Riesige Schlacht links gegen rechts

Zur Sache

Vor 25 Jahren wurde das Denkmal für den unbekannten Wehrmachtsdeserteur auf dem Erfurter Petersberg eingeweiht. Vorrausgegangen war eine heftige Kontroverse und der Ur-Prototyp späterer rot-rot-grüner Bündnisse. UNZ sprach mit dem Vater des Kunstwerks, Thomas Nicolai.

Hitzige Kontroversen

 

Das Denkmal für den unbekannten Wehrmachtsdeserteur auf dem Erfurter Petersberg ist ein wahrhaft besonderes Kunstwerk. Eigentlich sollte es am 8. Mai 1995, zum 50. Jahrestag der Befreiung, eröffnet werden. Doch die damalige „Stadtregierung“ um Oberbürgermeister Manfred Ruge (CDU) stellte sich quer. So wurde das Denkmal nach hitzigen Kontroversen erst zum Weltfriedenstag, am 1. September 1995 eingeweiht. Es war eines der ersten dieser Art und Vorbild für weitere Deserteursdenkmäler in Deutschland. In Erfurt gesellt sich unterhalb der Bastion Phillip noch die Friedenslinde dazu. Zum 75. Jahrestag der Befreiung traf UNZ den Erbauer Thomas Nicolai. 

Kaum ist Nicolai aus dem Auto gestiegen, streichelt er stolz jede der acht Stehlen, wie ein Vater, der seine Kinder lange nicht gesehen hat. Keine Wunder: Schließlich ist es „sein Baby“, sein erstes großes öffentliches Kunstwerk. Umso mehr ärgert ihn eine, zum Glück nur kleine, Schmiererei.

 

„Linke waren damals noch verpönt“

 

Immerhin: Von Nazis wurde weder das Denkmal noch Nicolai behelligt, anders als ein Namensvetter, den irgendwelche rechten Spinner unter Druck setzten, obwohl er nichts damit zu tun hatte. „Bestimmt zwei Jahre“, hat Nicolai in das Projekt gesteckt. Ende 1994 kam der Kulturverein „Mauern brechen“, der von vielen Linken unterstützt wurde mit der Idee. „Linke waren damals noch verpönt und hatten nichts zu sagen“, erinnert sich der Künstler. 

 

Ur-Prototyp späterer rot-rot-grüner Bündnisse.

 

Aber es gab schon einen gewissen Bodo Ramelow, damals noch Chef der Gewerkschaft HBV, der als „intellektueller Kopf, genug Format und Charakter hatte“, sagt Nicolai. Was folgte, war aus seiner Sicht „eine riesige Schlacht links gegen rechts“. „Alle konservativen Kräfte haben versucht, es zu verhindern, alle progressiven oder linken waren dafür.“ Am Ende setzte eine Mehrheit aus SPD, Grünen und der damaligen PDS im Stadtrat den Bau des Denkmals gegen Ruge, die Kunstkommission und andere Gegner durch – quasi als Ur-Prototyp späterer rot-rot-grüner Bündnisse. Eisenbahnergewerkschaft, Bahnwerk Erfurt, die Bauhütte Petersberg und viele viele andere, zum Teil auch sehr prominente Leute aus ganz Deutschland, unterstützten das Denkmal.  

 

„Danach war erst mal kein Leben als Künstler mehr möglich“

 

Dem Künstler selber hat es „den Boden unter den Füßen weggerissen: „Danach war erst mal kein Leben als Künstler mehr möglich. Keiner meiner damaligen Kunstsammler wagte sich nach dem Politskandal, meine Arbeiten zu kaufen  

 

Ein Blatt hat der „prinzipiell links eingestellte Künstler“ auch zu DDR-Zeiten nie vor den Mund genommen. Er flog bei der NVA raus, weil er als wachhabender Unteroffizier das Westfernsehen seiner Truppe gedeckt hatte und in den nachfolgenden Stasiverhören die Missstände und die Doppelmoral der Mächtigen anprangerte. Architektur konnte Nicolai deshalb erst nach der Wende studieren.

 

Auf dem Weg zu neuen Bündnissen?

 

Zwar gab es auch noch andere Künstler, die damals infrage kamen, aber als Typ war Nicolai definitiv die richtige Wahl. Viel mehr noch als er, hat auch der Petersberg eine eigene, sehr dunkle, Militärvergangenheit. „Von Wehrmachtsdesertion wollte damals keiner der zweiten Nachkriegsgeneration etwas wissen, geschweige denn darüber reden. Das galt selbst 50 Jahre nach dem Krieg noch als Nestbeschmutzung und Kameradenbetrug“. Heute wissen wir: Das auf dem Petersberg stationierte Kriegsgericht der Wehrmacht hat etwa 50 Todesurteile gegen Deserteure gefällt. Gerade wegen des Denkmals wird viel geforscht und der Umgang mit der Geschichte hat sich verändert. 

Nicht nur was die Nazi-Zeit angeht. Auch den Befehlsverweigerungen der Kieler Matrosen, die 1918 die Novemberrevolution und den Sturz des Kaiser auslösten, wird heute eher als Helden, denn als Verrätern gedacht. Gesellschaftliche Bündnisse scheinen breiter zu werden.  Zum Tag der Befreiung am 8. Mai gibt es das klassische Gedenken auf Friedhöfen oder an Denkmälern, aber auch Tanzdemos und Partys für das jüngere Publikum. In diesem Jahr die Aktion „Gold statt Braun“. Das Gold steht dabei als Symbol für eine bessere Zukunft. Die Goldfolie, die gut sichtbar an vielen Orten zum 8. Mai geflaggt wurde, soll aber auch an Rettungsdecken und damit an tägliches Sterben im Mittelmeer erinnern. 

 

Hartz IV wegen politischem Outing 

 

Es tut sich was. Auch dank des Denkmals? Kann Kunst doch die Welt verändern? „Nicht meine Stehlen, aber der Prozess hat etwas bewirkt. Viele Menschen denken heute anders über das Kriegsende. Damals war politische Kunst total verpönt und heute ist sie auch nicht gerade auf einem Höhepunkt“,  meint Nicolai und sieht sich selbst auf der Seite all jener, die mit ihrer Kunst etwas sagen wollen, aber ohne den erhobenen Zeigefinger. Problem: auch Kunst ist im Kapitalismus eine Ware. Vor dem Denkmal war Nicolai ein „stinknormaler Künstler, der Bilder verkauft hat“. Das war nach dem „politischen outen“ plötzlich nicht mehr möglich. „Dadurch habe ich gemerkt, ein Bild nach dem anderen produzieren, ist nicht mein Ding, weil man gar nicht mehr zum Nachdenken kommt“. So problematisch es wirtschaftlich war, es hat Nicloai, der zeitweise von Hartz IV leben musste, zu dem geführt, was er heute macht: Kunst von London bis Tokyo. 

 

Vom Künstler zum Whiskybrenner

 

Und vor allem baut er eine eigene Whiskybrennerei mit seinen Sohn im Erfurter Zughafen auf. Vision: Ein Whisky der nach Thüringen schmeckt und so heimisch wird wie ein Obstler von der Fahner Höhe. Nebenbei schreibt Nicolai neben Lyrik und Prosa auch konzeptionelle Texte, z.B. über ein Grundeinkommen für Kulturschaffende. Oder er macht sich Gedanken über ein moralisches Gütesiegel für überteuerte Kunstwerke ab 500.000 EUR ähnlich dem Fair-Trade-Siegel, eine Art Kultursoli, welcher all jenen Künstlern zugute kommen soll, die vom elitären Kunstmarkt ausgeschlossen sind. 7 Gerne hätte auch er bei der Aktion „Gold statt Braun“ mitgemacht, aber die Brennerei nimmt ihn gerade voll in Beschlag. Sein Projekt „Walk of Fame“ für Erfurt ruht deshalb. Schade eigentlich. Die Idee: Erfurter Künstler sollen einen Stern erhalten, ähnlich wie die Film-Sternchen in Hollywood. Ziel: Das Image der „Provinzstadt“ zu verbessern, damit die Kunst- und Kulturszene mit mehr Selbstvertrauen auftreten kann.                   

 

Thomas Holzmann