Der Wert der Arbeit muss neu definiert werden

Seit Jahren sinken die Reallöhne in Deutschland. Mindestlöhne gibt es in 21 von 27 EU-Staaten, aber nicht in der reichen Bundesrepublik, schon gar nicht im Niedriglohnland Thüringen. Arbeitsmarktexpertin Ina Leukefeld (MdL, DIE LINKE) erklärt warum Mindestlöhne gerade jetzt so wichtig sind.

Ab dem 1. Mai gilt die Arbeitnehmerfreizügigkeit auch für die 2004 der EU beigetretenen Staaten. Was bedeutet das konkret für Deutschland und Thüringen, wenn bis dahin kein Mindestlohn eingeführt wird?


Das Lohndumping wird sich noch weiter fortsetzen und sogar zunehmen. Wir haben als Fraktion die Landesregierung bereits aufgefordert, sich in dieser Frage zu positionieren. Wirtschaftsminister Machnig wird natürlich sagen, dass er für den Mindestlohn ist. Ändern wird sich dadurch nichts, aber das Lohndumping wird auch um Thüringen keinen Bogen machen. Wenn wir das eindämmen wollen, brauchen wir einen flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn. Ein branchenspezifischer Mindestlohn für die Zeit- und Leiharbeit, wie er jetzt diskutiert wird, wäre ein Schritt in die richtige Richtung, der aber lange nicht ausreicht. Von den 3,81 Euro, was dem Tariflohn im Frisörhandwerk entspricht, kann kein Mensch leben. Was in 21 von 27 EU-Länder möglich ist, muss auch in Deutschland machbar sein. In Frankreich wurde der Mindestlohn Anfang des Jahres auf neun Euro angehoben. DIE LINKE fordert für Deutschland zehn Euro. Über solche Zahlen kann man natürlich trefflich streiten, an der grundsätzlichen Notwendigkeit eines Mindestlohns ändert das aber nichts. Ein Mensch muss von seiner Arbeit auch leben können, ohne noch zum Amt gehen zu müssen.  


Könnte ein deutsches Zeitarbeitsunternehmen seinen Sitz nach Osteuropa verlegen und so nach den Richtlinien eines Landes wie Rumänien seine Angestellten in Deutschland bezahlen? 


Das ist durchaus real. Ich war kürzlich in der Zimbo-Wurstfabrik in Suhl. Dort arbeiten jetzt schon ungarische Zeitarbeiter nach dem Arbeitnehmer-überlassungsgesetz. Bei meinem Besuch wollte man mir nicht verraten, was sie verdienen. Lohndumping durch den europäischen Binnenmarkt gibt es also jetzt schon. Ab dem 1. Mai wird es dann aber überhaupt keine Beschränkungen oder Genehmigungspflichten mehr geben. In der Pflege oder auf dem Bau sind ausländische Arbeitskräfte jetzt schon nichts ungewöhnliches. Wobei es in der Baubranche einen Mindestlohn gibt, der aber nicht ausreicht und außerdem häufig durch Schwarzarbeit umgangen wird. Da kann man sich leicht ausrechnen, was in Branchen ohne Mindestlohn passieren wird.  


Hätte ein einheitlicher Mindestlohn aber nicht den Nachteil, dass er den unterschiedlichen Lebensbedingungen in Deutschland nicht gerecht wird? 

Es ist natürlich richtig, dass die Lebensbedingungen unterschiedlich sind. Trotzdem wird das Problem nicht gelöst, wenn man einmal anfängt, Ausnahmen zu machen, denn bei einer Ausnahme bleibt es nicht. Außerdem würden die bestehenden Unterschiede so regelrecht zementiert und wir als LINKE wollen gleichwertige Lebensbedingung überall in Deutschland. Deswegen brauchen wir beim Mindestlohn klare Aussagen. Gut wäre es, eine unabhängige Kommission zu  schaffen, in der auch die Tarifpartner sitzen, die dann über die Höhe der Mindestlöhne mitentscheidet.


Schaut man auf die stetig wachsende Zahl der „Aufstocker“, die arbeiten gehen und trotzdem noch Hartz IV beantragen müssen, stellt sich die Frage, inwieweit das alte CDU-Kombilohn-  modell durch die Hintertür eingeführt wurde. 


Ich denke schon, dass dieses Kombilohnmodell von Schwarz-Gelb und Rot-Grün in trauter Gemeinsamkeit vorbereitet wurde und heute durch die Hintertür in Form von Hartz IV und Zuverdienst Realität ist. Wir als LINKE haben uns vor Jahren dieses Modell natürlich auch angeschaut und die Frage gestellt, was mit kleinen Unternehmen ist, die keine existenzsichernden Löhne zahlen können. Es ist aber keine Lösung, weil das Kombilohnmodell der Wirtschaft Tür und Tor öffnet, sich aus der Verantwortung zurückzuziehen. Wenn ein Mensch mit seiner Hände Arbeit einen Mehrwert schafft, dann muss er auch an der Erwirtschaftung dieses gesellschaftlichen Reichtums beteiligt werden. Das ist doch ganz einfach ein Frage der Gerechtigkeit!


Zurzeit wird von Schwarz-Gelb gebetsmühlenartig betont, dass die Krise überwunden und der Aufschwung da ist. Warum gibt es dann nach vielen Jahren der Zurückhaltung nicht endlich deutliche Lohnerhöhungen? 


Der entscheidende Grund sind die veränderten Bedingungen durch den globalen Wettbewerb. Die positive Entwicklung in Deutschland momentan liegt in erster Linie am überdurchschnittlichen Export. Schwarz-Gelb hat dazu nichts beigetragen. Das heißt aber, dass die deutschen Produkte und Leistungen international zu günstigeren Konditionen angeboten werden können, unter anderem, weil die Löhne so niedrig sind. Das geht alles auf Kosten anderer Länder. Es ist seit Jahren die gleiche Strategie: die Löhne müssen niedrig gehalten werden, sonst sind wir nicht wettbewerbsfähig. Vor diesem Hintergrund brauchen wir in ganz Europa eine Novellierung der Löhne und Gehälter, mit dem klaren Grundsatz, dass sie nicht unterhalb der Existenzgrenze liegen dürfen. Ob die Gewerkschaften allein in der Lage sind, deutliche Lohnerhöhungen zu erkämpfen, ist zweifelhaft. Die Politik ist gefordert, aber auch die Gesellschaft muss sich mit dem Thema beschäftigen, damit es endlich wieder eine breite Mehrheit für existenzsichernde Löhne gibt.   


Thüringen gilt in Deutschland als typisches Beispiel für ein Billiglohnland. Wird es dadurch nicht extrem schwierig, überhaupt noch Fachkräfte in den Freistaat zu locken? 


Allein von 2005 bis 2009 wurden in Thüringen 7.900 Ingenieure ausgebildet. Da frage ich mich: wo sind die hin und wieso schreit die Wirtschaft nach Fachkräften? Viele junge Menschen würden sicher gerne in Thüringen bleiben. Ich erlebe aber im meiner Stadt Suhl ständig, dass junge Menschen sagen: Schulabschluss und dann nichts wie weg. Die niedrigen Löhne sind der entscheidende Grund dafür, dass so viele, gerade junge Menschen, gehen. Dieser Aderlass führt dazu, dass weniger Steuergelder eingenommen werden, was wiederum die Kommunen zu spüren kriegen. Die können jetzt schon nicht mehr den Schimmelbefall in einer Schule entfernen lassen.   


Die Kommunen versuchen, mit Projekten wie der Bürgerarbeit positiven Einfluss auf den Arbeitsmarkt zu nehmen. Warum ist die Bürgerarbeit trotzdem so umstritten?


Das Bundesprogramm Bürgerarbeit ist umstritten, aber meines Erachtens besser als die unsäglichen Ein-Euro-Jobs, denn Langzeitarbeitslose erhalten wieder eine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Problem ist aber, dass dieser Prozess viel zu lange dauert. Erst wenn es nicht gelingt, Langzeitarbeitslose in reguläre Beschäftigung zu vermitteln, können sie eine Stelle in einem sozialen Projekt bekommen. Für 30 Stunden die Woche erhalten sie dann 900 Euro im Monat, immerhin, aber auch nicht gerade das Nonplusultra. Mit gefällt auch nicht, dass das ganze auf Zwang und nicht auf Freiwilligkeit beruht. Aber die meisten Menschen wollen arbeiten und gerade im gemeinnützigen Bereich, in der kommunalen Daseinsvorsorge, ist genügend Arbeit da. 


Stichwort Gemeinwohl. Brauchen wir eine neue Definition des Arbeitsbegriffe, bzw. des Wertes von Arbeit, gerade im gemeinnützigen Bereich? 


Ja, Arbeit müsste neu definiert und rechtlich besser ausgestaltet werden. Leider gilt es immer noch als anrüchig, durch Beschäftigungsförderung Arbeit zu leisten. Aber auch das ist Arbeit. Dabei ist die Sozialbranche in Thüringen größer als die Automobilindustrie und durch den demographischen Wandel wird sie noch weiter wachsen. Ich möchte auch gerne die Debatte öffentlicher Dienst versus öffentliche Beschäftigung anstoßen wollen. Beides hat seine Berechtigung. Der öffentliche Dienst ist ein sehr festes System und wir können ihn bei schrumpfender Bevölkerung kaum aufstocken. Bei einem öffentlichen Beschäftigungssektor, wie ihn DIE LINKE schon lange fordert, ergeben sich neue Möglichkeiten im Nonprofit-Bereich zwischen Wirtschaft und Staat,  z. B. in der Zusammenarbeit mit freien Trägern. Ich unterstütze das voll und ganz, es muss aber wie jede Arbeit grundsätzlich existenzsichernd, versicherungspflichtig, freiwillig und weitestgehend unbefristet sein. 


Thomas Holzmann