Die Radfahrer brauchen Platz, damit sie sich verkehrsgerecht verhalten können

Bei stetig steigenden Benzinpreisen sind verkehrspolitische Alternativen gefragter denn je. Doch nur besserer ÖPNV und Radwege reichen nicht, es ist auch jeder Einzelne gefordert.

Als zu Ostern die Benzinpreise auf 1,70 Euro kletterten, überboten sich Politiker aller Parteien in der Forderung nach Erhöhung der Pendlerpauschale. Müsste sich stattdessen nicht die Erkenntnis durchsetzen, dass das Ende der individuellen Massenmotorisierung erreicht ist?

 

Die Anzahl der PKW in Deutschland stieg bis zum Jahr 2010 immer, obwohl die Bevölkerung nicht mehr weiter gewachsen ist. In den letzten beiden Jahren ist allerdings eine Abnahme der Neuzulassungen zu verzeichnen. Das heißt: Der Gesamtbestand an PKW in Deutschland geht einer Sättigungsgrenze entgegen. Nach zwei Jahren kann man noch nicht sagen, dass dies dauerhaft ist. Wenn doch, wäre das natürlich eine klare Trendumkehr. 


Wobei viele Schwellenländer, allen voran China, noch immer einen gigantischen Bedarf an neuen Autos haben. Da liegt es doch Nahe, dass die Politik mit Blick auf die Arbeitsplätze in der Autoindustrie weiter massiv auf diese Branche setzt?


Länder wie China oder auch Indien haben in der Tat einen hohen Nachholbedarf. Wir dürfen auf unserem hohen wirtschaftlichen Niveau jetzt auch nicht einfach sagen, andere Länder dürfen die Fehler, die wir gemacht haben, nicht machen. Deutsche Politiker versuchen natürlich der Autoindustrie so viele Aufträge wie möglich zu erhalten. Das ist gut für die Arbeitsplätze, sorgt aber auch dafür, dass die Umweltprobleme ständig weiter zunehmen.


Die Politiker sagen vor Wahlen immer, dass mehr Verkehr auf die Schiene soll. Warum passiert dann letztlich immer so wenig?


Das kann man so pauschal nicht sagen. Auf den Hauptstrecken, z. B. von den Nordseehäfen nach Italien, sind die Bahnstrecken voll ausgelastet. Da fahren so viele Züge, wie es das Schienennetz erlaubt und man kann nahezu keine Steigerung mehr erreichen. Dazu wäre ein drittes Gleis erforderlich, bessere Signal- und Sicherheitstechnik sowie kürzere Blockabstände. Es müsste kräftig investiert werden, damit mehr Verkehr auf die Schiene verlagert werden kann. Parallel dazu wird der Bahnverkehr in weniger stark besiedelten Regionen immer weiter ausgedünnt.  Sind es unter 500 Personen, die pro Tag befördert werden, kommt es zu Abbestellungen des Schienennahverkehrs und dann fährt nur noch der Bus. 


Das tangiert auch die Mitte-Deutschland-Verbindung. Welche Optionen sehen Sie für einen Ausbau oder gar eine Elektrifizierung? 


Die Elektrifizierung lohnt sich immer dann, wenn die Strecke gut ausgelastet ist. Eine elektrifizierte Strecke ist günstiger zu betreiben als eine Dieselstrecke. Das heißt, man kann Geld sparen, aber die hohen Investitionskosten rechnen sich nur bei einer Auslastung von mindesten sechs Zügen pro Stunde in eine Richtung.


Ein Problem ist doch, dass der Transport von Gütern per LKW im Vergleich zur Bahn viel zu billig ist, wenn man Folgekosten durch Umwelt- und Straßenschäden oder Unfälle einrechnet. Müsste die Politik da nicht dringend handeln?


In der Wissenschaft sprechen wir vom Internalisieren externer Kosten. Das heißt: es wird versucht, eine Kostengerechtigkeit herzustellen und dem Verursacher werden tatsächlich alle entstehenden Kosten angelastet. Das sind dann. z. B. Schadstoffemissionen, Unfallkosten, aber auch der Lärmschutz gehört dazu. Maßnahmen, um diese Kostengerechtigkeit herzustellen laufen schon, sind aber noch nicht ausgereift. Die LKW-Maut ist so ein Beispiel. Was kaum wahrgenommen wurde: man hat sie mehrfach erhöht und auch eine schadstoffbezogene Komponente eingeführt. Damit will die Politik eine Lenkungswirkung erzielen, so dass schadstoffreiche LKW aus dem Verkehr gezogen werden. Bei den PKW sieht es mit den Steuern ähnlich aus. Diese Maßnahmen müssen weiter vorangetrieben werden, bis eine echte  Kostengerechtigkeit hergestellt ist.


Die Maut ist sicher eine interessante Kompetente für die Kostengerechtigkeit. Wäre denn eine City-Maut, wie es sie z. B. in London gibt, auch für Erfurt oder Jena eine denkbare Variante?


In der Wissenschaft unterscheiden wir zwischen harten, restriktiven und weichen Maßnahmen. Restriktive Maßnahmen wie die City-Maut oder auch eine Umweltzone sind meist unbeliebt. Darauf verzichtet die Politik lieber und nutzt stattdessen weiche Maßnahmen. Eher versuchen Politiker die Bürger zu locken, mehr den ÖPNV zu nutzen. In der Regel versucht man dann das Angebot zu verbessern, z. B. durch den Ausbau der Infrastruktur, dichteren Takt, Imagekampagnen für ÖPNV und Fahrrad bis hin zu komplett kostenlosen Nahverkehr.  Auch dadurch kann eine Lenkungswirkung erzielt werden. 


Alle solche Maßnahmen haben eines gemeinsam: sie kosten Geld. Aber woher soll es kommen?


Das Geld für einen kostenlosen Nahverkehr kann z. B. über eine kommunale Abgabe eingezogen werden, so ähnlich wie sie dafür zahlen, dass die Straße vor ihrem Haus gereinigt wird. Das wird dann nach dem Solidarprinzip umgelegt auf alle Bürger, egal ob sie den ÖPNV nutzen oder nicht.

 

Gibt es Beispiele, wo so etwas schon gemacht wird?


Die belgische Stadt Hasselt ist dafür das Berühmteste. In Deutschland sind Templin und Tübingen Beispiele, wo der Nulltarif im ÖPNV galt bzw. gilt, in Tübingen allerdings nur Samstags. Diese Vorbilder zeigen zusätzlich die Vorteile, die sich aus dem Nulltarif ergeben, z. B. dass mehr Touristen in die Stadt kommen.


Für ein integratives Verkehrskonzept reicht der ÖPNV allein nicht aus. Wie sollte es in einer modernen Stadt in puncto Radfahren aussehen?


Radwege, wie sie heute sein sollten, werden mit der Straße kombiniert. Das heißt, es wird ein ausreichender Radfahrstreifen am Straßenrand markiert. Das Geld muss gleich im Straßenbau mit investiert werden. Wir brauchen  einen Radverkehrsplan, in dem vorab festgelegt wird, auf welchen Straßen vernünftige Radwege angelegt werden sollen. So könnte das Geld auch problemlos aus dem selben Topf, wie für den Straßenbau generell kommen.


Allerdings werden Radfahrer oft nur als Rowdys hingestellt …


Das vielfache Falschverhalten der Radfahrer ist vor allem auf das Fehlen einer vernünftigen Infrastruktur zurückzuführen. Wenn der Radfahrer abwechselnd auf dem Bürgersteig oder der Straße fahren und auch noch ständig die Seite wechseln muss, ist er damit überfordert, sich den richtigen Weg zu suchen. Würde eine einheitliche, überschaubare Infrastruktur geschaffen, würde der Anteil der sich falsch verhaltenden Radfahrer definitiv abnehmen. Die Radfahrer brauchen Platz, damit sie sich verkehrsgerecht verhalten können.


Um weg vom Auto zu kommen, ohne ganz darauf zu verzichten, könnte doch auch das Carsharing ein Modell sein?


Ich denke, das wird eher ein Nischenprodukt bleiben, für Leute, die in der Nähe einer Carsharing-Station wohnen, die Single sind und nur selten das Auto nutzen. Da macht es Sinn und kann auch zu einer Entlastung beitragen, vor allem weil man sich dann genauer überlegt, ob man eine Strecke unbedingt mit dem Auto zurücklegen muss. In den Vororten ist das aber schon weniger geeignet. Ein Großteil der Bevölkerung kennt dieses Angebot auch noch gar nicht.


Das deutet doch auch darauf hin, dass sich im Bewusstsein jedes Einzelnen etwas verändern muss …


Dieser Imagewandel muss erst noch einsetzen. Bei den Studierenden und Angestellten an der FH Erfurt hat sich das schon eher durchgesetzt, dass das Fahrrad ein sehr attraktiver Verkehrsträger ist und auch der ÖPNV wird gern genutzt. In Erfurt fragt sich aber nicht jeder Mensch am Morgen, ob er mit dem Auto zur Arbeit fahren muss oder ob man bei schönem Wetter auch mal das Fahrrad nehmen kann. Genau dieses Bewusstsein muss bei vielen Menschen aber erst noch entwickelt werden.


Thomas Holzmann