Druck auf dem Kessel

Es brodelt im Politik-Labor Thüringen: Vier „CDU-Rebellen“ wollen der Neuwahl des Landtags nicht zustimmen. So wäre die Zwei-Drittel-Mehrheit futsch. Welche Szenarien jetzt denkbar sind, wie sehr es in der CDU rumort und was das für Rot-Rot-Grün bedeutet, analysiert UNZ im Interview mit dem Politikwissenschaftler Prof. Dr. André Brodocz.

 

Seit 2015 ist die politische Landschaft in Thüringen kaum noch mit anderen Bundesländern vergleichbar. Politiklabor nennen das viele. Oder ist der Freistaat nur die politische Resterampe der Republik?

 

Zuerst hatte wir eine von der LINKEN geführte Landesregierung. Das war schon ein großer Einschnitt. Dann kam der Ministerpräsident für vier Wochen (Thomas Kemmerich, FDP), der irgendwie aus Versehen gewählt wurde. Danach die nächste besondere Phase: Eine weiter von der LINKEN geleitete Regierung, ohne eigene Mehrheit, die – entgegen der Unvereinbarkeitsbeschlüsse – von der CDU toleriert wurde. Folglich haben wir in der Tat eine besondere Labor-Situation.

 

Um im Labor-Bild zu bleiben: Vor allem bei der CDU scheint die große Explosion kurz bevor zu stehen – siehe auch die Personalie Hans-Georg Maaßen, der in Südthüringen für den Bundestag kandidiert.

 

In der CDU brodelt es, das kann man gar nicht anders beschreiben. Mein Eindruck war zunächst, dass sich die Landtagsfraktion unter der Führung von Prof. Mario Voigt zu beruhigen schien,  auch weil erfolgreich mit der rot-rot-grünen Minderheitsregierung zusammen gearbeitet wurde. Mit dem Näherrücken der Neuwahl, bricht aber offenbar der alte Richtungsstreit in der CDU wieder aus. Es gibt zwei Lager: Das Eine, das stärker in die Mitte tendiert, hofft auf eine Regierung ohne LINKE, aber auch ohne AfD. Mit Blick auf die letzten Umfragen ist das sehr unwahrscheinlich. Das andere Lager will auf gar keinen Fall weiter mit der LINKEN zusammenarbeiten. Dieser Konflikt ist in der CDU ungelöst und bricht immer wieder an neuen Stellen auf. Die Maaßen-Nominierung haben sie ja schon angesprochen. Dazu kommt die Frage, ob überhaupt ausreichend CDU-Abgeordnete der Auflösung des Landtages zustimmen. Probeabstimmungen in der Landtagsfraktion haben ergeben, dass es bei mindestens vier Abgeordneten große Bedenken gibt. Es dürfen aber höchstens drei sein, sonst reicht es nicht für die Zwei-Drittel-Mehrheit. Da kommt wohl die nächste besondere Laborsituation auf uns zu. 

 

Könnte es passieren, dass dann die AfD doch aus taktischen Gründen für die Neuwahl stimmt? 

 

Damit würde ich momentan nicht rechnen. Schließlich profitiert die AfD davon, dass die CDU ihre Konflikte auf offener Bühne austragen muss. Als DIE Oppositionspartei gegen die Landesregierung steht sie recht geschlossen da und hat kein Interesse, die CDU aus ihrer Zwickmühle herauszuführen. Die AfD kann sich auch keinesfalls sicher sein, ob der gemeinsame Termin von Landtags- und Bundestagswahl für sie zuträglich ist. Zumal es von der Bundes-AfD derzeit kaum Rückenwind geben würde.

 

Will heißen, dass es so weiter geht mit der Minderheitsregierung. Aber ist eine dauerhafte Kooperation oder gar Koalition von LINKE und CDU überhaupt denkbar?

 

In der laufenden Legislaturperiode würde ich nicht mit einer weiteren Zusammenarbeit rechnen. Wenn es nicht zur Auflösung des Landtages kommt, wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit daran liegen, dass nicht ausreichend CDU-Abgeordnete zugestimmt haben. Das wird einen enormen Konflikt aufbrechen lassen. Die CDU-Fraktion wird dann gar nicht in der Lage sein, sich konstruktiv auf eine weitere Tolerierung der Linkspartei einzulassen. Ich befürchte für einen gewissen Zeitraum großen Stillstand und der könnte dazu führen, dass Ministerpräsident Bodo Ramelow im Landtag die Vertrauensfrage stellen muss, weil er für kein Projekt mehr eine Mehrheit findet. 

 

Das Verlieren der Vertrauensfrage muss in Thüringen aber nicht automatisch zur Neuwahl führen, wie es auf Bundesebene der Fall wäre … 

 

Wenn der Landtag das Misstrauen ausspricht, könnte innerhalb von drei Wochen ein anderer Ministerpräsident gewählt werden. Passiert das nicht, gibt es automatisch eine Neuwahl. Ein Regierungswechsel in dieser Legislaturperiode wäre also rechtlich möglich, aber politisch sehr unwahrscheinlich. 

 

CDU und FDP haben entgegen vorheriger Versprechen, am 5. Februar 2020 gemeinsam mit der AfD einen Ministerpräsidenten gewählt. Warum sollte sich das nicht wiederholen?

 

Rechnerisch ist das natürlich ein Szenario. Aber ich sehe derzeit nicht, dass sich in der CDU dafür eine Mehrheit findet. Ich vermute eher, dass es eine gewisse Zeit dauert, bis der Ministerpräsident dann doch die Vertrauensfrage stellt. Fraglich ist aber, ob der Wahltermin (26.9.) noch zu halten ist. Der Termin könnte sich in den Spätherbst oder den Dezember verschieben. 

 

So wie es in der CDU heftige Auseinandersetzungen gibt, wird auch in der LINKEN gestritten. Einige, allen voran Sahra Wagenknecht, kritisieren den Fokus auf Identitätspolitik und Minderheiten. Sie wollen stattdessen mehr auf die „klassische soziale Gerechtigkeit“ setzen. Steht DIE LINKE da vor einem ähnlichen Problem wie gerade die CDU?

 

Bei allen Differenzen ist sich DIE  LINKE in der Regel einig, eine Stimme der Unterdrückten zu sein. Der Konflikt läuft im Wesentlichen über die Frage: Welche Gruppen und welche Lebenslagen sollen dabei eine besondere Aufmerksamkeit bekommen? Eine Richtung wird unter dem Begriff Identitätspolitik etikettiert. Hier geht es vor allem um kleine Gruppen, die sonst gar nicht in der Lage sind, in einem Mehrheitssystem mit ihrer Stimme durchzudringen. Für eine andere Richtung steht die Gruppe um Wagenknecht die sagt: Wir haben auch in der gesellschaftlichen Mehrheit Formen von Unterdrückung, die sozio-ökonomisch bestimmt sind. Diese Leute gilt es, aus Sicht von Wagenknecht, zu mobilisieren, um Mehrheiten zu erlangen. Das ist das strategische Moment. Dazu kommt, dass Wagenknecht eher materialistische als kulturelle Fragen wichtig sind. Der Unterschied zu den inhaltlichen Debatten in der CDU ist aber, dass sich bei der LINKEN an diesen Fragen nicht die Koalitionsoptionen entscheiden. Es kommen sowieso nur SPD und Grüne infrage und es fragt sich auch niemand, ob man mit der AfD koalieren kann. 

 

Könnte eine Situation nahe an der Unregierbarkeit wie in Thüringen im Herbst auch auf Bundesebene drohen?

 

Auf den ersten Blick scheint das vergleichbar. Es gibt die gleiche Parteienvielfalt. Auf den zweiten Blick zeigt sich aber: Wir haben im Bund keine so starke LINKE wie Thüringen und auch keine so starke AfD. Das heißt, dass die anderen Parteien ausreichend Stimmen bekommen werden und so eine Regierungsbildung auf jeden Fall möglich sein wird. Schwarz/Grün ist am Wahrscheinlichsten. Eine Alternative könnte Grün-Rot-Rot sein. Sehr wahrscheinlich ist das aber nicht. Zumal dazu auch SPD und LINKE noch zulegen müssten. Wenn die Grünen das erreichen, was ihnen prognostiziert wird, haben sie das Maximum abgeschöpft. Grün-Rot-Rot wird aber nur möglich, wenn es einer der drei Parteien gelingt, aus dem Lager von CDU, FDP oder vielleicht sogar der AfD noch Stimmen zu generieren. Das ist momentan nicht zu erwarten. Eine umstrittene Position wie sie Wagenknecht vertritt ist dabei womöglich sogar eher hilfreich, weil sie versucht, ganz andere Wählerschichten anzusprechen, die z.B. die Grünen gar nicht erreichen können. 

 

 

Thomas Holzmann