„Sie haben nichts zu befürchten, wenn sie nichts zu verbergen haben“

ReferentInnen der Veranstaltungsreihe „Überwachung“ zeigten, wie leicht unschuldige Bürgerinnen und Bürger auf die Fahndungslisten geraten können – LINKE will Thema Überwachung noch stärker in den Fokus rücken

In den letzten drei Monaten organisierte die Linksjugend ['solid] Thüringen in Zusammenarbeit mit dem offenen Jugendbüro RedRoXX eine Veranstaltungsreihe zum Überwachungsstaat. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – so scheint die Maxime des modernen Staates zu sein. Vorratsdatenspeicherung, Websperren, Bundestrojaner und biometrischer Ausweis sind wohl die  bekanntesten Ausprägungen davon. Ständig unter Beobachtung, jedes Wort muss gut überlegt sein. Wer unschuldig in das Raster von Ermittlern fällt, muss sein ganzes Leben umstellen. 

All dies ist nicht reine Theorie. Für Anne Roth wurde das Alltag als ihr Lebensgefährte, der Stadtsoziologe Andrej Holm morgens um sieben in der gemeinsamen Wohnung als Terrorist festgenommen wurde. Mehr als zwei Jahre standen Andrej, Familie und Freunde im Zentrum der Überwachung durch das BKA. Ihm wurde vorgeworfen, einer der theoretischen Köpfe der „militanten Gruppe“ zu sein, denen mehrere Anschläge auf Bundeswehrfahrzeuge zugerechnet werden. Ins Visier geriet Andrej Holm deshalb, weil er Begriffe wie Gentrifizierung und Prekarisierung in seiner wissenschaftlichen Arbeit verwendet und diese in den Bekennerschreiben der „militanten Gruppe“ häufig auftauchten. Die Verhaftung wurde weltweit skandalisiert. Anne Roth verarbeitete dieses Trauma unter anderem mit einem öffentlichen Blog „http://annalist.noblogs.org“. Der für viel Aufsehen in der Netzwelt sorgte. 

Der zweite Vortrag beschäftigte sich mit den historischen Entwicklungen von Technologie und wie diese sich mit gesellschaftlichen Entwicklungen beeinflusst haben. So wurden z. B. Telegraph und das Telefon als  frühe Möglichkeiten der Überwachung thematisiert. Der Referent Ralf Bendrath war einer der Mitbegründer des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung und ist u. a. aktiv bei netzpolitik.org. 

Aber nicht nur die Technik ist Grundlage des „Überwachungsstaates“ auch die Sprache spielt eine wesentliche Rolle. „Worte können wie winzige Arsendosen sein: Sie werden unbemerkt verschluckt; sie scheinen keine Wirkung zu tun – und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da“, schrieb Victor Klemperer in seinen Tagebüchern und offenbarte dadurch die Sprache des Dritten Reiches und deren Ziele. George Orwell schrieb in seinem Roman 1984: „Und wenn alle anderen die von der Partei verbreitete Lüge glaubten – wenn alle Aufzeichnungen gleich lauteten –, dann ging die Lüge in die Geschichte ein und wurde Wahrheit“ und verarbeitet dort die Möglichkeit des „Neusprech“ also neue Wortschöpfungen die das Denken beeinflussen sollen. Martin Haase (Professor für Sprachwissenschaften in Bamberg)  untersucht diese Wortschöpfungen wie z. B.  „Studienbeiträge“, „Online-Durchsuchung“ und „Unterbindungsgewahrsam“ mit welchen  Politiker und „think tanks“ ihre wahren Ziele vernebeln. 

Alle Veranstaltungen wurden stark frequentiert und positiv bewertet. Deshalb sollten wir als LINKE in Thüringen dieses Thema stärker besetzen. Zum einen in der parlamentarischen bzw. außerparlamentarischen Arbeit und zum anderen durch inhaltliche Bildungsangebote.              

Robert Richter