Bahninfrastruktur ausbauen, damit die Straßen entlastet werden können

Mit der Fokussierung auf teure Prestigeprojekte wie Stuttgart 21 besteht die Gefahr, dass ganze Regionen abgehängt werden. In Thüringen ist besonders der Osten im Raum Jena-Saalfeld-Gera betroffen.

Sie sind seit Ende 2009 verkehrspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag. Welche Expertise haben Sie bisher in diesem Politikfeld?

In der Kommunalpolitik habe ich im Ausschuss für Soziales und Gleichstellung mitgearbeitet. Mobilität gehört für mich auch zur Daseinsvorsorge, z. B. preiswerter ÖPNV oder barrierefreie Bahnhöfe. Interessiert hat mich das Thema Verkehrspolitik auch deshalb, weil wir in meiner Heimat Jena eine ganze Reihe von verkehrspolitischen Problemen haben, wie die völlig überlastete Anbindung nach Erfurt und die Aussicht, vom Fernverkehr ab 2017 abgehängt zu werden. Das hat dann dazu geführt, dass ich in der Fraktion dieses Politikfeld bearbeite.


Wenn man heute über Verkehrspolitik redet, kommt man an Stuttgart 21 nicht vorbei. Ist Deutschland wirklich so fortschrittsfeindlich, wie es konservative und neoliberale Politiker gerne behaupten?

Fortschritt lässt sich nicht an Prestigeprojekten festmachen. Großprojekte wie Stuttgart 21 müssen immer wieder auf ihre Realisierbarkeit und Tauglichkeit für Gegenwart und Zukunft überprüft werden. Das gleiche lässt sich auch über die ICE-Strecke Erfurt-Nürnberg durch den Thüringer Wald sagen. Politisch ist das so gewollt, als Verbindung zwischen den früheren Teilen Deutschlands. In Thüringen führt diese Strecke aber durch das am dünnsten besiedelte Gebiet und hängt den bevölkerungsreichen Osten, besonders auf der Strecke Weimar-Jena-Gera, ab. Bei Experten gibt es schon länger Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Schnellstrecke nach Nürnberg, vor allem in Bezug auf ihren Nutzen für den Güterverkehr. Hier ist auch die Parallele zu Stuttgart 21. Es wird in ein Prestigeprojekt investiert, gleichzeitig werden Nebenstrecken ausgedünnt, viele Nebengleise abgebaut, wodurch auch die Möglichkeiten für den Güterverkehr auf der Schiene verschlechtert werden.


Beim Neubau der ICE-Strecke Erfurt-Nürnberg würde sich die Fahrtzeit aber deutlich verringern. Ist das nicht ein starkes Argument für den Bau?

Der Neubau von Strecken ist ja nicht grundsätzlich abwegig. Natürlich würde es auch Verbesserungen geben, z. B. für die Erfurter. Das Problem ist aber, dass im Ergebnis der Fernverkehr auf dem bisherigen Netz sehr stark reduziert oder sogar eingestellt wird. Das würde vor allem Jena und Saalfeld hart treffen, auch die Verbindungen nach Leipzig. Hätte man die Strecke Weimar-Gera-Jena als Mitte-Deutschland-Verbindung weiter zweigleisig ausgebaut, vielleicht sogar elektrifiziert, würden wir mehr Effekte erreichen. Die 50 Millionen Euro, die für die Fortsetzung des zweigleisigen  Ausbaus vom Bund in Aussicht gestellt wurden, sind aber nicht in Sicht. Auf der neuen ICE-Stecke droht Thüringen zum Transitland zu werden, das höchstens noch einen ICE-Halt in Erfurt besitzt. In Tagesrandlagen fährt der Zug dann sogar ohne Stopp durch den Freistaat.


Wenn es darum geht, mehr Güterverkehr auf die Schiene zu bringen, sind eigentlich alle Parteien dafür. Warum passiert trotzdem so wenig?

Der Entwicklung der Bahninfrastruktur wird in der Bundespolitik kein Vorrang eingeräumt und statt dessen immer mehr Verkehr auf die Straße gelegt. Selbst die Maut-Gebühren sollen jetzt nur im Straßenbau eingesetzt werden. Der Güterbahnverkehr sollte aber europaweit bei der Verkehrsplanung absoluten Vorrang haben und ausgehend davon der LKW-Verkehr koordiniert werden – das so genannte mobile split. Dazu muss überall in Europa die Bahninfrastruktur ausgebaut werden, damit die Straßenwege weiter entlastet werden können.


Auf Nebenstrecken sieht man auch in Thüringen kleine Privatbahnen wie die STB. Wie steht DIE LINKE dazu?

Wir sind der Meinung, dass Privatbahnen vor allem dann Sinn machen, wenn sie auf Strecken fahren, welche die Deutsche Bahn aufgegeben hat. Wenn sie kundenfreundlich sind, gleiche Tarife für ihre Beschäftigten wie die Bahn zahlen und mit der ÖPNV-Struktur harmonieren, übernehmen sie die gleiche Aufgabe, eine gute Alternative zum Individualverkehr auf der Straße anzubieten. Allerdings müssten Anforderungen, wie Zugbegleitung, Fahrradmitnahme sowie Anerkennung von Bahncard und Studententicket schon in den Ausschreibungen für die Bahnstrecken klar definiert sein. Ein Problem ist allerdings, dass sich private Anbieter in der Regel auf gewinnbringenden Strecken im Fernverkehr konzentrieren und den Wettbewerb oft über Lohneinbußen für Beschäftigte austragen.


Beim öffentlichen Personennahverkehr hat man in Jena richtig viel Geld in die Hand genommen und eine neue Straßenbahnstrecke nach Göschwitz gebaut. Hat sich diese Investition gelohnt?

Jena galt nach 1990 als Ballungsgebiet und wurde von Bund und Land großzügig gefördert. Dadurch konnte das Straßenbahnnetz sukzessive ausgebaut werden. Der Bahnhof in Göschwitz ist jetzt vor allem von Lobeda viel besser zu erreichen, das kommt besonders den Studierenden zu Gute. Aber auch das Gewerbegebiet Göschwitz, mit zahlreichen Unternehmen, ist nun bequem mit der Straßenbahn erreichbar, das entlastet natürlich die Straße und die Umwelt.


Bei der Straßeninfrastruktur ist der Ausbau der A 4, u. a. um die Hörselberge herum, eines der größten Projekte. Wie bewerten sie den Nutzen?

Ich beurteile solche Projekte immer aus der Sicht der Schiene und würde mir die Investitionen lieber dort wünschen. Beim Autobahnbau gibt es immer Probleme. Die Stadt Eisenach wird zwar deutlich vom Verkehr entlastet, die Gemeinden entlang der Neubaustrecke stellen jetzt aber fest, dass ihnen ein riesiges Lärmproblem bevorsteht. Das wird uns auch beim Ausbau des Hermsdorfer Kreuzes wieder begegnen. Sicher erhöht die immer häufigere Trennung des Arbeitsortes vom Wohnort die Anforderungen an die Mobilität des Einzelnen, gerade für Pendler ist es wichtig, schnell und sicher zu ihren Arbeitsplätzen in Hessen, Sachsen oder am anderen Ende von Thüringen zu gelangen. Das erhöht den Druck auf den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs,  um besser vernetzte und preiswertere Angebote machen zu können. Nicht der von Einzelpersonen genutzte, immer teurer werdende PKW-Verkehr ist die Zukunft. Wenn wir darüber hinaus nicht mehr Güter auf die Schienen verlagern, werden wir gar nicht genügend Straßenkapazität haben, um dem zukünftigen Verkehrsaufkommen Herr zu werden. Auch das Projekt mit den Longlinern ist keine Lösung, weil nur innerhalb des Systems LKW gedacht wird. Warum nicht einmal in Anbindung an Schienenstränge? Für uns als LINKE ist und bleibt aber die Schiene das entscheidende Mittel, um die Straße so weit wie möglich vom Güterverkehr zu befreien.


Ein heiß diskutiertes Thema in Thüringen ist der Neubau der B 62 durch das Naturschutzgebiet in der Röhn, bei dem es vor Ort massiven Widerstand gibt. Wie stehen Sie dazu?

Wichtig ist, dass die Diskussionen über das Für und Wider vor Ort stattfinden. Die Kommunen und die überregionalen Verkehrsverbünde müssen sich da deutlicher positionieren, dort müssen wir uns einmischen. Die Argumente des BUND kann ich teilen. Da die Trasse durch ein Naturschutzgebiet verläuft, bin ich geneigt, den Neubau abzulehnen. Man muss sich aber die Verkehrsverhältnisse vor Ort anschauen, mit den Betroffen reden und Alternativen prüfen, bevor ich hier ein endgültiges Urteil fällen kann. Die Sachlage im Fall B 62 ist zu komplex, um einfach nur Nein zu sagen.


Wenn es um Zukunftsfähigkeit geht, pochen viele auf den Erhalt des Flughafens Altenburg, zusätzlich zu dem in Erfurt. Ist es wirklich sinnvoll, in einem kleinen Land wie Thüringen zwei Flughäfen zu haben?

Verkehrspolitisch gesehen reicht für die Region Mitteldeutschland ein Großflughafen, z. B. der  in Leipzig. Die Landesregierung in Thüringen hat sich aber für den Ausbau des Flughafens Erfurt entschieden und zahlt jetzt Millionen für die Verluste. Deshalb hat selbst der Landesrechnungshof ein überarbeitetes Betriebskonzept gefordert. Es entsteht der Eindruck, dass Erfurt eine besondere Förderung genießt, während Altenburg abgehängt wird. Zumal auch die Landesregierung die Überarbeitung des Betriebskonzeptes für den Erfurter Flughafen verzögert.  Die Diskussion wird aber sehr widersprüchlich geführt. Wirtschaftlich rentabel werden beide nicht arbeiten können. In Deutschland gibt es höchstens fünf Flughäfen, die sich wirklich rechnen. Am Fluglandeplatz in Leipzig-Altenburg ist die Landesregierung nicht beteiligt, investierte aber in der Vergangenheit in die Infrastruktur. Dabei hätte man von Landesseite aus gerade dort wesentlich mehr an einem schlüssigen Wirtschaftskonzept für die Gesamtregion arbeiten müssen, denn dieser Kreis liegt zentral in der Region Mitteldeutschland und benötigt dringend eine bessere Verkehrsanbindung und Infrastrukturentwicklung. In Altenburg gilt das gleiche, wie in ganz Thüringen: eine Fokussierung auf nur ein Verkehrsmittel ist der falsche Weg. Will man den Flughafen in Altenburg besser einbinden und fördern, müssen wir endlich ein Verkehrskonzept für Mitteldeutschland als Ganzes entwickeln.


Thomas Holzmann