Der NATO-Krieg in Afghanistan ist gescheitert

Zu diesem eindeutigen Schluss kommt der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Gregor Gysi. Die Gewalt habe durch Militärpräsenz sogar zu genommen und trotz 70.000 Todesopfern, die meisten von ihnen Frauen und Kinder, hat die NATO keines ihrer Kriegsziele erreicht. Statt dessen kooperiert die Bundeswehr mit Warloards und Drogenbaronen.

Von Dr. Gregor Gysi 

 

Letztmalig hat der Bundestag  über die Verlängerung des Einsatzes der knapp 3.200 Bundeswehrsoldatinnen und Bundes- wehrsoldaten in Afghanistan  entscheiden. Nach Abschluss des Jahres 2014 werden allerdings noch 600 bis 800 Soldatinnen und Soldaten vor Ort bleiben, um bei der Ausbildung zu helfen.

Warum kann die Ausbildung eigentlich nicht hier oder anderswo stattfinden? Warum müssen unsere Soldaten in Afghanistan bleiben? Selbst wenn sie dort bleiben, dann ist es kein Kampfeinsatz mehr. Müsste dann nicht die UN-Resolution dahin gehend geändert werden, dass nicht Kapitel VII der Charta als Grundlage herangezogen wird, sondern Kapitel VI? Dann dürften Soldaten wie im Inland nur noch in Notwehr schießen und in keinem anderen Fall; denn ein Kampfeinsatz wäre damit untersagt. 

 

70.000 Tote beweisen: es war die falsche Antwort auf den 11. September

 

Es wird jetzt viel über das Sicherheitsabkommen zwischen den USA und Afghanistan gesprochen. Aber was passiert, wenn der Vertrag nicht zustande kommt? Ich habe versucht, das herauszubekommen; aber das weiß keiner. Das scheint mir wenig systematisch, wenig koordiniert und wenig geplant zu sein. Weshalb gibt es überhaupt den Abzug der Soldaten, nicht nur der deutschen, sondern auch der anderer Nationen? Das hängt mit dem Scheitern des NATO-Krieges in Afghanistan zusammen. Es gibt keine andere logische Feststellung.

Der Einsatz war die falsche Antwort auf die Anschläge auf das World Trade Center am 11. September 2001 in den USA. Man hätte andere Wege gehen können. Die Bilanz nach 13 Jahren Krieg: über 70.000 Tote, unter den Toten Tausende Zivilistinnen und Zivilisten, auch Kinder und  Frauen. Allein in Kunduz, wurden auch von unseren Soldaten  bis zu 142 tote Zivilistinnen und Zivilisten verursacht, insgesamt sind es bis heute Hunderttausende Verwundete. Nicht zu vergessen, dass auch 54 Bundeswehrsoldaten ihr Leben gelassen haben. Bisher waren mehr als 100.000 deutsche Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan. Ein Drittel von ihnen leidet unter posttraumatischen Belastungsstörungen. Das sind über 30.000 Menschen. Wir werden sie noch jahrelang betreuen und behandeln müssen. Auch das ist ein Ergebnis dieses Krieges.

Der ganze Krieg kostet uns nach Einschätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung bis Ende 2014 etwa 23 Milliarden Euro. Aber was waren die Ziele und was ist davon erreicht worden? Das erste Ziel lautete: Al-Qaida muss vernichtet und die Ausbildung von Terroristinnen und Terroristen durch Al-Qaida verhindert werden. Das ist aber nicht verhindert worden. Al-Qaida bildet weiter Terroristinnen und Terroristen aus. Sie sagen, es ist ein großer Erfolg, dass das nicht mehr in Afghanistan stattfindet? Jetzt findet das in Pakistan, im Jemen und in anderen Ländern statt. Das ist doch kein Erfolg, ganz im Gegenteil.

 

Gewalt hat weiter zugenommen

 

Ursprünglich sollte ein Regimewechsel erreicht und die Taliban endgültig entmachtet werden. Nun sprechen selbst die USA mit den Taliban darüber, ob sie bereit sind, in die Regierung zurückzukehren. Auch dieses Ziel ist also völlig verfehlt worden. Es wurde gesagt, dass die inneren Kämpfe beendet werden müssen. Ist das wirklich gelungen? Seit 2013 nehmen die Kämpfe wieder deutlich zu. Jetzt sind in Afghanistan 65 ehemalige Kämpfer aus den Gefängnissen entlassen worden – gegen den Willen der USA. Nicht einmal darauf achtet die afghanische Regierung jetzt noch. Es gibt einen gewaltigen Anstieg der Zahl der Opfer, gerade im Jahr 2013. Die UN-Organisation UNAMA stellt fest, dass das Jahr 2013 das gewaltreichste Jahr in Afghanistan seit 2001 war. Wenn man diesen Hintergrund betrachtet, beweist dies das Scheitern des Krieges. Die Gewalt hat nicht abgenommen, sondern zugenommen.

Allein im Jahr 2013 haben wir im Vergleich zum Vorjahr eine Verdoppelung der Verluste bei den afghanischen Streitkräften und bei der afghanischen Polizei zu verzeichnen: 4.600 Tote. Die Zahl der zivilen Opfer hat sich im Vergleich zum Vorjahr um 700 erhöht. Das heißt, im Jahr 2013 gab es 8.615 zivile Tote in Afghanistan. Im Verantwortungsbereich der Bundeswehr, also in den nordafghanischen Provinzen, gibt es eine dramatische Zunahme der Angriffe und Kämpfe. Die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle ist im Jahr 2013 im Vergleich zum Jahr 2012 um 35 Prozent gestiegen. Im Übrigen ist es wirklich nicht hinnehmbar , dass die Zahlen, die Außenminister Steinmeier  der Bevölkerung zur Verfügung stellt, immer knapper werden. Wir brauchen hier viel mehr Transparenz. Wir müssen wissen, was  passiert.

Ein weiteres großes Ziel war in Afghanistan in kultureller, humaner, demokratischer und rechtsstaatlicher Hinsicht einen Fortschritt zu erzielen. Schauen wir uns die Realitäten an: 2,7 Millionen Afghaninnen und Afghanen haben Afghanistan verlassen, sind geflüchtet. Die Zahl der Binnenflüchtlinge hat mit 590.000 ihren Höchststand erreicht. Hinsichtlich der Lebenserwartung, des Lebensstandards und der Bildung hat sich Afghanistan deutlich verschlechtert. Es nimmt jetzt Platz 175 von 187 Ländern ein. Von Fortschritt kann da gar keine Rede sein. Die Müttersterblichkeit liegt bei 500 pro 100.000 Geburten. Das ist im internationalen Vergleich eine sehr hohe Zahl. Zehn Prozent der Kinder sterben vor Erreichen des fünften Lebensjahres. Nur 39 Prozent der Afghaninnen und Afghanen haben Zugang zu Trinkwasser. Nur 7,5 Prozent der Afghaninnen und Afghanen haben Zugang zur Abwasserentsorgung. Die Gewalt gegen Frauen hat dramatisch zugenommen: Im ersten Halbjahr 2013 gab es über 4.100 Fälle. Das ist die letzte Zahl, die wir bekommen haben. Die Anbaufläche für Opium wurde während des Krieges versechsundzwanzigfacht.  Afghanistan ist heute Weltmeister im Opiumexport. 

Auch die Bundeswehr arbeitet inzwischen mit den Drogenbaronen zusammen. Die Menschenrechtsverletzungen nehmen zu. Die UN-Organisation UNAMA bestätigt, dass es systematische Folterungen und Misshandlungen in den Gefängnissen, Plünderungen und Morde auch von Polizei und Milizen der Warlords auch im deutschen Zuständigkeitsbereich, speziell in den Provinzen Kunduz und Baghlan, gibt.

 

Bundeswehrpräsenz hat nichts an der Machtverteilung geändert

 

Ein Bericht des Afghanistan Analysts Network vom November 2013 kommt zu dem Schluss, dass die Präsenz der Bundeswehr im Norden zwölf Jahre lang nichts an der wirklichen Machtverteilung änderte und die Bundeswehrverantwortlichen am Schluss mit den stärksten Machthabern, das heißt mit den Warlords und ihren Banden, kooperierten. Das sagt diese Organisation, nicht DIE LINKE. Jede Vorstellung, dass die Bundeswehr Entwicklung vorantreiben kann, ist auch vom früheren Verteidigungsminister de Maizière in unserer Fraktion zu Recht zurückgewiesen worden. Er hat gesagt: Die Bundeswehr ist kein Entwicklungshelfer, sondern eine Armee, mit anderen Aufgaben und einem gänzlich anderen Selbstverständnis.

Keines der Ziele wurde erreicht. Den Afghaninnen und Afghanen geht es nicht besser, sondern schlechter. Wir haben Tote verursacht und eigene Tote zu beklagen.

Dieser Krieg wurde hinsichtlich der Bundeswehr durch SPD und Grüne, durch Kanzler Schröder, Kanzleramtschef Steinmeier, Verteidigungsminister Scharping und Außenminister Fischer mit Zustimmung von Union und FDP eingeleitet. Wir, die LINKEN, haben nicht nur dagegen gestimmt, sondern immer wieder erklärt, dass man die Probleme der Menschheit mit Kriegen nicht lösen kann. Im Gegenteil!

Dass es ein völliges Desaster ist, räumen sie schon deshalb ein, weil Sie die afghanischen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Bundeswehr nach Deutschland einreisen lassen; denn andernfalls befinden sie sich in Lebensgefahr. Das beweist, dass sie als Kollaborateure einer Besatzungsmacht betrachtet und verfolgt werden.

Natürlich müssen wir sie jetzt in unser Land lassen – darüber streiten wir nicht – aber die Gründe dafür, dass sie einer solchen Lebensgefahr ausgesetzt sind, sind interessant.

Die Schlussfolgerung ist, dass die Bundeswehr jetzt auch noch verstärkt nach Afrika gehen soll. Dieser Wahnsinn muss endlich aufhören. Kommen Sie doch endlich zur Besinnung! Deutschland kann ein wichtiges Land auf der Erde sein, wenn wir uns weltweit für Frieden, für Konfliktvorbeugung, gegen Hunger, Elend und Not, für soziale Gerechtigkeit, für ökologische Nachhaltigkeit, aber eben nicht für Kriege einsetzen und uns schon gar nicht an ihnen beteiligen.

 

Bei diesem Text handelt es sich Exzerpt der Rede von Gregor Gysi am 13. Februar zur Verlängerung des Afghanistanmandates im Bundestag. Die vollständige Rede finden sie unter: www.gregorgysi.de/nc/reden