Der Grundgedanke des Mitnehmens

Vaiko Weyh tritt am 6. Januar in der Einheitsgemeinde Bad Liebenstein als Bürgermeisterkandidat an. Von Anja Müller und der LINKEN hat er gelernt, wie komplex Kommunalpolitik ist und dass ein Bürgermeister nicht alles im Hinterzimmer entscheiden sollte. Ihm geht es nicht ums Parteibuch, sondern um die Sache.

Am 6. Januar 2019 soll in Bad Liebenstein der Bürgermeister neu gewählt werden. Wie kam es zu der kurzfristigen Ansetzung?

 

Bei der letzten Stadtratssitzung wurde gesagt, es müsse ein Wahlleiter bestimmt werden. Das war es aber auch. Am 8. November 2018 stand dann doch etwas überraschend in der Zeitung: Bad Liebensteins Stadtchef wird schon Anfang Januar gewählt. Die Stadträte waren entsprechend enttäuscht, dass man ihnen davon nichts gesagt hat. Wir hätten es lieber gehabt, wenn die Bürgermeisterwahl zusammen mit der Kommunal- und Europawahl am 26. Mai 2019 stattfinden würde. Laut Kommunalaufsicht muss aber drei Monate vor Ende der Legislaturperiode, das wäre am 10. März 2019, ein Wahltermin feststehen.

 

Um welche Themen wird es in dem kurzen Wahlkampf gehen?

 

Der momentane Amtsinhaber, Dr. Michael Brodführer, verspricht seit drei Jahren, das Naturbad Schweina wieder zu eröffnen, das wegen Sicherheitsmängeln Ende 2015 geschlossen wurde. Aber bisher ist nichts passiert. Es gibt auch noch brisantere Themen, die auch für Unmut sorgen. Weder die Stadträte noch die Bürger werden wirklich informiert über das, was in der Stadt wirklich passiert. Das möchte ich gern ändern.

 

Klingt, als gäbe es bereits eine Wechselstimmung?

 

Bad Liebenstein besteht aus fünf Ortsteilen, von denen jeder seine Eigenart hat. Der Bürgermeister ignoriert völlig die Arbeit des Ortsteilrates Schweina. Eine vernünftige Zusammenarbeit mit der Opposition im Stadtrat Fehlanzeige. Stattdessen entscheidet er von oben herab. Wir sind dann entsprechend entsetzt, wenn schnell eine Straße gebaut wird, die im Prinzip nicht wirklich befahren wird. Statt die tatsächlichen Probleme anzugehen, werden zum Teil zweifelhafte Projekte forciert. Seitdem meine Kandidatur bekannt ist, gibt es schon eine gewisse Aufbruchstimmung. Bei Facebook gibt es eine sehr positive Resonanz und wenn ich durch die Straßen gehe, zeigen mir viele Leute, dass sie hoffen, wir würden jetzt endlich eine Einheit werden. Zurzeit sind wir total gespalten, inFreunde und Gegner der CDU-Fraktion. Ich weiß, dass es schwer wird, gegen den Amtsinhaber erfolgreich zu sein, zumal die hiesige Lokalpresse in den vergangenen Jahren alles getan hat, um dem Bürgermeister ein Podium zu bieten. Doch es gilt auch hier das Motto: Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren!

 

Mit knapp 8.000 Einwohnern ist Bad Liebenstein mit seinen Ortsteilen zwar relativ klein, bekommt aber von der rot-rot-grünen Landesregierung seit 2016 Kurlastenausgleich von ca. 1,4 Millionen Euro jährlich. Damit müsste sich doch in der Kommunalpolitik gut arbeiten lassen?

 

Bad Liebenstein ist gerade durch den Kurlastenausgleich und höhere Steuereinnahmen in den vergangenen Jahren wieder handlungs- und gestaltungsfähiger geworden. Doch so erfreulich das ist: Das Zustandekommen von Entscheidungen warf bisher viele Fragen auf. Vor allem bei der Sanierung des Naturbades und der Vorplanung zur Sanierung der Altensteiner Höhle konnte man den Eindruck gewinnen, dass ein Einbinden des Stadtrats bzw. des Ortsteilrates nicht erwünscht ist.

Ein weiteres Beispiel: Der Kämmerin wurde seitens des Bürgermeisters quasi untersagt, mit der Fraktion der LINKEN Fragen zum Haushaltsplan zu besprechen. Dies alles hat mit der vielgepriesenen Transparenz meines Erachtens nichts zu tun.

 

Bei solchen Begebenheiten fragen sich die Bürger – auch andernorts – oft, wozu sie überhaupt Stadträte wählen. Das sorgt zu Recht für Verdrossenheit. Was könnten Sie als Bürgermeister gegen diesen  Trend  unternehmen?

 

Schon seit Monaten setzte ich mich dafür ein, dass jeder Ortsteil einen Ortsteilrat und einen Ortsteilbürgermeister bekommt. Der Bürgermeister der Einheitsgemeinde ist allein nicht in der Lage zu entscheiden, welche die Themen sind, die die Leute emotional bewegen. Ich stelle es mir so vor, dass die Ortsteilräte gemeinsam mit dem Ortsteilbürgermeister Prioritätenlisten entwickeln. Dann können wir gemeinsam abstimmen, welche Punkte für die Stadt insgesamt am Wichtigsten sind. Mehr Basisdemokratie und die Leute wirklich an der Entwicklung teilnehmen lassen. Das ist mein großes Ziel.

 

Wird es dazu einen Bürgerhaushalt geben, bei dem die Menschen mitbestimmen können?

 

Darüber habe ich mir schon einige Gedanken gemacht. Ich war als Betriebsleiter und Geschäftsführer tätig. Mit der Kommunalpolitik, mit der ich mich schon seit Jahren intensiv befasse, hängt doch untrennbar der Grundgedanke des „Mitnehmens“ der Basis zusammen. Was also nichts anderes heißt, als dass beispielsweise die Ortsteile und die Ortsteilbürgermeister stärker eingebunden werden sowie einen kleinen Etat zur freien Verfügung erhalten sollten. In unserer Kreisstadt Bad Salzungen klappt dies bereits hervorragend. Hier, in Bad Liebenstein, ist solch ein Vorgehen unter den jetzigen Gegebenheiten unvorstellbar.

 

Daran merkt man, dass Sie kein Berufspolitiker sind.  Was ist Ihre Motivation, sich mit der LINKEN in den politischen Kampf zu stürzen?

 

Vor einigen Jahren hatte meine Frau einen Schlaganfall. Damals lebte und arbeitete sie noch in Berlin. Von einem Tag auf den anderen war es damit vorbei. Ihr Körper ist halbseitig gelähmt, mit der Sprache hat es fünf Jahre gedauert, bis sie wieder normal sprechen konnte. Sie sagt immer: „Alles wird gut“. Und ich habe mich damals entschieden, sie nach Bad Liebenstein zu holen, weil es hier die besten Voraussetzungen gibt, dass sie schnell wieder auf die Beine kommt. Aber ich wollte  keinesfalls nur dem Arbeitsamt auf der Tasche liegen, deshalb habe ich eine kleine Firma für Rennsteigschmuck gegründet. Bis die Firma richtig läuft, haben wir beide relativ Zeit, um uns intensiv mit der Kommunalpolitik ausein-anderzusetzen. Ich gehe zu jeder Stadtratssitzung, stelle viele Fragen. Die Bevölkerung dankt es mir. Wenn etwas im Argen lag, haben viele Leute bei mir angerufen und darum gebeten, mich zu kümmern. Schnell habe ich aber gemerkt, dass ich als einfacher Bürger nicht besonders viel ausrichten kann. Die Nähe zur LINKEN hatte ich dabei immer, weil ich mich für Soziales und für Gerechtigkeit eingesetzt habe. Schon früher habe ich mich an Falk Hausdörfer, der als LINKER hier besonders aktiv ist, angelehnt. Später habe ich Anja Müller kennengelernt. Sie hat mich immer unterstützt, z.B. auch beim Mischmaschinenrennen, bei dem ich Organisator bin, und jedes Mal 3.000 Leute kamen. Seit zwei Jahren nehme ich regelmäßig an der Arbeitsgruppe Demokratie im Thüringer Landtag teil. Da habe ich langsam das Gefühl bekommen, wie komplex und kompliziert Kommunalpolitik ist. Auch Frank Kuschel habe ich dadurch kennengelernt. Dieses „über den Tellerrand schauen“ hat mir auf jeden Fall sehr gut getan. Eigentlich wollte ich immer parteilos bleiben, auch weil viele Leute zu mir gesagt haben: Gehe bloß nicht in eine Partei. Allerdings weiß jeder, der mich kennt, dass ich durch und durch links bin. Deswegen habe ich mir gesagt: Jetzt steigst du voll ein. Ich fühle mich aufgehoben und habe ein gutes Gefühl.

 

Bei einem guten Bürgermeister sollte es ohnehin erst um die Sache und nicht ums Parteibuch gehen.

 

Absolut! Ich möchte Politik zusammen mit der Bevölkerung machen. Ich werde in den nächsten Tagen versuchen, in allen Ortsteilen Bürgerversammlungen durchzuführen. Gemeinsam will ich, dass wir aus unserer Stadt und den einzelnen Ortsteilen eine lebens- und liebenswerte Kommune  entwickeln, in der sich alle mitgenommen fühlen. Nach dem industriellen Zusammenbruch von 1990 und der Vereinigung der Gemeinden Bad Liebenstein mit den Ortsteilen Meimers und Bairoda, Schweina und Steinbach im Jahr 2013 gibt es vor allem in den Bereichen Altlasten, Tourismus, Kultur und Entwicklung der Infrastruktur noch riesige Aufgaben zu lösen.                            

Thomas Holzmann