Die Sowjetunion auf dem Silbertablett

Vor mehr als 20 Jahren besiegelte ein eigentlich pro-sowjetischer Putsch das Ende der UdSSR und des real existierenden Sozialismus – Eine Retrospktive Matthias Bärwollf.

Als am 19. August 1991 ein Notstandskomitee bekannt gab, dass der Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow wegen Krankheit nicht aus seinem Urlaub auf der Krim zurück nach Moskau kommen könne und nun jenes Komitee die Gewalt nach den Artikeln der sowjetischen Verfassung an sich nehme, begann der Schlussakt einer Tragödie. 

Begonnen hatte die freilich spätestens in der bleiernen Zeit unter Breschnew, Tschernjenko und Andropow, die allesamt aus dem Kreml getragen werden mussten. Allesamt waren altersschwache Herren. Sie strahlten kaum noch Autorität aus und ernteten nur mehr ein müdes, bedauerndes Lächeln ihrer Untertanen. 

Das Wettrüsten hatte die Sowjetunion an den Rand des wirtschaftlichen Ruins getrieben, gepaart mit der Unfähigkeit technologische Errungenschaften des Militärapparates in die zivile Wirtschaft zu übertragen. 

Mit Gorbatschow waren vielerorts Hoffnungen verbunden. Seine Pläne für einen Umbau des Systems und mehr Offenheit hatten Menschen, nicht nur im Ostblock brennend interessiert. 

Die Entlassung des Nobelpreisträgers und Atomphysikers Andrej Sacharow aus der Verbannung, die Auflösung vieler Arbeitslager und die Abschaffung der Zensur gehörten wohl zu den eindrucksvollsten Symbolen der Politik Gorbatschows. Es sollte gründlich renoviert werden in der UdSSR. Dass aber auch der erzkonservative Schauspieler Ronald Reagan die Chance erkannte, die sich mit der Öffnung verband, wurde spätestens klar, als die UdSSR auf der Suche nach einer kräftigen Finanzspritze war. Die Weigerung des Westens spitzte die ökonomische Situation im Land weiter zu.

Zudem hatte bereits das Unglück von Tschernobyl im April 1986 gezeigt, dass längst nicht alle im Apparat von Glasnost und Perestroika begeistert waren, so kamen die Informationen für die Öffentlichkeit zum einen viel zu spät und entsprachen zum anderen auch kaum den Tatsachen. Gorbatschow erlitt einen gewaltigen Glaubwürdigkeitsverlust. 

Die Öffnung und zunehmende Autonomie, die den einzelnen Republiken zugestanden wurde, ließ aber auch bislang unterdrückten Konflikten Raum. 1988 entbrannte im Kaukasus der erste blutige Konflikt um Berg-Karabach. Eine Reihe weiterer sollte folgen. Auch im Baltikum machte sich die Unabhängigkeitsbewegung bemerkbar und verkündete sogar ihren Austritt aus der Sowjetunion. Gorbatschows Pläne zur Umstrukturierung der Sowjetunion, samt neuem Unionsvertrag traten immer mehr in den Hintergrund. 

Das Referendum um eine neue Verfassung war noch im März 1991 erfolgreich über die Bühne gebracht worden, aber die Versorgung mit Lebensmitteln und Konsumgütern wurde immer schwieriger. Eine Weltmacht war zum Schlangestehen verurteilt. Kohlekumpels warteten auf ihren Lohn und traten in den Streik, die Arbeiter in den Lada-Werken nahmen ihre unfertigen Autos einfach wieder auseinander und verkauften die Teile auf dem Schwarzmarkt. 

Je größer die Probleme wurden, desto größer wurde die Zahl der kleinen und großen Jelzins. Er selbst, einst von Gorbatschow nach Moskau geholt, sah seine Chance darin, mit Nationalismus und der Separation Russlands politisch Boden zu gewinnen. Auch in den anderen Sowjetrepubliken,  der Ukraine, dem Baltikum und Weißrussland wurden die Stimmen lauter, die eine Auflösung der Sowjetunion und die Unabhängigkeit ihrer Republiken forderten. Gorbatschow versuchte im Gegenzug noch im Jahr 1991 den neuen Unionsvertrag auszuarbeiten und zu unterzeichnen. 

Aber es gab nicht nur Separatisten in der untergehenden Sowjetunion, sondern auch Hardliner. Unter ihnen Janajew, Gorbatschows Stellvertreter. 

Sie verschworen sich und wollten dem ganzen Treiben von Glasnost und Perestroika ein Ende setzen um die Sowjetunion über die Zeit zu retten und dem Auseinanderbrechen der UdSSR nicht länger zusehen zu müssen. 

Kurzerhand versuchten sie den Putsch. Panzer rollten gen Moskau, im Radio und Fernsehen lief Schwanensee und zu jeder Stunde gab es die immer gleiche Erklärung zu hören. Bei der Pressekonferenz stellten sich die Putschisten dann der Öffentlichkeit vor. Zitternd verlas Janajew die Erklärung der Putschisten. In diesem Moment schlug die Stunde Jelzins. Er schwang sich zum Retter der Demokratie auf! Auf einem Panzer vor dem Weißen Haus, dem damaligen Sitz des Parlamentes der Russischen Föderativen Sozialistischen Sowjetrepublik, dessen demokratisch gewählter Präsident er war, hielt er die Massen an, den Panzern keinen Platz zu machen und die Demokratie, vor allem aber Russland zu verteidigen. 

Am 21.August war der Putsch gescheitert, die Putschisten abgesetzt, Gorbatschow kam von der Krim zurück, aber die Sowjetunion war nicht mehr dieselbe. Kurz darauf trafen sich die Präsidenten Russlands, der Ukraine und Weißrusslands und verkündeten die Gründung der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS). In den folgenden Tagen erklärten die Ukraine, Weißrussland, Georgien, Armenien und Kasachstan den Austritt aus der UdSSR. Gorbatschow war Präsident eines Landes, dass es nicht mehr gab. 

Nun drehte Jelzin den Spieß um. Er ging daran die Sowjetunion zu zerlegen und seine Machtbasis auszubauen. Höhepunkt der Demütigung Gorbatschows war das Verbot der KPdSU in Russland. Gorbatschow hatte seinen Kredit bei den Russen verspielt, gleiches galt für die Kommunisten. Jelzin konnte sich zum starken Mann im Kreml mausern und machte sich sogleich daran, große Teile der Wirtschaft zu privatisieren. Dass er selbst kein Demokrat war, störte weder den Westen, noch die Russen wirklich. Vergeblich hoffte man auf kritische Töne, als Jelzin 1993 selbst mit Panzern gegen die kommunistisch dominierte Duma vorging und das Parlament kurzerhand auflöste. 

Gorbatschow ist heute nur in der kleinen Szene der russischen Bürgerrechtler wohlgelitten und auch die sehen seine Politik kritisch. 

Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet die Putschisten Jelzin die Sowjetunion auf dem Silbertablett auslieferten. Mit ihrem Putsch  haben sie Jelzin zu dem gemacht, was er heute noch in den Augen einiger Russen ist: ein, wenn auch meist betrunkener, Held, der Russland gerettet hat.