Grundeinkommen aus der Bazooka: besser als Balkon-Klatschen!

Im Gespräch mit dem Soziologen Eric Schröder über steigende Chancen auf ein Grundeinkommen

Spanien will lebenslanges Grundeinkommen

 

Corona-Krise und kein Ende in Sicht. Irrwitzige Verschwörungstheorien und apokalyptische Szenarien geistern durchs Netz. Nichts scheint undenkbar. Und nichts scheint gut an der Krise. Aber negatives Denken macht es nicht besser. Jetzt, da in bisher unvorstellbarem Ausmaß astronomische Milliardenbeträge für die Stützung der Wirtschaft einfach so durchgewunken werden: Warum sollte da nicht auch ein bedingungslosen Grundeinkommen möglich sein? Das Sozialministerium in Spanien erwägt bereits ein lebenslanges Grundeinkommen. Über eine halbe Millionen Menschen haben für Deutschland eine Grundeinkommens-Petition bei change.org mitgezeichnet.

 

Krisen-Grundeinkommen

 

Die Forderung: eine Art Corona-Grundeinkommen, zunächst für sechs Monate. Das wäre besser als Balkonklatschen und könnte vielen Menschen schnell und unbürokratisch helfen. Das findet auch der Soziologe Dr. Eric Schröder. Er hat an der Uni Erfurt „zur Konsensfähigkeit des Grundeinkommens“ promoviert und dabei auch unterschiedliche Modelle herausgearbeitet. Schröder unterscheidet vier Idealtypen: marktliberal, pragmatisch, liberal-egalitär und postkapitalistisch.
 


Das kleine Wörtchen "bedingungslos"

 

Durch schwierige Begriffe und die wissenschaftliche Komplexität rund um das Thema Arbeitsgesellschaft kann der Blick auf das politisch Wesentliche schnell verloren gehen. Ganz wichtig ist deshalb das kleine Wörtchen "bedingungslos". Erst damit wird es zum bedingungslosen Grundeinkommen, kurz BGE.

 

Postkapitalistisch

 

In Teilen der Linkspartei, vor allem in der Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen, gibt es sehr konkrete Vorstellungen wie ein Grundeinkommen aussehen könnte.  „Katja Kipping (Vorsitzende, DIE LINKE), die sich an dem Modell Ronald Blaschke (Philosoph, Mitbegründer des Netzwerks Grundeinkommen) orientiert ist definitiv als postkapitalistisch einzuordnen“, erklärt Schröder. Postkapitalistich bedeutet hier: „dass die Grundeinkommensfreiheit nach und nach alternative Wirtschaftsformen befördert“, führt weiter Schröder aus. „Das Netzwerk Grundeinkommen versammelt aufgrund seiner Definition eines Grundeinkommens Menschen aus dem gesamten Spektrum, ausgenommen marktliberal, weil es existenzsichernd ist und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht“.
 

Neoliberales Grundeinkommen:
Marktkonforme Sozialpolitik

 

Auch neoliberale Spielarten gibt es schön länger. Thüringens Ex-Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) und sein früherer Staatskanzlei-Chef Hermann Binkert (jetzt Boss vom INSA-Umfrage-Institut mit Sitz im Erfurter Steigerwald) nennen es Bürgergeld. Schröder: „Binkert und Althaus wollen nichts weniger als das paritätisch finanzierte Sozialversicherungssystem durch eine marktkonforme Sozialpolitik zu ersetzen: niedriges Grundeinkommen + private Vorsorge. Da geht es vor allem um die Senkung der Lohnnebenkosten, insbesondere für die Arbeitgeber, und die Schaffung von Arbeitsanreizen, durch bessere Zuverdienstmöglichkeiten beim Grundeinkommen.  

 

LINKE wollte Thüringer Modellprojekt


In der Linkspartei und erst recht bei SPD und Gewerkschaften sind Grundeinkommensmodelle durchaus umstritten.  „Bei den Grünen ist das deutlich komplexer, vor allem da die Forderung in den 80ern im Umfeld der Grünen entstand, auch heute sind noch viele Grüne Bundestagsabgeordnete dafür. In Thüringen mag das anders sein“, fasst Schröder zusammen. Offensichtlich ist das in Thüringen anders. Auch deshalb schaffte es der Modellversuch nicht in den rot-rot-grünen Koalitionsvertrag.  Dabei hatte Landes- und Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow für DIE LINKE ein auf drei Jahre angelegtes, wissenschaftlich begleitetes Modellprojekt für 1000 Menschen vorgeschlagen: Freiwillige Teilnahme, 1500 Euro pro Monat, Kinder die Hälfte. Einzige Bedingung: alle Teilnehmenden müssen aus ein und demselben Ort kommen.


„Zu begrüßende Symbolpolitik“

 

Der Soziologe meint:  „Fraglich bei solchen Modellprojekten ist, was man mit einer zeitlich und räumlich begrenzten Experimentalsituation überhaupt herausfinden kann? Und noch wichtiger: was man überhaupt herausfinden will? Aus linker Perspektive können weder die Arbeitsmarktintegration noch sonstiges Wohlverhalten  von Interesse sein. Insofern haben wir es hier hauptsächlich mit Symbolpolitik zu tun, die aber dennoch zu begrüßen ist. Denn die Debatte um ein Grundeinkommen wird so angefacht. Gleiches gilt für die Frage: Wie wollen wir leben?“


Grundeinkommen würde in der Krise am effektivsten helfen

 

Und für die Krise? Für Kulturschaffende, Selbstständige aller Art könnten vor allem ein bedingungsloses Grundeinkommen schnell und direkt helfen. Wenn das Geld rasch und unbürokratisch bei den Leuten ankommen soll, müsste man allerdings in Kauf nehmen, dass es auch Reiche, Menschen die es gar nicht brauchen, bekommen. Schröder findet: „Ein Grundeinkommen würde in der Krise effektiv und ohne großen bürokratischen Aufwand die Problemlagen vieler Menschen abmildern. Die offenen Fragen, die sich dabei stellen, sind: Wer soll es bekommen und wer bezahlt es? Die erste Frage ist unter den gegebenen Bedingungen recht einfach zu beantworten: Alle Menschen mit Wohnsitz in Deutschland. Bei der Finanzierung könnte man sich auf die „Bazooka“ von Finanzminister Scholz verlassen (so bezeichnete der SPD-Politiker die ersten Hilfsmaßnahnen in Bundesregierung), solidarischer hingegen wäre es, wenn auf alle noch bestehenden Einnahmen eine Grundeinkommensabgabe von 20 bis 30 Prozent erhoben würde. Menschen ohne oder mit geringem Einkommen würden profitieren, Menschen mit höherem Einkommen auch trotz Grundeinkommen zahlen.“

 

Steigt die Akzeptanz auch nach Corona?

 

Klingt so als könnte die Corona-Krise auch progressive politische Maßnahmen möglichen machen.
Könnte ein Krisen-Grundeinkommen die Debatte auf eine Art Expressgleis in eine neue Arbeitsgesellschaft setzen? Eric Schröder: „Das halte ich aus zwei Gründen für sehr unwahrscheinlich. Grundsätzlich würde zwar die Akzeptanz für ein Grundeinkommen steigen, weil viele Menschen in einer Notlage davon profitieren, es würde aber hauptsächlich als vorübergehendes Kriseninstrument wahrgenommen. Jetzt könnte man dieses Argument mit Verweis auf die über 40 Jahre währende Krise der Arbeitsgesellschaft und die zyklischen Krisen des Kapitalismus entkräften, aber dann trifft man auf das zweite, größere Problem: Sobald sich die Grenzregimes nach der Corona-Krise wieder normalisieren, wäre eine Zahlung an alle Menschen mit Wohnsitz in Deutschland angesichts der Debatten um Migration ausgeschlossen, ein Grundeinkommen nur für Staatsbürger hingegen würde die ohnehin schon bestehende Ausbeutung und Ausgrenzung von Nicht-Staatsbürgern weiter verstärken.“  

 

Den Markt aushebeln?

 

Und was ist mit den gigantischen Lohnunterschieden zwischen Fußballprofi und Krankenschwester? Was ändert sich nach der Krise am Arbeitsmarkt?
„Der Arbeitsmarkt ist kein Markt im üblichen Sinne. Menschen werden im Hartz IV-System weitgehend unabhängig von Lohn und Arbeitsbedingungen zur Arbeitsaufnahme gezwungen. So entsteht ein Machtungleichgewicht zwischen Arbeitsangebot und -nachfrage, da Arbeitnehmer Jobangebote nicht einfach ablehnen können, ohne Nachteile befürchten zu müssen. Das Grundeinkommen würde diesen Effekt aushebeln und einen wirklichen Marktpreis entstehen lassen. Arbeitslöhne und -bedingungen in aufreibenden Berufen, zum Beispiel von pflegendem Personal, könnten sich deutlich verbessern. Auch eine Automatisierung könnte vorangetrieben werden. Den Fußballer wird es, abgesehen von höheren Steuern, nicht tangieren, denn er ist den Vereinen die Millionen wert, die gezahlt werden. Da müsste man grundsätzlich über die Kommerzialisierung des Sports reden“ erläutert der Soziologe.

 

Grundeinkommen funktioniert nur weltweit
als Menschenrecht

 

Wenn selbst die FDP in der Krise der Meinung ist, dass der Markt doch nicht alles regelt, scheint sogar das nicht unmöglich. Darf jetzt von der aus den Trümmern der alten Gesellschaft steigenden sozialistischen Weltrepublik geträumt werden?   
Schröder warnt: „Die Krise treibt mit ihren nationalen Bewältigungsstrategien den ohnehin schon erstarkenden Nationalismus voran. Man rückt – von der Wohnung bis zur Nation – enger zusammen und schottet sich vor dem äußeren Feind ab. Ein nationales Grundeinkommen würde diese Tendenz eher verstärken. Ein Grundeinkommen – so utopisch dies klingen mag - funktioniert aus linker Perspektive nur weltweit, als Menschenrecht.“

 

„Warum nicht internationale Solidarität wagen?“

 

Darf man zumindest hoffen, dass nach Corona die vielfach angekündigte Rückkehr zum Nationalismus ausbleibt? „Wir haben es mit einer globalen Krise zu tun. Warum sollten die ökonomischen und sozialen Gegenmaßnahmen nicht auch global ausgestaltet werden? Warum nicht internationale Solidarität wagen? Das würde den Menschen weltweit auch nach der Krise eine Grundlage geben, sich gegen die ökologischen und sozialen Verwerfungen des Kapitalismus zu wehren. Wenn der Westen dann die restliche Welt nicht mehr zwingen kann, billiger Produktionsplatz zu sein, würde auch in die Klimadebatte neue Dynamik kommen“, so Schröder optimistisch. Doch kaum gedacht, dämpft der Soziologe die Erwartungen: „Aber gerade deswegen ist eine solche Entwicklung auch utopisch. Ich denke, man könnte sich darüber freuen, wenn die Krise dazu führt, dass zumindest die Gewinnorientierung im Gesundheitssystem hinterfragt würde.“    

 

Thomas Holzmann