Eine Frage der Verteilung

Auch in der Dauerkrise leben Wenige in Saus und Braus, während ein Drittel der Gesellschaft das Vertrauen in die Politik längst verloren hat. Dagegen will das neue gegründete Bündnis „Genug ist Genug“ kämpfen. UNZ war bei der Auftakt-Rally im Erfurter Zughafen mit dabei.

Heißer Herbst oder heiße Luft?

 

Der von Gewerkschaften und Linkspartei angekündigte „Heiße Herbst“ ist bisher bestenfalls ein laues Lüftchen. Nach gutem Start im September in Erfurt bringen Neonazis und Verschwörungsirre vor allem in den kleinen Städten Thüringens nicht selten bis zu zehn mal mehr Leute auf die Straße als das Bündnis „Nicht mit uns“. Da reicht es auch nicht zu sagen: „Dank unserer Demos wurde die Gasumlage abgeschafft“.

Das sahen am 3. November gut 50 Menschen bei Rally von „Genug ist Genug“ im Erfurter Zughafen ähnlich.  Annika, ein bekanntes  Gesicht von Fridays for Future Erfurt, und Gregor legen gleich richtig los. „Die Leute haben den Eindruck die Bundesregierung klatscht ein paar Milliarden rüber und dann wird das schon. Die öffentliche Debatte hat sich krass von der Realität entkoppelt, in der viele Menschen gerade leben.“

Dann tritt  die Sozialarbeiterin Lou ans Mikro und berichte von der totalen Verzweiflung vieler Menschen, die ihr täglich begegnen: „Die wissen nicht mehr, was auf den Teller kommt.“  Gleichzeitig kassieren Manager von DAX-Konzernen 25 Prozent mehr Geld. Die zwei reichsten Familien in Deutschland (Schwarz und Reimann) besitzen so viel wie  die Hälfte der Bevölkerung.

 

Die Abgehängten ermächtigen

 

Kein Wunder, dass das untere Drittel der Gesellschaft nicht mehr daran glaubt, dass sich die Bundesregierung für sie interessiert. Die Abgehängten wählen auch nicht AfD, die meisten gehen überhaupt nicht zur Wahl. Genau diese Menschen will  das neue Bündnis „Genug ist Genug“ ermächtigen und auf die Bühne stellen. „Denn Rumheulen bringt uns auch nicht weiter“.

 

Keinen Bock auf Burn-Out oder Depression

 

Die Einschläge werden mehr und die Klimakrise wird dafür sorgen, dass wir überhaupt keine Zeit mehr ohne Krise erleben. Immer mehr junge Menschen erkennen das. Kein Wunder, dass sie keinen Bock auf mies bezahlte Ausbildungen und Dauerpraktika haben, ohne Aussicht, dass die Schufterei irgendwas bringt – außer Burn-Out oder Depression. Für die so genannte Boomer-Generation mit der  Einstellung „die sollen erst mal 40 Jahre schuften wie ich“, ist diese Generation natürlich nur dumm und faul. Gehen sie mal in sich! Wird nicht jeder jungen Generation von den Alten genau das vorgeworfen?!

 

Weniger Prviatjets, dann muss niemand die Heizung aus machen

 

Dabei sind es vor allem die angeblich so faulen jungen, die sich gegen die „Spaziergänge“ der Leerdenker engagiert haben und die seit 2018 die Fridays-for-Future-Bewegung tragen. Denen muss  niemand mehr erklären, dass von den oberen 10 Prozent der Gesellschaft soviel Energie verbraucht wie von den unteren 40 Prozent.  „Weniger Pools, weniger Privatjets, dann muss niemand im Winter die Heizung aus machen“,  sagt Gregor unter großem Beifall.

 

 

Keine Ein-Satz-Anworten

 

Das gleiche gilt auch global. „Wir hatten nie zu wenig Weizen auf der Welt in den letzten Jahren.“ Allein die Spekulation hat die Preise in die Höhe getrieben und deswegen können Menschen in Afrika den Weizen nicht mehr bezahlen.“  Für Georg ist klar: „Einfach das, was da ist gerecht verteilen, dann reicht es für alle“. Klingt etwas naiv. Aber der überraschende Optimismus des Abends im Zughafen heißt nicht, dass sich alle in weltfremde Traumtänzerei flüchten. Dass gerade in der Thüringer Provinz die Nazis mehr Leute auf die Straße bringen als Gewerkschaften und Zivilgesellschaft, ist ihm bewusst.  „Eine Ein-Satz-Antwort auf dieses Problem, habe ich leider nicht,“ gibt auch Gregor zu. Aber den Kopf in den Sand stecken ist natürlich erst Recht keine Lösung.

 

Energieversorgung zurück in die öffentliche Hand

 

„Genug ist Genug“ hat deshalb zügig umsetzbare Forderungen aufgestellt: 1.000 Euro Wintergeld für alle, 9-Euro-Ticket dauerhaft wieder einführen und das ganze mit einer Übergewinnsteuer für Kriegs- und Krisengewinnler finanzieren. Beim Gaspreisdeckel hat der Druck langsam angefangen zu wirken, auch wenn es viel zu langsam geht. Aber es geht auch um Grundsätzliches. Dazu gehört für „Genug ist Genug“, die gesamte Energieversorgung zurück in die öffentliche Hand zu holen.

 

Streik, Streik, Streik

 

„Da kommen ganz konkrete Kämpfe auf uns zu.“ Damit meint Gregor nicht nur die Demos, sondern auch Arbeitskämpfe.  Die finden auch in Thüringen gerade statt (siehe Seite 10). „Die werden wir alle unterstützen, damit sie den Lohn bekommen, der ihnen zusteht. Das klingt dann doch ziemlich unrealistisch. Dass Studierende aus Jena nach Leinefelde zur Streikunterstützung früh um fünf vors Werktor ziehen, ist kaum zu erwarten. Aber: In Berlin hat die Stadtreinigung die Streiks der Krankenhäuser unterstützt. Mit Erfolg: Jetzt müssen die Pflegekräfte  nur noch 7 statt 11 Betten betreuen.

 

Das Frauenwahlrecht ist auch nicht vom Himmel gefallen

 

An solchen Erfolgen will sich „Genug ist Genug“ hochziehen und überall kleine Bündnisse gründen. Die Einführung des Frauenwahlrechts oder das Ende der Apartheid sei auch nicht vom Himmel gefallen. Solche Errungenschaften müssten immer erzwungen werden. Und immer hat das mal klein angefangen. So wie am 3. November 2022 in der Halle 6 im Erfurter Zughafen.

 

Thomas Holzmann