreifen für Menschen mit Seebehinderung nicht. Dazu kommen die üblichen Probleme der Branche: zu wenig Personal und Material. Und im Winter ist das mit dem Asphalt sowieso problematisch. Aber was kann dann überhaupt kurzfristig für den Radverkehr getan werden?  „Im Sommer werden am Schmidtstedter Knoten über Markierungsarbeiten Radverkehrsanlagen geschaffen, mit Befahrbarkeit in alle Richtungen“, kündigt Büschke an.

 

Fahrradsteuer? Dann will ich auch Radschnellwege! 

 

Da hellt sich die Mine von Thomas Engel wieder auf: „Flächen-Umnutzung ist das Zauberwort. Aber dafür muss dem Autoverkehr ein Stück weggenommen werden.“ 

Ein Weg, den andere Städte längst eingeschlagen haben.  Dem Kostengejammer hält Engel süffisant entgegen: „Ich würde gern 16 Euro Fahrradsteuer zahlen, anteilig zum Flächenverbrauch eines Auto. Aber dafür will ich dann auch Radschnellwege“. 

 

Kennzeichnungspflicht? Am besten auch noch für Fußgänger ...

 

Um den Radverkehr sicherer zu machen wird öfters auch eine Kennzeichnungspflichtig ins Spiel gebracht. „Am besten auch noch für Fußgänger ....“ spottet Dirk Büschke. Stattdessen will er lieber  „das gegenseitige Miteinander im Verkehr stärken“. Denn: „Leider kennt diese Gesellschaft nur noch Ellbogen und lebt das auch im Verkehr aus.“ Neben Kampagnen soll dafür der Verkehrsunterricht an den Schulen ausgeweitet werden. Dirk Büschke bringt dazu noch einen digitalen  Perspektivwechsel ins Spiel: „Mit Virtual-Reality-Brillen können Schüler*innen andere Blickwinkel im Verkehr einnehmen“. Das Schulamt ist bereits informiert. Unterstützung kommt von Thomas Engel: „Auch für Radfahrende ist es hilfreich zu sehen, wie es ist, mit einem LKW  abzubiegen.“ 

 

Radsport in der Schule verankern

 

Ein weiterer Perspektivwechsel: Radfahren soll auch jenseits des bloßen Verkehrsmittels interessanter werden. Büschke will dafür den Radsport stärker in den Schulen verankern. Mit der Gemeinschaftsschule am Roten Berg und Radsportverein Turbine Erfurt soll das schon ab Frühjahr losgehen. Radfahren auf der schicken Rennbahn im Rieth oder Mountainbiking im Steigerwald ist schließlich auch viel cooler als Monster-SUV mit 500 PS . Und die Sport- und Schwimmhallen würden auch noch entlastet.          

 

 

th