Deutschland muss den Kriegsdienst verweigern!

Für den außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion Bundestag, Wolfgang Gehrcke, ist DIE LINKE nach wie vor die einzige Partei, die radikal gegen Kriege, deren Ursachen und jegliche deutsche Beteiligung kämpft.

Im Programm heißt es: „DIE LINKE ist eine „internationalistische Friedenspartei“. Heißt das auch radikaler Pazifismus oder kann militärische Gewaltanwendung unter dem Dach der UNO im Einzelfall, z. B zur Verhinderung von Völkermord, eine allerletzte Option sein? 


Für DIE LINKE ist konstituierend, dass sie radikal gegen Kriege, Kriegsursachen und eine deutsche Beteiligung an Kriegen kämpft. Wenn man will, kann man diese Position mit politischem Pazifismus bezeichnen. Politischer Pazifismus meint, dass Krieg als Mittel der Politik ausgeschlossen wird. Es ist eine Tragik, dass nach der deutschen Vereinigung und dem Zusammenbruch des Realsozialismus in Europa Krieg wieder zum Mittel deutscher Politik wurde. Diese Verantwortung liegt vor allem bei der rot-grünen Bundesregierung, persönlich bei Schröder und Fischer. Es ist ebenfalls eine Tragik, dass sich die Vereinten Nationen immer weiter von ihrer Charta entfernen. Deswegen spricht DIE LINKE in ihrem Programmentwurf davon, dass die Vereinten Nationen auf die eigene Charta zurückgeführt werden müssen. In der Charta der Vereinten Nationen ist recht präzise beschrieben, unter welchen Bedingungen wie gehandelt werden kann oder muss. Das setzt aber immer voraus, dass die ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates und der Weltsicherheitsrat als Ganzes sich an die Charta halten. Das ist in vielen Fragen heute nicht der Fall. Diktatorensturz, so wünschenswert er erscheinen mag, gehört nicht zu den sicherheitspolitischen Aufgaben der Vereinten Nationen. Gegen Diktatoren kann und muss in vielfältiger Form politisch, sozial weltweit gekämpft werden. Hier ist DIE LINKE immer solidarisch mit den weltweiten Befreiungskräften.


Warum gibt es im Programmentwurf keine eindeutige Aussage zu Kapitel VII der UNO-Charta? 


Im Entwurf des Parteiprogramms heißt es unter anderem, dass die „deutsche Beteiligung an UN-mandatierten Militäreinsätzen nach Kapitel VII der UNO-Charta“ abgelehnt wird. Für die UNO selbst muss es endlich lebendige Wirklichkeit werden, Gewalt und bereits die Androhung von Gewalt abzulehnen.


Wie steht DIE LINKE zu neuen Entwicklungen im Völkerrecht, insbesondere zur Weiterentwicklung des Sicherheitsbegriffes, der „Human Security“? 


Unter der Ausweitung des Sicherheitsbegriffes werden viele Bereiche militarisiert, für die Militär die falscheste Antwort ist. Militär – egal in welcher Form – kann keine Antwort sein für menschliche Sicherheit, das heißt für Menschenrechte, zur Abwehr der Klimakatastrophe, zur gerechten Ressourcenverteilung, der Sicherheit von Handelswegen und vieles der Art mehr. Die Ausweitung des Sicherheitsbegriffes dient letztlich nur der Rechtfertigung imperialer Kriege. Da man eben nicht der Weltöffentlichkeit mitteilen kann, wir sind aus geostrategischen Interessen in Afghanistan, wird geheuchelt, wir verteidigen in Afghanistan Frauenrechte. Die Ausweitung des Sicherheitsbegriffes war 1999 auf dem Washingtoner NATO-Gipfel die wichtige Entscheidung, die NATO kriegsfähig zu machen.


Warum ist der Außenpolitikteil, im Vergleich zum Rest des Programmentwurfs, so knapp bemessen? 


Vielleicht kann man die Frage anders herum besser beantworten: Warum wird in anderen Programmteilen so viel um die Kernprobleme herum geschrieben und warum sind diese nicht knapper und damit konkreter gefasst? Ich hätte gern im außenpolitischen Teil einen neuen Gedanken zur Diskussion gestellt: DIE LINKE tritt für vielfältige Formen weltweiter Kooperationen, einschließlich der Werbung für eine neue Internationale ein.


Der UN-Sicherheitsrat hat in den letzten 20 Jahren mehrfach „alle Maßnahmen zum Schutz von Zivilisten“ autorisiert. Im Fall Libyen nutzt man das, um zum „regime change“ zu kommen. Warum gibt es keinen rechtlichen klaren Rahmen, was „alle Maßnahmen“ in der militärischen Praxis bedeuten? 


Der Eindruck täuscht, die Charta der Vereinten Nationen ist sehr präzise. Sie braucht in den wenigsten Fällen verändert werden. Man muss sich nur wirklich an die Charta halten.


Im Programmentwurf wird ein kollektives Sicherheitssystem inklusive Russland als Ersatz für die NATO gefordert – wäre das nicht eine Doppelstruktur zur UNO und zur OSZE? 


NATO und UNO sind nicht komplementär, sondern schließen sich von der Zielsetzung gegenseitig aus. Die NATO ist ein Militärbündnis, das Kriegsführung als eines ihrer Mittel nicht nur reklamiert, sondern auch anwendet. Die UNO ist ein weltweites Staatenbündnis, das Krieg als Mittel der Politik ausschließen will. Unter dem Dach der UNO könnten sich unterschiedliche Formen kollektiver Sicherheit entwickeln. So zum Beispiel ein System kollektiver Sicherheit in Europa oder dass sich immer mehr Weltregionen als „atomwaffenfrei“ konstituieren. Dafür wäre es wichtig, dass die UNO die Garantie übernimmt, dass atomwaffenfreie Staaten und Zonen nicht mit Atomwaffen bedroht werden.


Wie genau stellt sich DIE LINKE einen reformierten UNO-Sicherheitsrat vor? 


Der UNO-Sicherheitsrat wurzelt aus dem Kräfteverhältnis zur Gründung der UNO. Er kann rechtlich nur verändert werden, wenn er selbst es betreibt. Im Programmentwurf sprechen wir davon, dass die Machtbalance zwischen Vollversammlung und Weltsicherheitsrat zugunsten der Vollversammlung verschoben werden muss. Das schließt ein, dass die UNO auch in ökonomischen Fragen weltweit mehr Mitspracherecht erhalten soll. Unter den ständigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrates ist zuviel Europa, ist Afrika und Lateinamerika überhaupt nicht vertreten, kein einziges arabisches Land. Der Weltsicherheitsrat, das ist die Welt von gestern, aber nicht die Welt von heute ...


Wie kann es gelingen, dass die oft hoch gesteckten Ziele der UNO, z. B. 0,7 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für Entwicklungshilfe aufzuwenden, tatsächlich zu konkreten Politikergebnissen führen? 


0,7 Prozent des BIP sind kein übertrieben hohes Ziel für die Industrienationen. Eigentlich müsste man darüber nachdenken, wie viele Milliarden und Abermilliarden kapitalistische Länder der Weltgemeinschaft geraubt haben. Wo stände zum Beispiel Europa, wenn nicht Spanien und Portugal Lateinamerika ausgeplündert und Millionen Menschen ermordet hätten? Welcher Preis wäre zu zahlen für die britische Ausplünderung Indiens? Und wie hoch wäre der Preis für die kolonialen Verbrechen Deutschlands in Afrika und die französischen Verbrechen in Algerien und Tunesien? 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sind da mehr als bescheiden.


Kann der Wandel von der bipolaren zu einer multipolaren Weltordnung langfristig eine Ära des Friedens einleiten oder droht der Weltkrieg um Rohstoffe und der Kampf der Kulturen? 


Das Kräfteverhältnis und die Probleme in der Welt haben sich rasant verändert. Nach einer bipolaren Welt (Ost – West / Russland – USA) erschien es so, dass man nun in eine unipolare Welt, das heißt, in eine Weltherrschaft der USA übergeht, während heute deutlich wird, dass unterschiedliche Pole, unterschiedliche nicht-staatliche und auch staatliche Akteure sich weltweit herausgebildet haben. Zum Beispiel China, Brasilien, Indien, Südafrika und andere mehr. Deutschland will in diesem Konflikt als ökonomisch starke Mittelmacht Weltpolitik betreiben, allerdings nicht als Nationalstaat allein, sondern durch seine Dominanz in internationalen Organisationen – EU, IWF, Weltbank, UNO und andere mehr. Immer, wenn Deutschland sich anschickte, Weltpolitik zu betreiben, ist das für Deutschland und die Welt sehr schlecht ausgegangen. Die linke Alternative dazu heißt: Deutschland muss den Kriegsdienst verweigern!


Thomas Holzmann