100.000 Deserteure

Stell dir vor der EU-Ratspräsident ruft dich zur Desertion auf und dann verweigert dir Deutschland das Asyl. Das ist nur eine traurige Wahrheit, die am Aktionstag zum 30-jährigen Jubiläum der Verschärfung des Asylrechts offen gelegt wurde.

Mindestens 2.500 russische Deserteure und Kriegsdienstverweigerer haben in Deutschland einen Antrag auf Asyl gestellt, aber nur 55 bekamen einen positiven Bescheid.

 

Das geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor.

Dabei hatte  der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, russische Soldaten sogar extra zur Desertion aufgerufen und ihnen Schutz nach dem Flüchtlingsrecht versprochen.

 

Dieses Versprechen wurde bis heute nicht eingelöst, kritisiert Connection e.V., die sich für umfassendes Recht auf Kriegsdienstverweigerung einsetzt.

Hanne Adams, eine langjährige Erfurter Friedensaktivistin von der Offenen Arbeit hat einen Aktionstag auf dem Anger (23.5.) genutzt, um auch auf dieses wichtige Thema aufmerksam zu machen.

 

Zum Schutz von Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern aus Russland, Belarus und der Ukraine wurde jetzt eine Unterschriftensammlung gestartet.  Die Petition, kann auf der Website WeMove.eu mitgezeichnet werden.

Es gibt schätzungsweise 100.000 russische Wehrpflichtige und Deserteure, die den Angriffskrieg ablehnen. Etwa 22.000 belarussische Wehrpflichtige haben ihr Land bereits verlassen, weil sie sich nicht an einem möglichen Krieg in der Ukraine beteiligen wollen. Sie alle müssen wegen ihrer Haltung gegen den Krieg eine mehrjährige Verfolgung befürchten. Sie alle hoffen auf Schutz in den Zufluchtsländern.

 

Zu Beginn des Krieges hat auch die Ukraine das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ausgesetzt und die Grenze für Männer zwischen 18 und 60 Jahren geschlossen. Mehr als 100.000 Männer haben sich der Kriegsbeteiligung in der Ukraine trotzdem entzogen und sind ins Ausland geflohen. Derzeit haben ukrainische Staatsbürger aber nur einen befristeten Aufenthalt in der Europäischen Union. Die Petition fordert deshalb auch, dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen in der Ukraine uneingeschränkt garantiert wird. Ohne Druck der EU dürfte das aber leider aussichtslos sein.

 

Der Krieg in der Ukraine war allerdings nur ein Thema bei dem Aktionstag zu dem neben der Offenen Arbeit auch der Thüringer Flüchtlingsrat und „Seebrücke“ aufgerufen hatten.  Hintergrund war die Verharmlosend „Asylkompromiss“ genannte Verschärfung des Asylrechts vom 26. Mai 1993.

 

Dadurch wurde das individuelle Recht auf Asyl massiv geschliffen. Deutschland umgibt seitdem ein Ring von sicheren Drittstaaten und eine Liste von angeblich sicheren Herkunftsländern schränkt die Möglichkeiten auf Asyl weiter ein, so die einhellige Kritik.

Ausgelöst wurde das von massiver Nazigewalt und Terroranschlägen gegen Asyl-Unterkünfte wie in Rostock-Lichtenhagen (August 1992).  Die CDU-FDP-Regierung Helmut Kohls knickte vor dieser Gewalt regelrecht ein.

 

Mit dem ebenfalls 1993 eingeführten Asylbewerberleistungsgesetz erhalten Asylsuchende außerdem Sozialleistungen, die kaum zum Leben reichen. Selbst laut Bundesverfassungsgericht entsprechen sie  nicht dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

 

Schon vor 1993 war das Recht auf Asyl Gegenstand zahlreicher Konflikte und auch heute wird darum gestritten. Wobei die Grundfrage nach der Würde des Menschen oft  nur mit Rassismus und Nützlichkeitserwägungen beantwortet wird.  Oder wie es der Satiriker Jan Böhmermann kürzlich sehr zugespitzt, aber treffend, formulierte: „Nützliche Ausländer rein, unnütze Ausländer Zaun“. Das ist Freiheit nach FDP und CDU Lesart. Und auch der Grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck möchte zwar ein „bisschen abschichten“, aber sagt auch Ja zum Zaun an der EU-Außengrenze 

Aber selbst wer es schafft, hat meist nicht viel zu lachen. Behördenchaos, alltäglicher und struktureller Rassismus und die tägliche Angst, wegen einer Kleinigkeit abgeschoben zu werden.  Davon wurde in Redebeiträgen und Podiumsdiskussionen ausführlich berichtet.

 

Aber trotz der vielen schlechten Nachrichten und miesen Umstände unter denen viele Geflüchtete leiden müssen, gibt es Leute, die kämpfen wollen.

Adam Alazawe ist so einer.  Selbst aus Syrien vor dem Krieg geflohen gibt er heute marginalisierten Menschen eine Stimme. Er übersetzt, moderiert, klärt in einer Sendung bei Radio Frei auf. Nur in seinem Beruf als Informatiker arbeiten, das geht in Deutschland natürlich wieder mal nicht.