Ewig grüßt das Treuhandtrauma

„Bischofferode ist überall“ war nicht nur in Thüringen ein geflügeltes Wort. Die hungerstreikenden Kali-Kumpel aus dem Eichsfeld, denen selbst der Papst nicht helfen konnte, sind ein prägendes Symbol für die Wendezeit. Kein Wunder, dass im Bergbaumuseum die Treuhand als dreiköpfige Hydra dargestellt wird. Aber das Treuhandtrauma gibt es vielerorts. Mindestens so hart wie Bischofferode hat es Suhl getroffen. In der früheren Bezirksstadt wurden mal berühmte Mopeds gebaut. Dann kam die Treuhand und seitdem wird fast nur noch abgewickelt. Gegen das ewige Trauma hilft nun eine Erzählsalon.

 

Von Leon Schwalbe,

Projektmanager der Treuhand-Ausstellungstour bei Rohnstock Biografien

 

Wer das Wort „Treuhand“ in den Mund nimmt, hat es nicht einfach. Nicht selten bestehen die Reaktionen entweder aus sofortiger Abwehrhaltung oder einer seit Jahren vorgefertigten Meinung, die immer wieder zum angemessen erscheinenden Zeitpunkt herausgeholt wird. So erst kürzlich wieder in der Tageszeitung „Die Welt“ geschehen. Dort holte der leitende Journalist der Geschichtsredaktion zum Frontalschlag aus, indem er die Treuhand-Ausstellung der Rosa- Luxemburg-Stiftung als „SED-Propaganda“ und „staatsfeindliche Hetze“ bezeichnete. Im Kontext der durch die Wochenzeitung „Die Zeit“ veröffentlichten Nachrichten von Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner, zu dem die „Welt“ auch gehört, erscheint dieser Kommentar nicht verwunderlich. Eine im Wesentlichen aus Zeitzeug:innen-Erfahrungen bestehende Ausstellung derartig zu diffamieren, ist dennoch außergewöhnlich verachtend.

 

Dass der Umgang mit der komplexen und emotionalen Thematik auch anders geht, zeigte jetzt die Thüringer Rosa-Luxemburg-Stiftung. Gemeinsam mit dem Unternehmen Rohnstock Biografien und in Kooperation mit der ansässigen Volkshochschule fand in Suhl ein Erzählsalon statt, an dem 30 Menschen teilnahmen. Mit Erfahrungen und Erinnerungen mental im Gepäck, bestand für über zwei Stunden Raum, um über das zu sprechen, was jahrelang tabuisiert war und oft Frust, Wut und Ermüdung auslöst.

Die Stadt Suhl ist dafür ein extremes Beispiel. Vor der Wende noch von über 56.000 Menschen bewohnt, verlor die ehemalige Bezirkshauptstadt bis heute über ein Drittel ihrer Einwohner – mehr als jede andere Stadt in Thüringen. Touristische Kennzahlen, wie die Anzahl der Übernachtungen, sind im Vergleich dazu zwar seit den frühen 2000ern konstant, jedoch kaum vergleichbar mit der touristischen Bedeutung der Stadt vor dem Jahr 1989. Industriell ist von den einst drei großen wirtschaftlichen Standbeinen Zweiräder, Jagdwaffen und Elektrogeräte kaum noch etwas übriggeblieben.

 

Bernd Heyer erlebte als Arbeiter im Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk „Ernst Thälmann“ die Wendezeit und Treuhand-Einmischung hautnah mit. Nachdem frühzeitig viele Maschinen des Jagdwaffen-Betriebsteils bis nach Übersee verschifft wurden, war er schon bald zuständig für die Entlassung seiner eigenen Kolleg:innen. „Jeden Monat bekam ich einen Zettel, auf dem zehn Menschen draufstanden, die ich entlassen sollte“, erinnert er sich während des Erzählsalons. Die Folgen für ihn: „Ich wurde angegriffen, meine Autoscheiben wurden zertrüm-mert. Dabei war ich ja nur das ausführende Opfer.“

 

Wenig später ist der von der Treuhand privatisierte Betrieb in der Gesamtvollstreckung und der Liquidation nahe. Es stellt sich heraus: Die ersten Investoren – zwei internationale Finanzierungsgesellschaften – hatten kaum Interesse daran, die Jahrhunderte alte Produktion von Jagdwaffen in Suhl aufrecht zu erhalten. Vorrangiges Ansinnen war es, Grundstück, Immobilie und Technik später selbst gewinnbringend zu veräußern.

 

Heute produziert mit einem Bruchteil der Mitarbeiter die Firma Merkel und ihr Ableger C. G. Haenel weiter in Suhl. Aufträge gibt es – die sind aber nicht weniger brisant als die Geschichte des Betriebes selbst. 2020 wurde bekannt, dass das neue Bundeswehr-Sturmgewehr von der Suhler Firma produziert werden soll. Damit gehören die im Jahr 2018 zusammen rund 140 Beschäftigten – wie schon zu DDR-Zeiten, als man in Suhl einst einen Ableger der Kalaschnikow produzierte – zur Rüstungsindustrie, die durch das militärische Sondervermögen der Ampel-Regierung gerade wieder enorm an Aufwind gewinnt.

 

Bedeutend weniger moralisch fragwürdig, dafür aber beendet, ist die Geschichte des Suhler Elektrogerätewerkes. Heribert Krebs arbeitete dort seit den 80er Jahren in der Abteilung für elektronische Datenverarbeitung und bekam in der Wendezeit vor allem die massiven Gehaltsunterschiede zwischen Ost und West mit. Im Erzählsalon berichtet er: „In einer Computer-Zeitschrift hatte ich gelesen, ich könne als EDV-Leiter meiner Betriebsgröße so um die 150.000 D-Mark im Jahr verdienen. Ich bekam 30.000.“

 

In Folge dieses Gefälles haben viele seiner ehemaligen Kolleg:innen den Osten verlassen. „Die haben alle ihre Anstellungen gefunden und wesentlich besser verdient als ich“, erinnert er sich. „Selbst meine Tochter hat nach ihrem Studium in Schmalkalden der Heimat den Rücken gekehrt. Im Westen hat sie schon als Einstiegsgehalt 70 Prozent von dem bekommen, was ich als Fachkraft mit langer Berufserfahrung verdiente.“

 

Ähnliche Erfahrungen machte auch Helmut Hellmann, der nach der Wende für eine Thüringer Montagefirma oft außerhalb der ehemaligen DDR-Grenzen unterwegs war. „Ich war dort als Chef der Montage-Arbeiter und musste mir zusätzlich Leiharbeiter holen. Die haben mehr verdient als ich“, erzählt er vor den aufmerksam zuhörenden Teilnehmer:innen. „Die Firmen, für die wir dort gearbeitet haben, hätten mich mit ordentlichem Gehalt und Kusshand ge-nommen. Für die Familie bin ich allerdings im Osten geblieben.“

 

Bis heute belegt Thüringen im bundesweiten Vergleich der Durchschnittslöhne Platz 15. Den letzten teilen sich wie die drei davorliegenden Plätze alle anderen neuen Bundesländer mit einziger Ausnahme Berlin. Die Erfahrungen aus Suhl sprechen also für den gesamten Osten und die vielfältigen Fehler, die während des Vereinigungsprozesses gemacht wurden. Die Deindustrialisierung ganzer Regionen und die Liquidierung der volkseigenen Betriebe, mit denen viele der Mitarbeiter sich bis heute stark identifizieren, ist noch immer nachhaltig zu spüren.

 

Raum für diese Debatte zu schaffen, ist das Ansinnen von Ausstellungen wie die der Rosa-Luxemburg-Stiftung unter dem Titel „Schicksal Treuhand – Treuhand Schicksale“ sowie der dazu stattfindenden Begleitformate. Die dabei erzählten Geschichten werden stets aufge- schrieben und, wie etwa zum Möbelkombinat Eisenberg und dem Glaswerk Großbreitenbach, in Büchern festgehalten. Letzteres Buch erscheint aktuell unter dem Titel „Abbruch, Umbruch, Aufbruch“ in zweiter Auflage im Thüringer Kommunalverlag.

Wer sich selbst von der laut „Welt“ „verfassungsfeindlichen“ Treuhand-Ausstellung überzeugen möchte, kann dies ab 26.4. im Thüringer Landtag tun. Darüber hinaus wird die Ausstellung, die es auf Grund der sehr großen Nachfrage dreifach gibt, im Juli in Bischofferode, vom 3. August bis 5. September in Ilmenau und vom 13. bis 30. November in Eisenach zu sehen sein. Zur Ausstellungseröffnung in Bischofferode wird am 3. Juli, um 13:00 Uhr, auch Ministerpräsident Bodo Ramelow sprechen.

 

Alle weiteren Termine

unter: www.rohnstock-

biografien.de/veranstaltungen

 

Gegen das ewige Trauma hilft nun eine Erzählsalon.