Die Krisen sind häufiger geworden

Trotz ständiger Krisen wird das neoliberale Paradigma der Deregulierung kaum in Frage gestellt – mit allen negativen Konsequenzen für die Bürger, sagt Arif Rüzgar, Finanzwissenschaftler an der Universität Erfurt. Die Schuldenbremse, die auch in Thüringen eingeführt wird, sei ein typisches Beispiel für dies neoliberale Paradigma.

 

 

Die Eurokrise schwelt noch immer ungelöst und gleichzeitig deutet sich für dieses Jahr ein Nullwachstum an. Warum wird angesichts der   Dauerkrise weder von der Politik noch von der Wissenschaft der krisenverursachende Deregulierungswahn in Frage gestellt? 

 

Dieses neoliberale Paradigma hat sich leider fest etabliert. Es gibt nur ganz wenige Ausnahmepersonen an Universitäten wie Prof. Helge Peukert, apl. Prof. am Lehrstuhl für Finanzwissenschaft an der Universität Erfurt, an welchem  ich auch arbeite, die dieses neoliberale Paradigma anzweifeln. Deswegen haben er und andere kritische Professoren es alles andere als leicht. Seit den siebziger Jahren hat es eine Entwicklung gegeben, die dazu geführt hat, dass praktisch die ganze ökonomische Wissenschaft neoliberal durchsetzt ist. Jetzt, da es vermehrt Gegenstimmen aus verschiedenen Bereichen gibt, hat nicht ohne Grund  Bundespräsident Gauck seine Rede in Freiburg im Walter-Eucken-Institut gehalten, in der er kritisiert, dass der Begriff Neoliberalismus negativ besetzt sei. 

 

Kann es sein, dass der Begriff Neoliberalismus den Blick auf die Realität des Kapitalismus verschleiert und sich im Großen und Ganzen, seit „Manchester“ oder Gründung der ersten Banken im Italien des 15. Jahrhunderts das Grundprinzip gar nicht verändert hat?

 

Ich denke schon, dass wir es z. B. in der Nachkriegsperiode bis in die 1970er Jahre hinein mit einer anderen Situation der Weltwirtschaft zu tun hatten als heute. Zum einen natürlich durch die Bipolarität des Ost-West-Konfliktes, aber mehr noch durch den Keynesianismus. In der Praxis hieß das, der Staat hat interveniert, wenn die Wirtschaft stagnierte. Dieses Paradigma hat in den siebziger Jahren, vor allem nach den Ölpreisschocks, deutlich an Gewicht verloren. Das hat dann  zu einer Wiederbelebung des Monetarismus geführt, der die grundlegenden Überlegungen des Liberalismus, der schon vor dem 2. Weltkrieg  eine Hochphase erlebte, aufgreift. So wurde von Protagonisten wie Milton Friedmann versucht, Keynes zu widerlegen. Damit begann die Phase, in der erfolgreich versucht wurde, die staatlichen wirtschaftspolitischen Interventionen immer weiter zurück zu drängen. Das Ende des Bretton-Woods-Systems Anfang der 70er Jahre, der Übergang von starren zu flexiblen Wechselkursen, ist auch so ein Beispiel dafür.  

 

Seit der ersten großen Krise, dem Tulpenfieber von 1637 haben sich die großen Krisen des Kapitalismus (z. B. 1720, 1929 oder 2007) immer wiederholt. Kann es sein, dass durch die technische Entwicklung, alles geht mit Flugzeugen und dem Internet viel schneller als vor hundert Jahren, auch die Häufigkeit und die Intensität dieser Krisen zunimmt

 

Die Krisen sind häufiger und die Phasen dazwischen kürzer geworden. Es gibt  etliche Forschungsarbeiten, die genau das belegen. Das hat auch etwas damit zu tun, dass es keinen Einschnitt gibt und nach der Krise nie gesagt wird: Jetzt muss sich etwas grundlegend ändern. Im Gegenteil, die letzte Finanzmarktkrise scheint den Neoliberalismus sogar nochmals bestärkt zu haben. Die Schuldenbremse, die auch in Thüringen eingeführt wird, ist so ein typisches Beispiel für das neoliberale Paradigma, mit allen negativen Konsequenzen für die Bürgerinnen und Bürger.   

 

Somit scheint die nächste große Krise doch nur eine Frage der Zeit zu sein. Kann der einzelne Bürger überhaupt etwas tun, um sich und sein Vermögen zu schützen?

 

Die Frage ist doch: Welche Geldanlage ist heute noch sicher? Sinnvoll sind solche Modelle wie es in Thüringen die Energiegenossenschaften vormachen. Dabei geht es ja nicht nur um eine Geldanlage, sondern auch um Gestaltung und Mitbestimmung. Diese Formen der Rekommunalisierung sind definitiv ein wichtiger Baustein, die auch im Landtagswahlprogramm der LINKEN eine große Rolle spielen werden. Wie sicher solche Anlagemodelle bei den Energiegenossenschaften sind, kann man aber nicht definitiv sagen. Gerade im Bereich Solar gibt es viele Firmen, die Probleme haben, insofern ist das noch nicht die große Alternative für Kapitalanlagen, weil es auch hier gewisse Risiken gibt.   

 

Angesichts der Unwägbarkeiten der Weltwirtschaft stellt sich die Frage:  Wo sind für ein Land wie Thüringen zukünftig noch finanzielle Spielräume vorhanden?

 

Bei der Vermögens- oder Erbschaftssteuer gäbe es genug. Leider sind das bundespolitische Weichenstellungen, auf die Thüringen einen geringen Einfluss hat. Die Steuervergünstigungen für Unternehmen und Besserverdienende machen sich gerade im Landeshaushalt über die Ausgabenkürzungen immer stärker bemerkbar. Wenn noch die Schuldenbremse dazukommt, wird es ganz schwierig. Die Konsequenzen sieht man in allen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, von den Universitäten über die Infrastruktur bis zu den sozialen Einrichtungen. Auch, wenn es niemand gerne hört, aber ohne Steuererhöhungen wird man aus diesem Dilemma kaum heraus kommen können.

 

Steuererhöhungen nehmen Politiker nicht gern in den Mund.  Gleiches gilt für die Inflation. Sabine Lautenschläger, vom EU-Parlament ins EZB-Direktorium gewählt, hat vor Inflation und  Niedrigzinsgspolitik gewarnt. Kann es so extrem kommen wie in der Weimarer Republik? 

 

Wenn man die absoluten Zahlen mit denen zu Beginn der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts vergleicht, gibt es sicher Parallelen. Die Gefahr einer Hyperinflation sehe ich deswegen aber noch nicht. Die Formel, dass die Erhöhung der Geldmenge automatisch zu steigenden Preisen  im Realsektor führt, muss neu überdacht werden. Zumal ein wichtiger Faktor – wohin fließt dieses Geld überhaupt – nicht berücksichtigt wird. Viel wahrscheinlicher scheint mir eine erneute Inflation bzw. eine Blase auf den Finanzmärkten.

 

Es wird oft gesagt, die Preise würden sinken. Brot, Bahntickets, Strom, Dinge des täglichen Bedarfs sind aber zumindest gefühlt deutlich teurer geworden. Kann es sein, dass die Berechnungsgrundlagen veraltet sind und etwas vorgegaukelt wird?

 

Bei den einfachen Leuten macht sich natürlich die Inflation bemerkbar, auch wenn sie vermeintlich gering ist. Seit der Einführung des Euros sagt ein Großteil der Mainstream-Ökonomen, dass es keine bemerkbare Inflation gibt. Ein Problem dabei dürfte sein, dass die Entwicklung der Reallöhne nicht berücksichtigt wird. Setzt man Löhne und Lebenshaltungskosten ins Verhältnis, stellt man fest, dass vor allem die Produkte des täglichen Bedarfs merklich teurer geworden sind. In Deutschland, wo wir es vor allem bei den unteren Einkommen seit Jahren mit Reallohnverlusten zu tun haben, merken das natürlich viele Leute auf ihrem Konto. Da wird manches einfach verzerrt dargestellt. Dazu passt auch, dass es den Wirtschaftsakteuren und Teilen der Politik, die die Krise verursacht haben, gelungen ist, die Kosten dafür auf die einfachen Menschen abzuwälzen: durch Inflation, Schuldenbremse, Spardiktate usw. Und schlimmer noch, sie haben es sogar geschafft, die Krise in der Öffentlichkeit von einer Banken- und Spekulationskrise zu einer reinen Staatskrise, einem Staatsversagen, umzudeuten. Da heißt es, nicht die Deregulierung der Finanzmärkte, sondern der Staat als wirtschaftspolitischer Akteur und  der  Bürger selbst sind letztlich Schuld an der Krise. Als ich diese Argumentation das erste Mal hörte, hielt ich das für lächerlich. Doch leider hat sich wieder das neoliberale Paradigma durchgesetzt. 

 

Thomas Holzmann