Medaillen um jeden Preis?

Hans-Joachim Weise

Der DDR-Sport wird vielerseits auf das staatlicher verordnete Zwangsdoping reduziert. Die Merkwürdigkeiten, die viele DDR-Sportvereine in der Wendezeit erlebten wird dabei genauso oft ignoriert wie das systematische Doping in der BRD.

Auch auf dem Gebiet des Sports wurde auf Grund eines am 5. Juni 1990 von der Auslieferungsregierung des im Volksmund längst mit dem Spitznamen „de Misere“ bedachten Herrn de Maiziére rechtswidrig gefassten „Beschlusses“ von gewendeten wie übereifrigen Leitern und Funktionären längst in der Mottenkiste der Geschichte Abgelegtes hervorgeholt: Sportgemeinschaften (SG), Sportclubs (SC), Turn- und Sportclubs (TSC), Turn- und Sportgemeinschaften (TSG) und Sportvereinigungen (SV), die Betriebssportgemeinschaften (BSG) und die Armeesportklubs (ASK) sowieso, wurden abgeschafft. Insbesondere den BSG war im Hinblick auf das von dieser „Regierung“ in Gang gesetzte unheilvolle Wirken jener „Treuhandanstalt“ mit dem genannten „Beschluss“ die Rechtsgrundlage und somit die Finanzierung entzogen worden. Dafür kamen wieder wie vor 1945 „Sportvereine“, die sich „selbstverständlich“ auch mit Namen aus der Vergangenheit „schmücken“ mussten: Aus der BSG Chemie Industriewerke Ilmenau wurde der Sportverein „Germania“, aus der BSG „Empor“ Ilmenau der „Wintersportverein“ und selbst die keinen aus der Zeit vor 1945 stammenden Vorläufer gehabt habende Hochschul-Sportgemeinschaft (HSG) „Motor“ mußte sich in „Universitätssportverein“ umbenennen. Eilfertig fuhren Leiter und Funktionäre in die BRD und nach Berlin (West), um sich über die dort konservierten bürgerlichen Sportstrukturen „zu informieren“ und diese bedenkenlos nachzuäffen. Von Widerstand gegen die Zerschlagung bewährter Strukturen und Methoden konnte keinerlei Rede sein. 

 

Nur wenige Sportgemeinschaften wie SC Motor Zella-Mehlis und SC DHfK Leipzig bewahrten sich wenigstens ihren guten Namen. Nach dem menschenverachtenden kapitalistischen Grundsatz „Seht zu, wie Ihr zurechtkommt!“ wurden aus funktionierenden Sportverbänden lästige Bettler, die nun händeringend sogenannte „Sponsoren“ suchen mussten, die gönnerhaft und selbstverständlich keineswegs uneigennützig einige Almosen lockermachten. Für solche milden Gaben wurden die Mitglieder nicht nur zu „Werbeträgern“ herabgewürdigt, die Mannschaften waren nunmehr vom Gutdünken der Sponsoren wie auch vom Ausgang ihres Kampfes um das Bestehen der jeweiligen Unternehmen auf dem kapitalistischen Markt abhängig. Dank dieser großen Unsicherheit, des beginnenden Hereinflutens sogenannter „Alteigentümer“ von Gebäuden und Grundstücken sowie des Verschacherns von Sporteinrichtungen an meist zwielichtige „Investoren“ durch die „Treuhandanstalt“, Unternehmerwillkür hinsichtlich Arbeitszeit und Entlohnung von noch einen Arbeitsplatz innehabenden Sportlerinnen und Sportlern sowie beginnender Massenarbeitslosigkeit mussten nahezu alle Sportverbände einen erheblichen Mitgliederschwund hinnehmen. Weltweit anerkannte Bildungseinrichtungen wie die Deutsche Hochschule für Körperkultur in Leipzig (DHfK) wurden „abgewickelt“, Kinder- und Jugendsportschulen, soweit sie nicht ebenfalls der „Abwicklung“ verfielen, in sogenannte „Sportgymnasien“ „umgewandelt“. 

 

In den Einrichtungen des ASK „Vorwärts“ nistete sich die Bundeswehr der BRD ein und selbstverständlich wurde nun auch begonnen, dem Profi-Sport zu huldigen. So wurden größere Klubs wie der FC Rot-Weiß Erfurt in Profi-„Vereine“ „umgewandelt“, ohne im mindesten an die Probleme zu denken, die sich aus der völlig widersinnigen Führung einer Sportvereinigung als kapitalistisches Unternehmen zwangsläufig ergeben mussten. Eifrig und eilfertig wurden auch hier längst überholte, aber in der BRD konservierte, Strukturen kopiert - in der falschen Hoffnung, sich dadurch angesichts einer als „unvermeidbar“ erscheinenden Rückwärtsentwicklung zum Kapitalismus bei den künftigen vermeintlichen „Siegern der Geschichte“ anbiedern zu können. Bisherige Oberliga-Mannschaften, so FC Rot-Weiß Erfurt und FC Carl Zeiss Jena, mussten so geradezu zwangsläufig in die „Dritte Bundesliga“ absinken, ja, die letztere landete am Ende sogar in der Regionalliga. Nicht weniger eifrig wurde versucht, Sportveranstaltungen von internationalem Rang und Ruf als „ideologisch belastet“ zu verleumden. 

 

Vor allem betraf das die Internationale Radfernfahrt für den Frieden, die nur durch den tatkräftigen Einsatz von anerkannten Persönlichkeiten des Radsports wie Gustav Adolf („Täve“) Schur, Klaus Ampler und Pavel Doležel vor der „Abwicklung“ gerettet und - in allerdings weitaus bescheidenerem Umfang als bisher – weitergeführt werden konnte. Nach 15 Jahren sollten die eingefleischten Friedensfahrtgegner dann doch noch triumphieren können, als wegen fehlender Sponsoren und interner Streitigkeiten im Jahre 2005 die weltberühmte Friedensfahrt zum ersten Mal ausfallen musste. Im übrigen waren die in der DDR ausgebildeten Sportlerinnen und Sportler noch so lange gut, wie sie, von bundesdeutschen Sportfunktionären und Mannschafts-Mitgliedern misstrauisch beäugt, einige Jahre lang für die BRD Medaillen holen konnten. Als dieses Polster aufgezehrt war, begann eine beispiellosen Propagandawelle zur Verleumdung von Sportpolitik und -bewegung in der DDR. Vor allem wurde unterstellt, ihre Sportlerinnen und Sportler wären ausschließlich auf Grund eines „staatlichen Zwangsdopings“ bei Olympischen Spielen sowie Welt- und Europameisterschaften zu ihren Erfolgen gelangt. 

 

Ausgeblendet wurden dabei die zahlreichen öffentlich gewordenen Fälle systematischen und auch zum Tode geführt habenden Dopings im Profisport der BRD - beispielsweise bei der am 10. April 1987 in Mainz auf Grund von seit 1981 durch den Freiburger Sportmediziner Prof. Armin Klümper verordneten Mitteln, so dem Anabolikum Stromba, an explosionsartigem Multi-Organ-Versagen verstorbenen Siebenkämpferin Birgit Dressel - wie auch die Tatsache, dass angesichts der starken körperlichen Beanspruchung im Leistungssport allgemein unterstützende Mittel angewendet werden und bei den für internationale Wettkämpfe vorgeschriebenen und streng überwachten Tests nie auch nur ein Sportler oder eine Sportlerin der DDR ein positives und damit zur Disqualifizierung führendes Ergebnis aufzuweisen hatte. Doch auch hier fanden sich einige so übereifrige wie geltungssüchtige oder „alte Rechnungen begleichen“ wollende Personen wie die Staffelläuferin Ines Geipel, geborene Schmidt, die bereitwillig die Rolle von „Kronzeugen“ und „Dopingjägern“ übernahmen.

 

Dabei unterblieb selbstverständlich jede Erklärung für den Umstand, dass ihr angeblich nur auf „Zwangsdoping“ beruhender Rekord von 1984 bei den Olympischen Spielen in Athen 2004 noch eine Silbermedaille eingebracht hätte. Völlig außer Acht gelassen wurde die Tatsache, dass wissenschaftliche Erforschung und kontrollierte Anwendung sogenannter unterstützender Mittel in der DDR erst dann eingesetzt hatten, nachdem ihre Sportlerinnen und Sportler durch das von Sportverbänden kapitalistischer Staaten allen Appellen und Versprechungen zum Trotz systematisch weiterbetriebene Doping bei internationalen Wettkämpfen schwer benachteiligt worden waren. Die sich mit ihrer sprichwörtlichen Hexenjagd zur willigen und eifrigen Vollstreckerin Kinkelscher „Delegitimierungs“-Politik herabgewürdigt habende Ines Geipel sollte denn auch im August 2013 einen schweren Schlag bekommen und dieserhalb plötzlich sehr kleinlaut und verlegen werden: Eine unter Leitung des Sporthistorikers Giselher Spitzer von der Humboldt-Universität Berlin erarbeitete Studie erbrachte trotz bislang immer noch nicht vollständig freigegebener Akten den unumstößlichen Beweis für in der BRD seit 1949 auf regierungsamtliche Weisung betriebenes Doping! 

 

Mit diesem systematischen Staatsdoping wurden weitreichende politische Ziele verfolgt – Jubel und Freude über Siege und Medaillen sollten die Bevölkerung der BRD wie auch die der Nachbarländer die Notwendigkeit der Aufarbeitung von Krieg und Faschismus sowie der strengen Bestrafung von Nazi- und Kriegsverbrechern vergessen lassen. So wurde bereits mit dem Sieg der bundesdeutschen Mannschaft bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1954, unabhängig, ob durch Doping erreicht oder nicht, mit dem Schlagwort vom „Wunder von Bern“ systematisch eine Welle des Nationalismus und somit eine Stimmung in der Art „Wir sind wieder wer!“ erzeugt. In Vorbereitung der XX. Olympischen Sommerspiele in München 1972 sollte denn auch der damalige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher von Sportmedizinern fordern, für die Mannschaft der BRD Medaillen um jeden Preis zu sichern. Diese ministerielle Anweisung zum systematischen Doping geschah eindeutig aus dem Grunde, dass die Mannschaft der DDR allen kleinlichen und faulen Tricks zum Trotz endlich vollberechtigt nicht nur mit eigener Mannschaft wie 1968 in Mexiko, sondern auch mit Staatsflagge und Nationalhymne dabei war – für die hartgesottenen Kalten Krieger ein ihnen schlaflose Nächte bereitender Alptraum! Bezeichnend für die Zielrichtung aller sogenannten „Doping-Aufarbeitung“ ist übrigens, dass Giselher Spitzer nach der Bekanntgabe der Ergebnisse seiner Studie sämtliche Mittel gestrichen und die Freigabe noch nicht gesichteter Akten verweigert wurde. Vom bundesdeutschen Staatsdoping darf nichts in die Öffentlichkeit gelangen, könnte sich doch sonst der Politik- und Meinungsmachebetrieb gegenüber der DDR nicht als „Saubermann“ aufspielen. 

 

Eigens dazu wurde die Regelung geschaffen, wonach wirklich oder vermeintlich durch unterstützende Mittel geschädigte Sportler keinen medizinischen Nachweis erbringen müssen. Die bloße Vermutung reicht aus, um den erklecklichen Betrag von 10.500 Euro als „Entschädigung“ zu bekommen. Wirkliche Opfer bundesdeutschen Staatsdopings erhalten dagegen nichts! („Neues Deutschland“ vom 5. Oktober 2015) Verleumdet wird auch das in vielen Ländern als vorbildlich bewertete Sichtungs- und Auswahlsystem für sportliche Talente in der DDR. So hieß es in einer Fernsehsendung des „MDR“ am 2. November 2015, schon in den Kindergärten seinen kleine Talente für eine spätere Aufnahme in die als „Drillanstalten“ verleumdeten Kinder- und Jugendsportschulen (KJS) ausgewählt worden, um sie dort für ein „systematisches Staatsdoping reif zu machen“. Da die BRD seit 1990 etliche der KJS unter der Bezeichnung „Sportgymnasien“ weiterbetreibt, ist natürlich zu fragen, wie es sich hier mit der Behauptung von der „Drillanstalt“ verhält. Keine Rolle spielt natürlich die offene Militarisierung beispielsweise der als „Sportgymnasium“ von der Bundeswehr benutzten KJS Oberhof, erhalten doch deren Angehörige nicht nur eine allgemeine militärische Ausbildung schlechthin, sondern werden dort auch für die völkerrechtswidrigen Kriegseinsätze im Ausland gedrillt.