Auf blühende Landschaften warten wir vergeblich

Thomas Holzmann im Gespräch mit den Zeitzeugen des Arbeitkampfes von Bischofferode: Gerhard Jüttemann, damals Betriebsrat sowie später PDS-Bundestagsabgeordneter und Willibald Nebel.

Kann man das Ende von Bischofferode als Enteignung bezeichnen?



Eine Art Enteignung war das sicher. Nicht nur hier in Bischofferode. Auch viele andere Betriebe wurden willkürlich zu gemacht, zu Gunsten von Firmen aus den alten Bundesländern. Hinter Kali- und Salz, oder K+S, stand BASF. Bei BASF hat früher Helmut Kohl gearbeitet. Da weiß man doch gleich, wohin der Hase läuft. Aber jedes mal, wenn ich früher öffentlich die Rolle von BASF angeprangert habe, hat man sich das vehement verboten. Dabei hatte BASF bis Ende 1993 78 Prozent der Aktienanteile von K+S. Mit erpresserischen Methoden hat BASF damals der Bundesregierung angedroht: Wenn ihr der Fusion nicht ohne Änderungen zustimmt, verkaufen wir alle unsere Anteile. Das heißt: Die Bundesregierung hätte K+S mit tief roten Zahlen am Hals gehabt. Damals hat man versucht, uns diese Verluste im Westen zu verschweigen und unsere Unternehmen als marode hingestellt. Klar hatten wir rote Zahlen, aber nicht 20 Millionen, wie Birgit Breuel behauptete. Mit gezielten Investitionen hätten wir das Unternehmen in zwei, drei Jahren in die Gewinnzonen führen können. Ein international marktfähiges Produkt hatten wir. Doch dann kam die Info, dass im Zuge der mitteldeutschen Kali-Fusion Merkers und Bischofferode dicht gemacht werden sollen. 



Damit begann der Arbeitskampf?


Natürlich war der Aufschrei groß. Unsere Gewerkschaft, die IG BE und ihr Vorsitzender Hans Berger, haben uns im Januar 1993 erklärt, dass alle unsere Argumente für den Erhalt nicht wahr wären. Dass wir ein marktfähiges Produkt, gut ausgebildete Leute und moderne Maschinen besaßen, hat ihn nicht interessiert.  Meine Forderung war: Lasst die Unternehmen in Ost und West von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer untersuchen! Experten wie Prof. Hickel von der Uni Bremen hatten sich angeboten. Aber regelrecht mit Schaum vor dem Mund wurde alles sofort abgeblockt. Das war symptomatisch für das Spielen mit verdeckten Karten. Eine gerechte Fusion zweier deutscher Unternehmen, wie es uns immer versprochen wurde, war zu keiner Zeit geplant. Am Ende haben wir uns von unserer eigenen Gewerkschaft getrennt.



Wie waren die Reaktionen?



Wir haben immer gesagt, unser Protest muss immer so organisiert sein, dass er nicht kriminalisiert werden kann: keine Personenschäden, keine Sachschäden, kein Produktionsausfall. Die Polizei und die Politik hat auf so etwas ja nur gewartet. Es gab gezielte Provokationen. Es kamen Polizisten in zivil und versuchten, uns aufzuwiegeln. Aber so dumm waren wir nicht. Unter dem karierten Hemd hatten sie noch  Waffe und Handschellen. Es gibt Fotos, die das belegen. Aber von uns wurde keiner kriminell. Sitzblockaden vor der Treuhand oder das Werfen von Eiern an deren Fassade waren keine Straftaten. Trotzdem wurden willkürlich einige unsere Leute verhaftet. Die Anzeige lautet – kein Witz – versuchter Totschlag an Breuel! Bei der Gerichtsverhandlung erstritten wir uns sogar einen größeren Saal, damit alle Zuschauer  Platz bekamen. Wir haben viel gelernt, was man mit zivilen Ungehorsam erreichen kann. 



Welche realistische Perspektive hätte es jenseits von der Fusion gegeben?



Um die zu verstehen, muss man wissen, dass unser Kalisalz überwiegend als Grundstoff für die Chemieindustrie genutzt wurde. Leider haben wir die „falschen“ Kunden, nord- und westeuropäische Chemiekonzerne, beliefert. Das waren die größten Konkurrenten von BASF! Schneidet man Bischofferode ab, bleibt diesen Firmen kaum etwas anderes übrig, als bei den Westfirmen, wie K+S, zu kaufen. Im Frühjahr 1993 tauchte hier Johannes Peine, der oft als kleiner Fuhrunternehmer diffamiert wurde, auf und legte ein Konzept vor, das den Erhalt von bis zu 500 Arbeitsplätzen vorsah. Natürlich keimte bei uns sofort große Hoffnung auf.  Dank dieses Konzeptes und der großen Solidarität, die uns in ganz Deutschland entgegen gebracht wurde, waren immer mehr Leute bereit zu kämpfen und weiter zu machen. Doch die Treuhand hat Peine als Scharlatan ausgerufen und jeden Vorschlag abgeblockt.  



Welche Rolle spielte die Thüringer Landesregierung? 



Peine hatte damals großes Verständnis für die Skepsis, zumal es ja viele Fälle gab, in denen Investoren auftauchten, Subvention abgriffen und dann schnell mit dem Geld wieder verschwanden. Deswegen hat er dem damaligen Ministerpräsidenten Vogel vorgeschlagen, das Land solle 51 Prozent halten und Peine 49 Prozent. Damit hätte der Ministerpräsident die Entscheidungsbefugnis im Unternehmen gehabt. Ohne die Fusion zu verhindern, hätte man Bischofferode als Einzelunternehmen behandeln können. Wäre es schief gegangen, hätte man uns später immer noch verkaufen können. Vogel hat aber nur rumgeeiert und wusste offenbar nicht, wie er reagieren sollte, weil auch einige CDU-Leute tuschelten: Das könnte funktionieren. Spätestens da war klar, hier läuft etwas völlig daneben und wir begannen damit, uns an die Entscheidung von Brüssel zu klammern.



Weil die aus wettbewerbsrechtlichen Gründen die Fusion hätte verbieten müssen? 



Zunächst hatte der Bundestag für die Fusion gestimmt. Wirksam konnte es aber erst mit Zustimmung des EU-Wettbewerbskommissars Karel van Miert werden.  Er sagte mir, es sei ihm sehr schwer gefallen. Er wollte vor allem nicht der Konkurrenzausschlussklausel zustimmen. Aber weil er aus Deutschland massiv unter Druck gesetzt wurde, entschied die Kommission, nach zunächst ablehnender Haltung, die Fusion zu genehmigen. Die sah vor, dass zehn Jahre lang kein stillgelegtes Unternehmen einzeln privatisiert werden durfte. In Sondershausen durfte nicht mal Streusalz produziert werden, das musste Thüringen extra importieren. BASF wollte ein Monopol und möglichst keinen Wettbewerb. Dann kam auch noch raus, dass K+S im Westen noch viel tiefer verschuldet war, als die 20 Millionen, die man uns in Bischofferode zu Unrecht vorrechnete.  



Wie heute bei der Bankenrettung hat dann der Steuerzahler geblecht?  



Mir wurde ein geheimes Treuhandpapier zugespielt. Als ich das zur Sprache brachte, hat man mir mit einer Anzeige gedroht. In dem Papier stand, dass die Treuhand im ersten Jahr die Gesamtverluste  zu 90 Prozent trägt, im zweiten Jahr etwas weniger usw. Entscheidend ist, dass dies unabhängig von der Ursache galt. Wie kann das in einem Rechtsstaat sein? Dazu ist eine weitere Milliarde Steuergelder in die Fusion geflossen und 800 Millionen für die Altlastensanierung.  Dass die Verluste auf Kosten der Steuerzahler bewusst gemacht wurden, um sich als Konzern gesund zu stoßen, hat kaum einen interessiert. Genau sowenig, dass BASF seine letzten K+S-Anteile im  Jahr 2011 für eine Milliarde Euro verkauft hat. Eine Klausel zur Rückzahlung von Steuergeldern gab es nicht.  



Als alles schon vorbei schien, kam es zum letzten Mittel, dem Hungerstreik?



 Wir haben demonstriert, sind sogar zum Papst gefahren und bei Aktionstagen hier vor Ort waren mehr als 15.000 Menschen auf der Straße. Den Hungerstreik hatten wir nicht geplant, aber nachdem der Bundestag für die Fusion stimmte, haben wir uns für dieses Mittel entschieden. Zum Glück haben uns die Gewerkschaften, außer unserer IG BE, unterstützt. Ich dachte immer, die Politiker können es sich doch gar nicht erlauben, das bis zur Bundestagswahl 1994 so  laufen zu lassen, wir müssen nur durchhalten. Doch trotz aller Unterstützung, teilweise sind sogar die Frauen der Männer, die für einen Hungerstreik zu krank waren, eingesprungen, wurde im Herbst 1993 deutlich, dass die Leute keine Kraft mehr haben. 



Welches Fazit muss man ziehen: Scheitern oder doch die Erkenntnis, dass es sich zu kämpfen lohnt?



In Gesprächen mit Bodo Ramelow, der uns als Gewerkschafter immer unterstützt hat, kam heraus, dass wir nach 1993 kaum noch Chancen haben würden. Nicht nur wegen unserer Erschöpfung, sondern wegen dem Ablaufen von Genehmigungen. Ab 1994 hätten wir nicht mehr sprengen dürfen, ergo  nicht mehr produzieren können. Wären wir am Ende ohne jeden Erfolg raus gegangen, dann hätte in Deutschland wohl heute kaum noch jemand den Mut, einen Arbeitskampf überhaupt zu beginnen. Unser Ziel, den Betrieb in Bischofferode zu erhalten, haben wir nicht erreicht. Die Belegschaft, die so lange gekämpft hat, stand am Ende aber auch nicht völlig mit leeren Händen da. Bodo Ramelow hatte vorgeschlagen, einen Sozialplan auszuhandeln. Damit war klar, der Arbeitskampf ist zu Ende. Viele dachten, wir verkaufen uns damit, aber die Leute waren einfach fertig. Es ist uns nicht leicht gefallen, aber es schien besser zu sein, als mit leeren Händen dazustehen. Die Politik wollte auch endlich Ruhe haben. Das Geld, was wir über zwei Jahre bekamen, war gut,  hatte aber einen Pferdefuß, denn wir mussten uns verpflichten, nicht juristisch gegen die Fusion vorzugehen.  Daran haben wir uns gehalten, aber auf die versprochenen blühenden Landschaften, mit neuen Arbeitsplätzen, auf die warten wir noch bis heute vergeblich.


Thomas Holzmann