Augsburg und Luxemburg führen kostenlosen Nahverkehr ein. Bus und Bahn für lau auch in Erfurt?

Ein Debatte zwischen Matthias Bärwolff und Steffen Linnert.

Pro

Fahrscheinfrei: 

Nächster Halt, Verkehrswende

 

Von Matthias Bärwolff (DIE LINKE),

Fraktionsvorsitzender im Stadtrat

 

Der fahrscheinfreie Nahverkehr kann der Schlüssel zu einer Verkehrswende sein und ist in vielen Städten bereits heute Realität. Nicht nur die estnische Hauptstadt Tallinn hat diesen Weg eingeschlagen, auch in Luxemburg kommt in Kürze der fahrscheinfreie Nahverkehr. Grund genug, auch in Erfurt über dieses Konzept nachzudenken.

Dabei gilt es allerdings, umfangreiche Vorbereitungen zu treffen. Es kommen mehr Fahrgäste und ein wesentlich größerer Fahrplan auf die EVAG zu, der auch mit Personal und Fahrzeugen unterstütz werden muss. Die Idee des fahrscheinfreien Nahverkehrs hat den massiven Ausbau des ÖPNV zum Ziel und will soziale, ökologische und wirtschaftliche Fragen im Bereich Mobilität lösen. Um eine attraktive Alternative zum privat genutzten Auto zu bieten, muss der Nahverkehr viel mehr Angebote, auch im ländlichen Bereich machen. Mehr Fahrzeuge auf mehr Linien und das in einem dichteren Takt.

Bis zur Bundesgartenschau 2012 wird die EVAG 14 neue Straßenbahnen kaufen und 10 weitere sind in Planung, darüber hinaus wird die Busflotte um 18 Fahrzeuge erweitert. Auf diesem Weg muss die EVAG weitergehen, unterstützt vom Bund und vom Freistaat Thüringen mit Fördermitteln. Mit einem zusätzlichen innerstädtischen Busnetz kann auch in der engen Innenstadt mehr Nahverkehr auf die Straße kommen. Außerdem können neue wohnortnahe Haltestellen erschlossen werden, etwa in neuen Wohngebieten, die bisher weit entfernt von der Straßenbahn liegen. Der Ausbau des ÖPNV-Netzes ist die weitaus größte Herausforderung, da hierfür Parkraum und Autospuren reduziert werden müssen.

Unkundige oder Gegner der Idee reden immer wieder vom kostenlosen Nahverkehr - dabei ist klar, dass Kosten entstehen. Es ist aber eine Grundsatzfrage, wie die Allgemeinheit den Verkehr in Städten insgesamt finanziert. Der Nahverkehr wird zwar subventioniert - über Bund, Land und die Stadtwerke - aber den Löwenanteil der Finanzierung tragen die Fahrgäste selbst, mehr als 70 Prozent. Beim Auto hingegen werden die meisten Kosten aus Steuermitteln gezahlt, wobei die KfZ-Steuer nur einen minimalen Bruchteil ausgleicht.

Die Finanzierung des Nahverkehrs über eine Umlage, etwa 30 Euro im Monat, die alle über 18 Jahren zahlen (ja, es gibt Ausnahmen für Menschen mit Behinderung, etc.) wäre ein Weg, den ÖPNV auf eine neue breite und verlässliche finanzielle Basis zu stellen. Auf diese Weise wird er nutzbar für alle, die sich den ÖPNV heute finanziell nicht leisten können oder ihn nicht nutzen können weil es kein passendes Angebot an ihrem Ort gibt. Zusätzliche Einnahmen können z.B. aus der Parkraumbewirtschaftung kommen.

Auch das Land ist aufgerufen, deutlicher als bisher  zu unterstützen. Das betrifft sowohl die Investitionsförderung als auch die Förderung des ÖPNV-Betriebs, also Unterstützung für bestimmte Fahrgastgruppen und gefahrene Kilometer.

 

 

 

 

 

 

Kontra

Brauchen Einnahmen aus Ticketverkäufen

 

 

Von Steffen Linnert (SPD),

Dezernent für Wirtschaft und Finanzen 

 

 

Kostenloser ÖPNV? Klingt gut, ist falsch! Der ÖPNV kostet! Immer! Die Busse müssen gekauft werden, der Kraftstoff bezahlt werden und die Beschäftigten wollen wir tarifgerecht bezahlen. Das kostet! Dafür benötigt die EVAG Geld. Und eigentlich benötigt sie noch mehr Geld, wenn wir noch mehr Menschen in den Städten zum Umsteigen vom eigenen Auto auf die umweltfreundlichen „Öffis“ bewegen wollen. Mehr Fahrzeuge, ein größeres Netz, eine bessere Taktung – das lockt noch mehr Menschen dauerhaft in den ÖPNV. Überfüllte Busse und Bahnen frustrieren die Fahrgäste und die nutzen dann lieber das eigene Auto.

In Erfurt ist der öffentliche Nahverkehr auch aufgrund der engen Innenstadt zu manchen Zeiten an seine Kapazitätsgrenzen gelangt. Die Taktungen an besonders hoch frequentierten Haltestellen wie zum Beispiel dem Hauptbahnhof lassen kaum noch weitere Fahrzeuge zu. Manche Straßenbahnen sind in der Rush-Hour so voll, dass ein Zustieg nicht möglich ist. Wenn der "kostenlose" Nahverkehr eingeführt wird, rechnet die EVAG mit einer um bis zu 30 Prozent höheren Auslastung – der ÖPNV würde seine Attraktivität verlieren, wenn nicht zuvor massiv in die Qualität investiert würde.

Was also tun? Wir brauchen weniger Gedränge in den Straßenbahnen. Die EVAG beschafft gerade 14 neue, erheblich längere Straßenbahnen, hat für zehn weitere die Option. Das sind Millionen, die schon jetzt in den Ausbau der Qualität investiert werden. Wir brauchen außerdem eine weitere Nord-Süd-Straßenbahntrasse, eine kürzere Taktung bei den Bussen. Wir brauchen aber auch eine bessere Anbindung der Ortsteile und v. a. der Gewerbegebiete. Das ist nicht zuletzt auch eine soziale Frage! Nicht jeder kann es sich leisten, mit dem Auto zur Arbeit zu fahren. Dagegen ist die 50-Euro-Monatskarte wesentlich günstiger. Warum nutzen so viele Menschen trotzdem das Auto? Nicht weil es billiger ist. Nein, das Auto ist bequemer, häufig praktischer und auch ein Statussymbol. Nur wenn wir diese „Attraktivitätsdifferenz“ schließen, überzeugen wir die Menschen vom Umstieg.

Dieser flächendeckende, qualitativ anspruchsvolle ÖPNV kostet aber viel Geld. Und wir müssen mehr investieren, um den ÖPNV noch attraktiver zu machen. Wir müssen den ÖPNV ohne Sparzwänge denken und können ihm nicht die Einnahmen aus Ticketverkäufen wegnehmen. Rund 70 Prozent des Budgets der EVAG werden durch den Ticketverkauf gedeckt. Wo sollen diese Millionen herkommen? Und zwar Jahr für Jahr!