Die Politiker hören die Botschaften der Bürger viel zu selten

Holger Auerswald will als Oberbürgermeister für Suhl „dicke da sein“ und insbesondere die Demokratie durch mehr Bürgerbeteiligung stärken.

Suhl ist in 20 Jahren von Außen betrachtet in einem stetigen Niedergang. Wo genau liegen die Ursachen, dass sich die Stadt nicht so entwickeln konnte wie Jena oder Erfurt?

 

Mit Jena oder Erfurt kann man Suhl gar nicht vergleichen. Wir hatten nie mehr als 55.000 Einwohner und wir verfügen auch nicht über eine Hochschule. Die politischen Ursachen liegen aber vielmehr in der Wirtschaftsförderung des Landes. Die Städtekette Eisenach-Erfurt-Weimar-Jena wurde mit allem an Wirtschaftsförderung vollgepumpt, was nur ging. Wir haben über 7.000 Industriearbeitsplätze verloren, aber das hat in Erfurt kaum einen interessiert. Mit den Arbeitsplätzen wanderten ganze Familien ab und so kam es zu dem Verlust von 20.000 Einwohnern seit der Wende. 


Deswegen soll mit Suhl-Nord gleich ein ganzes Stadtviertel abgerissen werden. Wie sehen die Pläne dafür aktuell aus und wie könnte das Gelände später genutzt werden?

 

Mit dem integrierten Stadtentwicklungskonzept wurde entschieden, dass das ganze Viertel bis 2025 abgetragen  und gleichzeitig die Entwicklung zu einem großflächigen Gewerbegebiet vorangetrieben wird. Neben den Gewerbeflächen haben wir in unserer Flächennutzungsplanung auch Bereiche für die  Energiegewinnung vorgesehen, vornehmlich 12 Hektar für Photovoltaik.

 

Die Energiewende ist auch in der Nachbarstadt Zella-Mehlis ein großes Thema. Gibt es da Möglichkeiten der Kooperation und was gibt es in Suhl sonst noch an Erneuerbaren?


Wir haben jetzt schon eine sehr enge Kooperation. Ich bin zum Beispiel im persönlichen Kontakt mit Richard Rossel. Außerdem gibt es auch die gemeinsamen Stadtwerke Suhl-Zella-Mehlis. Das wollen wir auch noch weiter ausbauen. Ich selbst beschäftige mich schon seit Jahren mit dem Thema erneuerbare Energien in Suhl und bin auch Leiter der AG Klimaschutz und Energiekonzept. Suhl hat schon einen großen Solarpark über eine unserer städtischen Gesellschaften. Bei jedem Neubauvorhaben dränge ich immer darauf, dass gleich Solaranlagen in die Dächer integriert werden. Wir reden über Hackschnitzelheizung, über die Nutzung der Fernwärme aus der schon bestehenden Müllverbrennungsanlage. Zurzeit arbeite ich an einem Projekt zur Wasserkraftnutzung. Zukünftig wollen wir zudem auf oberflächennahe Geothermie und auf Windkraft setzen. Bis 2025 halte ich es für realistisch, dass wir in Suhl die Hälfte des Energiebedarfes mit Erneuerbaren decken. Bis 2050 halte ich es sogar für realistisch, die Energieautarkie zu erreichen, wenn wir konsequent diesen Weg weiter gehen.  


Was leistet der amtierende OB Jens Triebel bei den Erneuerbaren?


Unter dem Druck des Stadtrates, wo DIE LINKE die stärkste Fraktion ist, hat Triebel schon etwas geleistet. Aber es ist zu einseitig ausgerichtet auf Biomasse, speziell die Hackschnitzelheizung. Das hat etwas damit zu tun, dass Triebel von Beruf Förster ist und die Waldnutzung in den Vordergrund stellt. Diese Einseitigkeit können wir uns aber auf Dauer nicht leisten. 


Viele LINKE Kandidaten setzen, um sich deutlich von anderen Kandidaten zu unterscheiden, immer stärker auf eine massive Veränderung der politischen Kultur. Wie definieren Sie die Rolle eines OB?


Wir diskutieren zurzeit über 20 Jahre lokale Agenda. Stichwort: die Rio-Erklärung der großen UNO-Konferenz  über Umwelt und Entwicklung von 1992. Dort hieß es schon: „jede Kommunalverwaltung soll in einem Dialog mit den Bürgern, den örtlichen Organisationen und der Privatwirtschaft eintreten und eine kommunale Agenda 21 beschließen.“ Dieser Dialog findet in vielen Städten noch viel zu einseitig statt, bis hin zum Monolog. Das meinen wir als LINKE, wenn wir von einer anderen politischen Kultur reden. Wir bauchen eine viel stärkere Einbindung der Bürger. Sie sollen nicht nur Empfänger von Botschaften sein, sie haben auch uns Politikern Botschaften anzubieten. Wir hören die nur zu selten, weil wir nicht die Instrumente haben bzw. sie nicht ausreichend nutzen, um mit den Botschaften der Bürger umzugehen. 


Das nicht zu hören führt zu Politikverdrossenheit und zu einer Lethargie die für die Demokratie Gift ist ...


Ich würde eher sagen, die Menschen sind Methodenverdrossen. Seit Jahren versuchen wir eine Beiratskultur zu entwickeln, die aber noch lange nicht da ist, wo sie hingehört. Es reicht mir auch nicht, wenn die Beiräte nur ein Beratungsorgan des OB sind. Ich will, dass sie auch Beratungsorgan der Verwaltung und des Stadtrates sind. Von den 36 Stadträten nimmt sich jeder das Recht heraus, für 1.000 Leute zu sprechen. Die interessiert auch, was in ihrer Stadt passiert. Es gibt aber noch viel zu wenige Kanäle, wo diese Bürger ihre Informationen hingeben können.


Ihr Motto ist „global denken – lokal handeln“. Wie wollen Sie als OB regionale Wirtschaftskreisläufe stärker fördern?


Besonders zwischen den Unternehmern will ich viel mehr vermitteln. Ich erlebe oft, dass der eine vom anderen nichts weiß. Da frage ich mich immer, warum die IHK keine bessere Vernetzung hinbekommt. Die haben eigentlich bessere Möglichkeiten als die Politik. Die Verwaltung kann zum Beispiel  schon darauf Einfluss nehmen, wie die Handelslandschaft aussieht. Wen lade ich ein auf den Markplatz – kommen die von weit weg oder aus der Region? Dazu kommt das Thema kommunales Vergaberecht. Wenn wir die Chance hätten, ohne diesen Ausschreibungswahn, den uns Europa diktiert, ausschreiben zu können, wären wir in der Lage, Aufträge in der Region zu halten.


An das Thema erneuerbare Energien schließt sich auch die Frage nach dem Biosphärenreservat Vessertal an und wie der Tourismus in der Region damit besser verknüpft werden kann?


Es gab auch schon zu DDR-Zeiten Tourismus und es gibt ihn auch jetzt. Das Problem liegt hier wieder bei der Landespolitik. Denn der Tourismus südlich des Rennsteigs hat in der Förderung nicht die große Rolle gespielt, sondern nur wieder die Städtekette Eisenach-Erfurt-Weimar-Jena und einige wenige Kleinigkeiten, wie der Hainich. Stattdessen hat sich dann so eine Art Kleinstaaterei entwickelt. Ganz vorne steht Oberhof und dann gibt es mit dem Biosphärenreservat, dem Naturpark Thüringer Wald und dem Regionalverbund Thüringen viel zu viele Parallelstrukturen, die nichts nützen und somit überflüssig sind. Was  aber nicht gemacht wird, ist ein regionaler Verkehrsverbund, so dass man mit einer Bus- und Bahnlinie in Suhl am einen Ende des Biosphärenreservates einsteigt und bis zum anderen Ende nach Arnstadt mit einem Fahrschein kommt. Da gibt es vieles, was in den nächsten Jahren aufgebaut werden sollte. Ich finde es fatal, wenn Millionensummen in den Rennsteig gesteckt werden, aber drumherum keiner was von den Fördergeldern sieht. Wir haben kein Geld, um Bänke und Schutzhütten auf dem Weg zum Rennsteig zu bauen, stellen auf dem Rennsteig aber Hütten mit Duschen hin. Da muss man genau hinschauen, ob das alles so sinnvoll ist.

 

Diese Dinge betreffen ja auch die Lebensqualität der Einheimischen. Wie wollen Sie die verbessern, damit der Wegzug vor allem junger Menschen gestoppt wird? 


So lange der Westen besser bezahlt, werden die Leute dorthin gehen. Solange Bundesgesetze Unterschiede zwischen den Regionen manifestieren, wird sich die Lage nicht verbessern. Wenn wir z. B. nicht endlich einheitliche, flächendeckende Mindestlöhne einführen, werden wir immer solche Wanderungsbewegungen haben.


DIE LINKE hat in Suhl eine Hochburg: stärkste Fraktion im Stadtrat, Ina Leukefeld Direktmandat im Landtag, Jens Petermann im Bundestag. Ist das eine Belohnung dafür, dass sich DIE LINKE wieder stärker auf  das was vor Ort passiert konzentriert?


Auf der kommunalen Ebene hier in Suhl, sind wir dichter an den Problemen der Menschen dran. Die „Elfenbeintürme“ in Erfurt und Berlin sind manchmal eher lebensfern. Deswegen lade ich mir im Wahlkampf auch Bundespolitiker ein, damit sie mal sehen, was von ihren Entscheidungen da oben hier unten übrig bleibt. Es gibt viele in unserer Partei, die Kommunalpolitik als wichtigstes Standbein sehen. Die anderen sehen das mehr schwarz-weiß, hier links und da rechts. So sind Kompromisse natürlich nur schwer möglich. Ich denke aber, dass dieser Spannungsbogen auch auf fruchtbaren Boden fallen kann. Was aber nicht passieren darf ist, dass im Westen nur Fundamental-opposition gemacht wird und im Osten nur  pragmatische Realpolitik.