Es geht um weit mehr als Sahra Wagenknecht

DIE LINKE will nach der Wahlklatsche schleunigst zurück in die Spur. Das könnte klappen, wenn sie ihre Rolle als soziale Opposition wieder besser kommuniziert und Debatten als etwas Produktives verstanden werden, erklärt Steffen Dittes im UNZ-Interview.

 

Die Dominanz des Triells, Corona, Sahra Wagenknecht bzw. die heftige Kritik an ihr werden hauptsächlich für das Wahldebakel der LINKEN verantwortlich gemacht. Gibt es auch noch andere Gründe? 

 

Es hat schon alles miteinander zu tun und bietet auch Ansätze. Aber es gibt keine monokausale Erklärung für unsere Niederlage. Auch, wenn man kritisch feststellen kann, dass es scheinbar keine Parlamentswahl, sondern eine Bundeskanzler-Direktwahl gegeben hat, haben wir es trotzdem nicht geschafft, uns in dieser Diskussion zu behaupten und zu überzeugen: Es ist wichtig, dass DIE LINKE im Parlament vertreten ist. Insofern hat das Triell Auswirkungen gehabt, auf die wir nicht adäquat reagiert haben. Auf die zunehmende Personalisierung müssen wir uns auch einstellen. Wir haben DIE LINKE nach außen immer mit einem Team präsentiert, und dabei immer auf die Unterschiedlichkeit der jeweiligen Akteure verwiesen. Auch hat die mangelnde Geschlossenheit unsere Glaubwürdigkeit vermindert. Es war nicht immer erkennbar war, ob wir wirklich Verantwortung in einer rot-rot-grünen Koalition übernehmen wollen. Oder ob und an welcher Stelle wir bereit sind, Kompromisse einzugehen. Trotz eines sehr guten Bundestagswahlprogramms ist es uns nicht gelungen, unsere politische Lösungskompetenz zu vermitteln. Die Diskussion mit und um Sahra Wagenknecht spielt dabei natürlich eine Rolle. Aber es geht weit darüber hinaus. Menschen wünschen sich bei Parteien Verlässlichkeit, Verbindlichkeit und Glaubwürdigkeit. Die haben sie bei uns offensichtlich nicht ausreichend erkannt.

 

Ist die Debatte um Wagenknecht mehr ein Social-Media-Phänomen oder schon das Symptom eines wachsenden, tieferen kulturellen Konfliktes, nicht nur innerhalb der Linkspartei? 

 

Es ist ein besonderes Phänomen, weil LINKE Politik sich ja an alle Menschen richtet: Es sollen alle die gleichen Rechte, die gleichen Chancen, den gleichen Zugang zum gesellschaftlichen Reichtum erfahren. Da machen wir keine Unterschiede. Wesensziel LINKER Politik ist Gerechtigkeit. Die erreichen wir nur, wenn sie für alle gilt. Deswegen ist die Diskussion über Milieus und Klassen, Stadt versus ländlicher Raum, Geflüchtete oder Arbeiter-*innen einem linken politischem Gesellschaftsansatz eigentlich zu wider. Wir haben uns diese Debatten aber aufdrücken lassen und zwar durch Diskussionen innerhalb der Partei. Da brauchen wir uns natürlich nicht zu wundern, wenn wir von außen dann auch so wahrgenommen werden. Damit ist das, was LINKE Gerechtigkeitspolitik ausmacht in den Hintergrund getreten. 

 

 

Allerdings wurde auch Pluralismus in der LINKEN immer groß geschrieben …

 

Wir sind als PDS Anfang der 90er Jahre gestartet mit der Überzeugung: Pluralität ist für uns als sozialistische Partei Wesensmerkmal, weil wir sie immer als etwas Produktives verstanden haben, das Politik entwickelt. Unsere Meinungspluralität hat sich bei einigen Debatten zu Konfrontation und sich ausschließender Differenz entwickelt. Das ist aber nicht die Pluralität, die wir angestrebt haben. Auch das führte dazu, dass sich zu viele nicht mehr sicher waren, für was DIE LINKE auf Bundesebene eigentlich steht. 

 

Das klingt dann in Thüringen ungefähr so: Früher hat sich DIE LINKE noch um uns gekümmert, aber jetzt reden die nur noch über Gendern und Identitätspolitik … 

 

Es ist nicht so, aber wir erzählen ja teilweise selber diese Geschichte und das ist das Schlimme. Da braucht man sich natürlich nicht zu wundern, wenn wir in der Öffentlichkeit mit diesem Bild konfrontiert werden. Ich finde den Vorwurf absurd, DIE LINKE hätte sich im Bundestagswahlkampf nicht um soziale Themen gekümmert. Aber wir müssen uns die Frage stellen, warum diese Wahrnehmung entstanden ist und welche Ursachen dafür bei uns selbst liegen. 

 

In Thüringen, vor allem im ländlichen Raum, sind dazu kaum Leute vor Ort, die im direkten Gespräch dagegen ankämpfen könnten. Auch das Image der Kümmererpartei, eigentlich ein Markenkern im Osten, scheint weggebrochen zu sein. 

 

Wir haben auch heute noch in unseren Büros Hartz-IV-Beratung. Viele von uns sind in Vereinen aktiv und vor Ort im Gespräch. Es ist ja nicht so, dass sich für uns aktive Menschen ansonsten nicht gesellschaftlich engagieren. Aber in vielen Ortschaften, insbesondere dort, wo immer weniger Menschen leben, haben wir als Partei keine Ansprechpartner mehr. In kleineren Orten macht sich der Mitgliederrückgang natürlich viel stärker bemerkbar als in den Städten. Das heißt, die dort lebenden Menschen finden dort keine Genossin und keinen Genossen, mit dem sie über linke Politik reden können. In kleineren Orten macht sich der Mitgliederrückgang natürlich viel stärker bemerkbar als in den Städten. Da suchen sich Menschen die Antworten auf einem anderen Weg, z.B. auch über die sozialen Medien. Auf diesem Weg haben es einfache und populistische Erklärungen wesentlich leichter. 

 

Aus Berlin hört man jetzt häufiger den Begriff Neustart. Wie könnte der aussehen und was bedeutet das für Thüringen, wo DIE LINKE ja noch deutlich besser dasteht? 

 

Neustart klingt nach einem vorhandenen statischen Zustand, der nun abgelöst werden muss, weil er nicht mehr erfolgreich ist. Das ist mir zu kurz gedacht. Als Partei entwickeln wir uns ständig weiter und müssen dies auch in Zukunft: neue Kommunikationswege, neue Beteiligungsmöglichkeiten und neue thematische Angebote . Ohne uns selbst als sozialistische Partei zu verleugnen, müssen wir lernen, wie wir unsere guten Inhalte so aufbereiten und vermitteln, dass sie nicht nur verstanden werden, sondern auch als Ziel für diese Gesellschaft angenommen und schließlich auch unterstützt werden. Und, wenn es nur mit einer Stimme bei der nächsten Wahl ist. 

 

2002 hatte die PDS nur zwei Abgeordnete im Bundestag. Dann kamen Agenda 2010 und Hartz IV von Rot-Grün. Jetzt ist wohl noch die FDP dabei. Da müsste sich DIE LINKE mit 39 Abgeordneten doch innerhalb kürzester Zeit als Opposition gut profilieren können? 

 

Wir haben jetzt vor allem die Möglichkeit, unseren Platz im Parteiensystem erkennbar zu machen. Bei der voraussichtlichen Ampel-Koalition wird uns das leichter fallen können. Es gibt dann eine demokratische Opposition von Rechts, die CDU/CSU. Und eine demokratische von Links. So können wir unseren Platz links von SPD und Grünen mit unseren Werten wie Gerechtigkeit und Solidarität beanspruchen. Unterscheide werden wieder deutlich sichtbarer. Das setzt aber auch voraus, dass wir die Pluralität im politisch-produktiven Sinne in der Bundestagsfraktion so nutzen, dass ein verbindliches und glaubwürdiges Politikangebot vermittelt wird. 

 

Neben der LINKEN geht auch die CDU ziemlich geprügelt aus der Wahl. Was bedeutet das eigentlich für die Minderheitsregierung in Thüringen und vor allem für den Haushalt? 

 

Der Vorteil des Auslaufens des Stabilitätspaktes ist, dass wir nicht mehr allein darauf reduziert sind, mit der CDU Mehrheiten zu finden. Bei Gesetzen oder auch dem Haushalt reichen beispielsweise auch die 4 Stimmen der FDP aus, um bei der Abstimmung im Landtag mehr Ja als eine Nein stimmen zu erreichen. Natürlich sehen wir, dass der CDU-Landesverband Thüringen seit 2 Jahren alles andere als stabil ist. Und natürlich gibt es die Befürchtung, dass verbindliche Absprachen erschwert werden, wenn die Differenzen eskalieren. Aber ich bin weit davon entfernt, hier Ratschläge zu geben. Wir machen unsere Hausaufgaben, werden für den Haushalt werben und mit allen demokratischen Fraktionen verhandeln. Aber ich bin weit davon entfernt hier Ratschläge zu geben.            

 

Thomas Holzmann