„Wenn Höcke und Gauland Angst haben ...“

Zur Sache

An der Erfurter Universität stellte sich das Kunstkollektiv „Zentrum für politische Schönheit“ der Debatte. Sie hatten u.a mit dem Nachbau des Holocaust-Mahnmals vor dem Haus von Björn Höcke für großes Aufsehen gesorgt.

 

Von Thilo Manemann

 

Die zwei Referentinnen lieferten mit ihren rußverschmierten Gesichtern ein etwas befremdliches Bild, das einigen bereits bekannt ist. Die Aufmachung ist ein Markenzeichen des Kunstkollektivs, das sich Zentrum für Politische Schönheit nennt. Sie soll ein Zeichen moralischer Makel menschlichen Daseins veranschaulichen.

 

Grund der Einladung war die politische Situation in Thüringen. Insbesondere das Erstarken der AfD und der rechtsextremen Szene in Thüringen veranlasste die Veranstalter*innen vorab einen Überblick über die aktuelle Situation zu geben. 

 

In Thüringen steht das Zentrum für Politische Schönheit durch eine Aktion besonders im Fokus. Der Nachbau des Holocaust-Mahnmals vor dem „braunen Haus“ des AfD-Politikers Björn Höcke in Bornhagen sorgte bundesweit für Schlagzeilen. Beim Start der Aktion berichteten die Aktivist*innen von zahlreichen Übergriffen durch Anhänger*innen Höckes und auch vom fehlenden Schutz der Polizei. Auch ein Hubschrauber kreiste über dem Ort – zum Schutz Höckes. Die Aktion war Antwort auf die „erinnerungspolitische Wende von 180 Grad“, die Höcke in einer Dresdener Rede forderte und in der er das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ bezeichnete.

 

Aufgrund dieser Aktion bezeichnete Höcke die Künstler*innen als „terroristische Vereinigung“. Kurz darauf leitete die Staatsanwaltschaft Gera ein Verfahren ein. Demnach sei das Zentrum für Politische Schönheit eine „kriminelle Vereinigung“. Sie steht somit auf einer Liste mit dem IS. Diese Ermittlungen wurden erst anderthalb Jahre später durch eine kleine Anfrage von Die LINKE bekannt. In diesem gesamten Zeitraum konnten alle erdenklichen Ermittlungsverfahren gegen die Aktivist*innen eingesetzt werden. Der ermittelnde Staatsanwalt, der nachweislich der AfD nahesteht, wurde inzwischen versetzt.

 

Viele Aktionen des Zentrums für Politische Schönheit lassen sich als Geschichtsverweise zu 1933 sehen. Jüngst erschien ein Artikel vom künstlerischen Leiter des Kollektivs, Philipp Ruch, in der taz, in dem er ein Zukunftsszenario für Deutschland durch das Erstarken der AfD entwirft. Das Ergebnis: bürgerkriegsähnliche Zustände und die Machtergreifung durch demokratische Legitimationsprozesse.

 

Dieser Vergleich ist Ausgangslage vieler Aktionen. Bei der Kunstaktion „1 aus 100“ diente das Kindertransportprogramm als Vorbild, das verfolgten Kindern aus Deutschland die Flucht nach Großbritannien ermöglichte. Die Neuaufmachung dieses Projektes sah vor, 55.000 Kinder aus Syrien nach Deutschland zu holen. Dafür hatte die Künstler*innengruppe sowohl Kinder in Syrien als auch Pflege-familien in Deutschland gesucht und gefunden. Der Druck auf das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaft-liche Aufgaben sollte so groß wie möglich sein. Nach einem Treffen im Bundeskanzleramt galt das Projekt allerdings als gescheitert und reihte sich in eine Reihe unterschiedlicher Kunstaktionen ein. 

 

Auf Nachfrage, was der Unterschied zu anderen antirassistischen Aktionsgruppen sei, verwies Thilda Rosenfeld vom Kollektiv auf die Kunst.

 

Aber was darf Kunst? Gegner*innen des Kollektivs halten ihm immer wieder vor, die Kunstfreiheit ungerechtfertigter Weise für sich zu nutzen. „Erträgt die Politik keine politische Kunst“, fragt Philipp Ruch in seinem Essay. Er ist der Meinung, dass die Kunst einen wirkungslosen Platz in abgeschlossenen Räumen eingenommen habe. Wer sich bequemt, könne sich im Theater kritisieren lassen. Wer sich nicht kritisieren lassen möchte, geht halt nicht ins Theater.

 

Rosenfeld macht auf diese Umstände aufmerksam. Die Aktionskunst sei am klassischen Theater orientiert, doch spiele sie sich außerhalb der Bühne ab. Sie bringe die Aufführung in das reale Lebensumfeld der Menschen. „Politische Kunst missbraucht die Kunstfreiheit nicht. Sie gebraucht sie“, schlussfolgert Ruch. 

 

Sie schaut den Politiker*innen auf die Finger und führt die Medienlandschaft vor. Sie spielt sich als Lehrer*in auf, die beiden Seiten ihre Aufgabe in Erinnerung ruft.

 

„Wir müssen lernen, über Politiker zu reden und nicht mit Politikern“, sagt Jule vom Zentrum für Politische Schönheit und macht deutlich: Politiker*innen sollen Politik machen. Medien sollen sie kontrollieren, nicht in Talkshows eine Bühne bieten. Wenn beide Gewalten versagen, sei die fünfte Gewalt gefragt: die Kunst. 

 

Über die Kunstaktionen lässt sich streiten. Wer Kindern wissentlich eine Zukunft in Deutschland in Aussicht stellt, obwohl die Wahrscheinlichkeit gegen null tendiert, hat Verantwortung. Es ist ein Leichtes, diese Verantwortung der Regierung zuzuspielen. Aber eine Hoffnung zu säen, entbindet nicht von der Verantwortung für den Misserfolg einzustehen. Die politische Kunst lässt keine scharfen Trennbilder zu. Sie polarisiert die Kunstszene genauso wie die Gesellschaft. Sie ist parteiisch und hat das Ziel einer utopischen Gesellschaft, die keine politische Kunst notwendig macht. 

 

Die Idee, die dem Zentrum für Politische Schönheit zugrunde liegt, ist der aggressive Humanismus. Ein „Humanismus, der nicht wegrennt, stehen bleibt, wenn’s brenzlig wird“, so Rosenfeld. Ziel sei das aktive Entgegentreten gegen menschenfeindliche Politik und Diskurse, in denen Hetze als Meinung gelte. 

 

Für den Massenmord im Mittelmeer brauche es keine Rechtsextremen. Rosenfeld warf ein Bild an die Wand, das eine Kühltruhe zeigte und einen kleinen Altar. In der Kühltruhe lagerten achtlos übereinander gestapelte Leichen ertrunkener Geflüchteter. Unter den Altar sickerte Blut. Sie veranschaulichte den Bergungsprozess und die Botschaft der Aktion „Die Toten kommen“. Wenn die Verantwortlichen europäischer Abschottungspolitik nicht zu den Leidtragenden kommen, kämen die Leidtragenden zu den Verantwortlichen. Die Aktion hat für erschreckende Bilder gesorgt als die Särge durch Berlin getragen wurden. Tausende haben sie begleitet, symbolische Gräber vor dem Reichstag ausgehoben. Diese Aktion machte auf einen weiteren Aspekt von Kunst aufmerksam, den das Zentrum für Politische Schönheit versucht für sich zu nutzen. Sie emotionalisiert und versucht Menschen aus ihrer Anteilslosigkeit heraus zu führen. Die Zivilgesellschaft soll zum Handeln aufgefordert werden.

 

Wem das nicht möglich ist, wird der Spiegel vorgehalten. Das Zentrum für Politische Schönheit stellt sich als mahnenden Finger dar, der aufrüttelt, kritisiert und polarisiert. Dass es allerdings nicht frei von Fehlern ist, scheint ihm nicht immer bewusst zu sein. Eine berechtigte Frage kam zum Schluss der Veranstaltung bei einer Zuhörerin auf: „Wenn ihr die Möglichkeiten habt, warum unterstützt ihr nicht die Menschen, die auch von Paragraph 129 betroffen sind aufgrund gleicher Motive?“

 

Ergibt sich aus der eigenen Situation eine Verantwortung für gleichermaßen Verfolgte? Man sei nur eine kleine Künstler*innengruppe sollte dabei keine Ausrede sein. Aber dass die inländische Entwicklung eine immer gravierendere Gefahrenlage darstellt, zeigen die Kunstaktionen. Es ist nicht nur ein Aufrütteln der Gesellschaft, wenn die Aktion „Honeypot“ die strukturellen Vernetzungen von Neonazis und rechtsextremen Akteur*innen offenlegt und an die zuständigen Behörden weiterleitet. Es ist ein Hilfeschrei, der im Tal verfassungsblinder Institutionen verhallt. Die politische Kunst zeigt Handlungsempfehlungen auf, macht auf Bedrohungen aufmerksam und verteidigt humanistische Werte. 

 

Aber noch traut sie der Politik Handeln zu, sonst wäre sie schon Politik geworden. Vielleicht ist sie dabei aber auch noch nicht konsequent genug.