Die Zeit der Telefonzellen ist vorbei!

Eine Studie geht von mehr als einer halben Millionen Internetsüchtigen aus. Doch was genau ist darunter zu verstehen und wann ist jemand tatsächlich internetsüchtig?

Laut einer am 26. September  veröffentlichten Studie sind 560.000 Menschen in Deutschland internetsüchtig. Politiker fast aller Couleur kommentieren die Ergebnisse u. a. als „besorgniserregend“ oder „alarmierend“; vergleichen die Folgen der Internetsucht mit Cannabis-Abhängigen und Alkoholsüchtigen, fordern, wie der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Jens Spahn, Therapieplätze und die Kostenübernahme durch Krankenkassen. 

Kritisiert werden Flatrates und die dadurch ständige Verfügbarkeit des Internets. 

Ja, es gibt Internet-Sucht. Das stelle ich nicht in Frage. Jede/r die beispielsweise. „World of Warcraft“ kennt, weiß um den Reiz des Spiels und die mit zeitintensiven Online-Spielen verbundenen Gefahren. 

Eine richtige Reaktion wäre, nicht erst seit der Veröffentlichung der Studie, Konzepte zur Ausbildung eines kritisch-reflektierten Umgangs mit Medien. Medienkompetenz ist hier das Schlagwort, in Schulen, für Eltern, für Lehrer. Dies haben wir als LINKE bereits mehrfach gefordert. Anstelle dessen wird jedoch von Therapieplätzen gesprochen und anstelle der Forderung nach präventiven Maßnahmen klingen einige Reaktionen nach schnellem Populismus. 560.000 Internetsüchtige weist die Studie aus, mehr Mädchen als Jungen ist das überraschende Ergebnis. 

Doch wonach fragte die Studie eigentlich? Und wer oder was ist denn eigentlich dieses ominöse Internet? 

Per Telefoninterview wurden 15.023 repräsentativ ausgewählte Personen im Alter von 14 bis 64 Jahren befragt. Dabei waren 14 Fragen zu beantworten. Fragen wie: Wie häufig finden Sie es schwierig, mit dem Internetgebrauch aufzuhören, wenn Sie online sind? Wie häufig schlafen Sie zu wenig wegen des Internets? Wie oft freuen Sie sich bereits auf Ihre nächste Internetsitzung? Wie häufig fühlen Sie sich unruhig, frustriert oder gereizt, wenn Sie das Internet nicht nutzen können? Mich irritieren diese Fragen, noch mehr irritiert mich die ihnen wahrscheinlich zugrunde liegende Vorstellung des Internets und die von ihnen ausgehende Klassifizierung und Feststellung von Internetsucht. 

Die Studie hält fest: Internetabhängig ist, wer mehr als vier Stunden am Tag zwanghaft im Internet verbringt.  Ich bin durchschnittlich 16 Stunden am Tag online, manchmal auch durchgängig. Ob das zwanghaft ist, möchte ich persönlich nicht bewerten. Ich lese Zeitung online, kommuniziere sowohl dienstlich als auch mit Freunden am häufigsten per mail, jabber, skype oder auch über die so genannten sozialen Netzwerke. Ich schreibe Texte online, schaue Filme online, höre Radio online; ich bin, ob zwanghaft oder nicht, auf die Verfügbarkeit des Internets angewiesen und ja, ich werde auf der Zugstrecke von Jena nach Erfurt unruhig, weil ich keinen Netzempfang habe und somit keine mails beantworten oder auch keine Nachrichten lesen kann. Bin ich internetabhängig? Ich behaupte nein. 

Der Fehler der Studie liegt meines Erachtens in der wahrscheinlich zugrunde gelegten Betrachtung des Internets. Denn die gestellten Fragen klassifizieren das Internet als einen Raum, der betreten und wieder verlassen wird. 

Um einen Vergleich zu wagen: Die Zeit der Telefonzellen ist vorbei, ebenso nehmen Festnetzanschlüsse ab, die Mehrheit der Bevölkerung, so unterstelle ich, ist vorwiegend über mobile Telefone zu erreichen und dies ständig, zumindest aber mehr als vier Stunden am Tag, erreichbar. Ähnlich ist es zumindest mit meiner Internetnutzung.

Ich schlafe nicht zuwenig wegen „des Internets“, sondern nutze es, weil die zu erledigenden Aufgaben es fordern und weil „das Internet“ die Erledigung vereinfacht. 

Ich kommuniziere nicht vorrangig über „das Internet“, weil ich frustriert oder in negativer Stimmung bin, sondern weil es mir die Chance bietet, mit Freunden in allen Teilen Deutschlands und weltweit in kontinuierlichem Kontakt zu bleiben. 

Ich schaue Filme nicht über „das Internet“, weil ich süchtig bin, sondern weil die Auswahl höher ist, als die zur Verfügung stehenden Fernsehprogramme. 

Ich bin online, sogar sehr gerne. Für mich gehört das Internet, möglichst ständig verfügbar – zu meiner Lebenswelt und Realität.      

Katharina König