DIE LINKE sollte wieder etwas frecher werden

„Wer mal eine kulturvolle Diskussion erleben will, sollte an einer Sitzung des Bundesausschusses teilnehmen“, findet Andreas Schuster, der für die Thüringer LINKE in diesem wichtigen Kontrollgremium sitzt. Auch, wenn sich der Bundesvorstand nur vier mal jährlich trifft, beschäftigt er sich praktisch mit allen strittigen Fragen innerhalb der Partei.

Vom 14. bis 16. findet in Dresden die 2. Tagung des 3. Parteitages statt. Welches Signal sollte davon ausgehen?


Ich erwarte eine harte, aber sachliche Diskussion zu unserem Wahlprogramm. Es gibt eine ganze Reihe von Änderungsanträgen, die diskutiert werden. Beim Thema Vermögenssteuer wäre es zum Beispiel  wichtig, die Betriebsvermögen davon auszunehmen und nur reine Privatvermögen zu besteuern. Auch die Positionierung im Wahlkampf zum Ehegattensplittung wird intensiv und kontrovers diskutiert werden. Ich bin aber optimistisch, dass wir am Ende ein gutes Wahlprogramm mit großer Mehrheit beschließen können und so auch ein Signal kämpferischer Geschlossenheit nach außen senden.


Keine vier Monate vor der Bundestagswahl ist DIE LINKE, gemessen am Ergebnis von 2009, aber noch immer im Umfragetief ... 


Ein Umfragetief beseitigt man mit den richtigen Themen und einem engagierten Wahlkampf. Wenn wir dazu noch unsere Kräfte mehr auf die politischen Kontrahenten konzentrieren als auf die eigenen Reihen, dann sollte uns nicht bange sein.


Welche Themen könnten das sein?


Natürlich zuerst die klassischen LINKE-Themen: Jobs mit vernünftigen Löhnen, eine gute Gesundheitsversorgung und die soziale Sicherheit. Auch die Verteilung des Reichtums, gleiche Bildungschancen, gesellschaftliche Teilhabe für alle, gute Kulturangebote und eine Friedenspolitik ohne die Bundeswehr im Ausland müssen angesprochen werden. 


Sollte man bestimme Themen, wie den 60. Jahrestag des 17. Junis, im Wahlkampf besser vermeiden?


Nein. DIE LINKE ist eine Partei für den Alltag und der Alltag lässt auch keine Themen aus, weder die der Vergangenheit noch die der Zukunft. Wichtig ist nur, dass eine klare Konzentration auf das Leben der Menschen im Hier und Heute erkennbar bleibt.


Wie die Politikwissenschaft bestätigt, sind Bundestagswahlen stark personenabhängig. Kann es da durch das achtköpfige Spitzenteam Probleme geben, weil außer Gregor Gysi und Oskar Lafontaine – der nicht mehr für den Bundestag kandiert – diese Personen vor allem im Westen kaum bekannt sind?


Ich habe von „Gregor und den sieben Zwergen“ gelesen. Obwohl das sicherlich abwertend gemeint war, es zeigt, dass wir nach außen in Wahrheit einen Spitzenkandidaten haben. Die anderen sind sozusagen das „Schattenkabinett“ von Gregor Gysi. So gesehen ist es doch völlig egal, wie viele Spitzen unser Team nun offiziell hat. Was den Bekanntheitsgrad der Kandidaten angeht, so braucht das wohl Zeit. Damit müssen wir klarkommen, wenn wir keine fertigen Promis, bekannt aus Funk und Fernsehen, aufstellen wollen. Bei Oskar Lafontaine sehe ich sehr wohl die Anziehungskraft auf viele Wähler, vor allem im westlichen Teil Deutschlands. Er ist ein sehr guter Redner mit einer gewissen Fettnäpfchengefahr. Aber einmischen muss, soll und wird er sich.


Welche grundsätzliche Strategie wird dem Wahlkampf zu Grunde liegen? Soll der Fokus mehr auf eigenem Agieren oder dem Reagieren, wie z B. auch auf die rechtspopulistische „Alternative für Deutschland“ liegen?


DIE LINKE sollte grundsätzlich wieder etwas frecher werden. Kein Mensch braucht eine Partei, die immer nur brav ist. Unsere Mitglieder und Wähler sollen sich schon wohlfühlen bei uns und mit uns, aber Leiharbeit, Sozialabbau, Kürzungen bei Gesundheit und Kultur sollten wir wieder lauter und deutlicher anprangern. Dazu gehört auch, dass der freundliche Sozialdemokrat von nebenan, der wiedermal unsere Themen klaut und wiedermal seine Versprechen gebrochen hat, nicht mehr so einfach davonkommt. Zur Alternative für Deutschland kann ich nur sagen, dass man die Menschen natürlich warnen muss, vor einer Partei mit einfachen und zugleich gefährlichen  Antworten.  


Sollten in Thüringen spezielle regionale Themen entwickelt werden, welche die Stärken des Landesverbandes hervorheben?


Es ist Bundestagswahl. Wenn spezielle regionale Themen auf die Bundesebene gehoben werden sollen, dann ist dies unbedingt mit dem Bundeswahlbüro und dem Spitzenteam abzusprechen. Ansonsten sind die regionalen Themen in Thüringen die gleichen wie anderswo: Leiharbeit, Hartz IV, Kulturabbau, Lehrermangel. 


Diese Themen begleiten DIE LINKE schon von Anfang an, doch zuletzt schien die Entwicklung der Partei zu stagnieren. Wie bewerten Sie vor diesem Hintegrund die Arbeit der beiden neuen Vorsitzenden ? 


Der Göttinger Parteitag hat wie ein reinigendes Gewitter gewirkt. Es scheint, dass jetzt alle wieder miteinander reden und nicht mehr übereinander herfallen. Egal, ob dies auch im Alltag zu jeder Zeit wirklich so ist, auf jeden Fall haben die neuen Vorsitzenden andere Arbeitsbedingungen. 


Hat sich die Arbeit des Bundesausschusses vor dem Hintergrund der vergangenen Reibereien verändert? 


Nur die Anzahl der zu behandelnden Unstimmigkeiten hat zeitweise zugenommen.


Warum gelingt es der LINKEN so selten, Streit und unterschiedliche Meinungen „auszuhalten“ und sich einer kulturvollen Diskussion zu bemächtigen?


Das liegt wohl an den beteiligten Menschen. Wer mal eine kulturvolle Diskussion unter LINKEN erleben will, der sollte mal an einer Sitzung des Bundesausschusses teilnehmen.


Klafft eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Partei?


Ich sag‘s mal dialektisch: Die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist die Triebkraft der Entwicklung der Partei.


Warum gelingt es nicht, von der bei vielen vorhandenen unterschwelligen Kapitalismuskritik zu profitieren?


Ist schon komisch, nicht wahr? Man versteht dieses vermeintliche Phänomen, wenn man sich die Rolle der Medien in der kapitalistischen Gesellschaft klarmacht. Die freie Berichterstattung und Kommentierung erlaubt zwar, dass sachlich über eine Partei geschrieben oder geredet wird, es ist aber auch erlaubt, eine Partei in der Öffentlichkeit fertigzumachen. Oder man selektiert, wer zu Wort kommt. Diese Medienbarriere gehört zum real existierenden Kapitalismus. 


Zumindest das Drohnendebakel sollte der LINKEN im Wahlkampf doch Vorteile verschaffen ...


Es zeigt zumindest, dass offensichtlich genug Geld da ist in Deutschland. Doch es wird in sinnlose Rüstungsprojekte gesteckt und am Ende fehlt das Geld dann für viel wichtigere zivile Projekte. Außerdem sieht man auch heute noch jedes Jahr, welche Abgeordneten aus welchen Parteien die „Kriegskredite“ bewilligen.


Thomas Holzmann