„Sie sind hier unerwünscht“ – eine Reise nach Dresden

Nicht nur am 19. Februar versuchten Faschisten Dresden als Bühne für Geschichtsfälschung zu benutzen. Schon eine Woche früher wurde das Gedenken an Kriegsopfer missbraucht, nicht aber ohne Widerstand.

Sonntagmorgen, 6:15 Uhr. Noch ist es dunkel, die ersten müden Gesichter befinden sich auf ihren Plätzen im Bus. Es geht los nach Dresden, der 13. Februar und die damit verbundenen Trauerspektakel stehen wieder vor der Tür. Seit die Stadt im Jahr 1945 durch die Alliierten bombardiert wurde, finden hier rituell und mit großem Aufwand eine Vielzahl von Veranstaltungen zum Gedenken an die Opfer der Bombardierungen statt. 

Einen empörenden Höhepunkt bildet dabei alljährlich der abendliche Fackelaufmarsch der Alt- und Neonazis um die „Junge Landsmannschaft Ostpreußen“. Dieser Fackelaufmarsch stellt jedoch nur einen Teil der Geschichtsrelativierung dar, welche jährlich am 13. Februar stattfindet. 

Nach Start in Saalfeld, und Stopps in Jena und Hermsdorf trifft der Bus gegen 9:45 Uhr schließlich am Heidefriedhof in Dresden ein. Dort bildet die offizielle Kranzniederlegung der Stadt den regelmäßigen Auftakt des Dresdner Gedenktages: neben Stelen mit der Aufschrift von Bergen-Belsen, Warschau und Auschwitz steht gleichberechtigt eine Stele für Dresden. 

Aus dem Bus ausgestiegen und in Ruhe zum Haupteingang gehend, ziehen sich sofort Polizeikräfte zusammen – wir werden aufgehalten, abgedrängt und erhalten schließlich einen Platzverweis. Die Begründung des Einsatzleiters: „Der Veranstalter (die Stadt Dresden) erklärt sie explizit zu unerwünschte Personen.

Erwünscht hingegen ist ausdrücklich und auf Nachfrage die sich sammelnde Gruppe aus NPD, Freien Kameradschaften und JLO. Denn: „Die stören uns nicht.“ Die ersten 50 von ca. 100 marschieren ohne jegliche Personalienkontrolle mit Kränzen und geordnet in Zweierreihen zum „Gedenken an die Opfer der Bombardierung“ auf den Heidefriedhof. 

Unbehelligt nehmen sie am Gedenken neben offiziellen Vertretern, wie dem sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU), Vertretern der Alliierten und Vertretern der evangelischen Kirche sowie der jüdischen Gemeinde teil. Der Kranz der Nazis wird später neben dem der jüdischen Gemeinde liegen.  Die Linksfraktion in Sachsen nimmt seit 2004 nicht mehr teil, um nicht mit den Nazis gemeinsam gedenken zu müssen. 

Von den ausgesperrten 200 Antifaschisten gelangen immerhin noch 50 über Umwege auf das Gelände, wo sie mit Transparenten und einem Redebeitrag gegen das absurde Schauspiel protestieren. Die Polizei sorgt für ein gewalttätiges Abdrängen und verteilt im Anschluss großzügig Anzeigen wegen Hausfriedensbruch. 

Mit viel Elan geht es nun weiter Richtung Innenstadt. Vor der Frauenkirche angekommen findet nun auch die von der JG-Stadtmitte Jena, Haskala Saalfeld und der Linksjugend [‘solid] Jena geplante und vorbereitete Aktion ihre Verwendung. Blitzschnell entsteht aus 600 Grabkerzen der eigentlich für den Heidefriedhof vorgesehene Schriftzug „SHOAH“, direkt vor dem Haupteingang der Kirche. 

Interesse und Fragen nach der Bedeutung ruft dieser hervor, nach Erklärung des Begriffes „SHOAH“ antwortet ein Dresdner Bürger „Was hat das in Deutschland zu suchen?“ 

In vielen Diskussionen lässt sich den Anwesenden vermitteln, dass die Mär von der „unschuldigen Kunst und Kulturstadt“  eine Lüge der nationalsozialistischen Propagandaabteilung ist und  das mörderische NS-Programm von den Dresdnerinnen und Dresdnern nicht weniger energisch ausgeführt wurde als andernorts.

Am Abend ist der Schriftzug zerknüllt, die Kerzen zum Gedenken an sechs Millionen ermordete Juden finden sich auf den eigens aufgebauten „Kerzentischen“ der Frauenkirche – nun umgewidmet zum Gedenken an die „Opfer der Bombardierung“ wieder.

Eine noch perfidere Täter-Opfer-Verdrehung an diesem Tag schaffte die NPD, als sie mit absurden Begrifflichkeiten wie dem „alliierten Bombenholocaust“ um sich wirft. 

Der Nachmittag ist geprägt von Hin und Her. Es gilt, die Strecke der Nazis zu blockieren, ihnen zumindest Protest in Hör- und Sichtweite entgegenzustellen. Doch bereits im Vorfeld zeigte sich, dass die Stadt Dresden kein Interesse an Protest gegen Nazis zu haben scheint und stattdessen jegliche Sensibilität im Umgang mit den Tätern im III. Reich vermissen lässt. Der vom Bündnis „Dresden Nazifrei“ organisierte Rundgang „Täter-Spuren“ des III. Reiches wurde zum Schutz der Nazis verboten, jegliche Kundgebungen aus der Altstadt bzw. Nähe der Nazi-route auf Neustadtseite verlegt. 

Doch von Verboten ließen sich die tausenden GegendemonstrantInnen nicht beirren – zumindest teilweise wurde der Rundgang am Vormittag durchgeführt. Um die Naziroute herum treffen sich tausende GegendemonstrantInnen und üben lautstarken Protest gegen die sich am Hauptbahnhof sammelnden 1.300 Neonazis. Verspätet können diese schließlich ihren Trauerfackelmarsch beginnen – massiv geschützt von der Polizei. 

Trotzdem gelingt es immer wieder, Blockaden zu errichten, StudentInnen stören mit fröhlicher Musik und Transparenten den Trauermarsch. Die Blockade am Fritz-Löffler-Platz schafft es schließlich, die Route der 1.300 Nazis zu verkürzen. 

Die in den Medien vielbeachtete Menschenkette der Stadt Dresden, welche zum Ziel hatte, die Stadt vor (Rechts-)Extremisten zu schützen und an welcher bis zu 17.000 BürgerInnen teilnahmen endet eine Stunde vor Beginn des Naziaufmarsches. 

Aus der Menschenkette brechen plötzlich 200 Teilnehmer aus, um mit einer Spontandemonstration auf die fehlerbehaftete Dresdener Gedenkkultur aufmerksam zu machen. 

Auch Schauspieler des Dresdner Staatsschauspiels halten der Menschenkette ein Transparent entgegen: „Gedenken allein reicht nicht“. 

Der Tag endet für uns gegen 18:30 Uhr mit einer Reihe an Platzverweisen und einem Geleit der Polizei bis zu unserem Bus, mit welchem wir schließlich gegen 21:30 Uhr in Jena eintreffen. 

Zurück bleibt ein schaler Nachgeschmack, Irritation, Enttäuschung und Unverständnis über das Vorgehen der Stadt Dresden zum 13. Februar. Und das Wissen, dass es bereits sechs Tage später erneut nach Dresden geht – der Großaufmarsch der Nazis steht am 19. Februar bevor. 

Wir werden wieder nach Dresden fahren, nicht nur um die Nazis zu blockieren, sondern auch um darauf aufmerksam zu machen, dass die Erzählung vom Leid der Deutschen nicht von der Verantwortung für den Faschismus und die in seinem Namen begangenen Verbrechen entlasten kann. 

Das Haskalteam