„Mein Sohn hat live miterlebt, wie einer seiner besten Kameraden bei einem Anschlag starb“

Zur Sache

Die Söhne einer Unternehmerin aus Bad Salzungen waren beide im Afghanistankrieg. Jetzt will sich die Mutter für den Frieden einsetzen. Motto: „Nicht nur reden, MACHEN!“

Bis jetzt haben 43 Soldaten der Bundeswehr den völkerrechtswidrigen und sinnlosen Krieg in Afghanistan mit dem Leben bezahlt. Sind  „gefallen“, so die uralte Wortschöpfung zur Verharmlosung des bestialischen Mordens im Krieg. Gemordet und gestorben wird in Afghanistan  keineswegs, um die Sicherheit Deutschlands am Hindukusch zu verteidigen, wie es der frühere Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) einst verkündete, sondern aus geostrategischen Interessen, denen vor allem wirtschaftliche Überlegungen zu Grunde liegen. Ex-Bundespräsident Horst Köhler hat es zu Beginn des Jahres richtig dargelegt. Die Toten der Besatzungstruppen werden gezählt und betrauert. Die Opfer der afghanischen Zivilbevölkerung zählt dagegen niemand. Ebenso wenig interessiert man sich für die vielen Soldaten, die zwar körperlich unversehrt aus dem Krieg heimkehren, aber tiefe seelische Wunden davon getragen haben, mit denen sie und ihre Familien zurechtkommen müssen.

Eine Mutter, deren Söhne beide als Offiziere in Afghanistan waren, klagt jetzt an und macht mobil gegen die Sinnlosigkeit des Krieges und alle die Lügen, die er mit sich bringt. Sie heißt Doris Grauert, ist selbständige Projektmanagerin und lebt in Bad Salzungen, wo in der Werratal-Kaserne Soldaten für Afghanistan trainiert werden. 

Als sich ihre Söhne Ende der neunziger Jahre entschieden, die Offizierslaufbahn einzuschlagen, lebte sie noch in Bad Frankenhausen. Der Kyffhäuserkreis war auch damals schon eine der ärmsten Regionen in Thüringen und entsprechend mangelte es an beruflichen Perspektiven – auch für Abiturienten. Deshalb war Doris Grauert einverstanden, als sich ihre Söhne für eine Offizierslaufbahn entschieden: sicherer Job, gutes Einkommen und ein komplett finanziertes Studium. Und damals war die Bundeswehr noch eine auf Verteidigung ausgerichtete Armee, die sich nicht mit Soldaten an völkerrechtswidrigen Kriegen beteiligte. Die Ursache für diese gewisse Naivität, der auch heute noch viele unterliegen, beginnt bereits in der Schule, meint Doris Grauert. „Wenn ein Kind in der Schule die Leistung nicht bringt, dann ist es heutzutage nichts wert und schafft vielleicht den Schulabschluss nicht. Dementsprechend schlecht sind dann die Chancen auf dem Arbeitsmarkt.“ Doris Grauert weiß, wovon sie spricht. Bis 1996 war sie selbst Lehrerin, ehe sie ihre Kündigung auf Althaus´ Schreibtisch legte – „Weil heute keine Werte mehr vermittelt werden.“ Zu schlechte Bildung und ökonomische Schwäche,  ist genau die Schnittstelle, in der die Bundeswehr gezielt Rekruten anwerben kann. 50 Prozent der deutschen Soldaten kommen aus dem Osten. Vorbild  USA: Dort werden gezielt junge Menschen aus einkommensschwachen und bildungsfernen Familien geworben und als Kanonenfutter verheizt. „Anstatt die Jugend richtig aufzuklären, was sie in Afghanistan erwartet, wird der Krieg als Friedenseinsatz verharmlost. Junge Menschen und eigentlich alle Bürger werden für dumm verkauft und über die wahren Gründe von Kriegseinsätzen belogen. Rohstoffe, Waffenlobby, Drogenhandel – über all das wird kaum gesprochen.“ Die selbstständige Projektmanagerin erinnert an den großen Philosophen Immanuel Kant: „Nichts ist schlimmer als die Dummheit der Menschen.“ Diese Dummheit – die von Politikern durch verfehlte Bildungspolitik selbst mit geschaffen wurde und wird – nutzt die Bundeswehr aus und lockt mit Geld. „Doch was nützen mir 10.000 Euro, wenn ich mein Leben verliere. Für Geld kann ich mir alles kaufen, aber nicht mein Leben. Die Waffenlobby und die Raubtierkapitalisten lassen ganz gezielt ihr Geld arbeiten und haben alle etwas davon.“  

Die Legende vom bewaffneten Entwicklungshelfer in Uniform glaubt heute kaum noch jemand, aber nur wenige wissen, wie sehr der Krieg die Menschen verändert. „Als Mutter habe ich miterlebt, wie es meinem jüngsten Sohn ergangen ist. Erstmal werden sie nach der Heimkehr für ein paar Wochen zurückgestellt, damit der große Hammer von den Familien fern gehalten wird. Unter dem Deckmantel des Datenschutzes sollen sie möglichst nichts vom Einsatz erzählen, außer natürlich die falsche Wahrheit, dass sie Deutschland beschützen und den Leuten in Afghanistan eigentlich nur helfen.“ Der traumatisierte Sohn der Unternehmerin ist dabei keineswegs ein Einzelfall. Langzeitdepressionen, große Probleme im Umgang mit anderen Menschen und bei der Anpassung an einen Arbeitsrhythmus im zivilen Leben sowie fortwährende, quälende Albträume sind typische Symptome von Afghanistanheimkehrern. „Mein Sohn hat live miterlebt, wie nur eine Woche nach der Ankunft in Afghanistan einer seine besten Kameraden bei einem Anschlag starb. Hätte er nicht seine heutige Lebensgefährtin kennengelernt, die dort im medizinischen Dienst gearbeitet hat, wäre die Verarbeitung dieser Erlebnisse noch schwieriger geworden als das ohnehin schon der Fall ist.“ Die Lebensgefährtin ihres Sohnes wollte eigentlich bei der Bundeswehr Medizin studieren, hoffte darauf, ihre Fachrichtung wählen zu können. Stattdessen war alles bis auf kleinste Detail vorgeschrieben. Nach dem zweiten Einsatz in Afghanistan hielt sie es nicht mehr aus. „Die vielen Verletzten, zerfetzte Arme und Beine und das viele Blut haben sie dazu gebracht, mit der Armee zu brechen. Trotzdem merkt Doris Grauert ihrer zukünftigen Schwiegertochter an, dass sie abgestumpft ist und nicht mehr jeden einfach so an sich heran lässt. „Sie ist ein völlig anderer Mensch geworden, obwohl sie keine Waffe getragen hat.“

Es gibt zwar sowohl vor Ort als auch in Deutschland eine psychologische Betreuung, der sich die Bundeswehr oft rühmt, aber das reicht nicht aus. Viele Soldaten, die schwer traumatisiert zurückkommen, gehen gar nicht zum Psychologen. Auch weil es immer noch ein Tabu ist, dass ein deutscher Soldat Schwäche zeigt. Diese Blöße wollen sich viele nicht geben, um von ihren Kameraden nicht als Weichei abgestempelt zu werden. Bei mancher Einheit scheint es gar einen Wettbewerb zu geben, wer am härtesten ist. Erinnert sei daran, dass sich Bundeswehrsoldaten vor einiger Zeit mit ausgegrabenen Totenschädeln ablichten ließen. Das kann Doris Grauert bestätigen. „Man hält sie für starke Jungs, die das alles locker verkraften können. Warum trauen sich denn so wenige, im Fernsehen aufzutreten und wenn, dann nur anonym? Uns wird suggeriert, dass sich intensiv um sie gekümmert wird. Tatsache aber ist, dass sich viele zurückziehen. Viele vereinsamen, Partnerschaften gehen kaputt, aber das hört man nicht gerne und deswegen werden auch keine entsprechenden Statistiken veröffentlicht, obwohl es bundeswehrintern mit Sicherheit welche gibt.“

Nicht nur das ärgert Doris Grauert. Als ehemalige Lehrerin kritisiert sie, dass für den Etat der Bundeswehr 31 Milliarden zur Verfügung stehen, für die Bildung aber nur elf Milliarden. „Das Schlimmste was es gibt, ist die Verdummung der Massen.“ Sie greift unter anderem den früheren Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) an, dessen Auftritt sie auf einer Trauerfeier in Bad Salzungen erleben musste. „Das war eigentlich gar keine Trauerfeier, sondern eine CDU-Wahlveranstaltung.“ Die Argumente die von ihm oder seinem Nachfolger zu Guttenberg vorgebracht werden, um den Einsatz zu begründen seien nichts weiter als scheinheilig. „Wenn wir dort Frieden schaffen wollen und eigentlich nur Polizisten und Lehrer ausbilden, warum braucht man dann zehntausende Soldaten vor Ort?“ Eine berechtigte Frage. Viele Hilfsorganisationen, die trotz aller Gefahren in Afghanistan engagiert sind, wollen mittlerweile gar nicht mehr von den NATO-Militärs geschützt werden, weil deren Anwesenheit die Gefahren von Anschlägen und Überfällen noch erhöht.

Neben den Lügen über die Kriegsgründe ärgert sich Doris Grauert auch über den angeblich demokratisch legitimierten Präsidenten Hamid Karzai, den Spötter ob seiner beschränkten Macht auch als Bürgermeister von Kabul bezeichnen. „Wir sollten uns nichts vor machen. Auch Karzai ist abhängig und im Grunde nichts weiter als eine Marionette des Westens. Und wehe, er spurt nicht, dann kommt ganz schnell der Nächste dran.“ Doris Grauert scheut sich nicht, diese unangenehmen Wahrheiten auszusprechen und ebenso wenig, die Auseinandersetzung mit den zuständigen Politikern zu suchen. So auch mit dem Eisenacher CDU-Bundestagsabgeordneten Christian Hirte. „Er ist ein junger Abgeordneter, der nie bei der Armee war und will uns nach einem Besuch in Kabul weismachen, wie wunderbar doch alles ist und mit welchem Enthusiasmus die Soldaten dabei sind. Es ist traurig, dass er sich von einer solchen Theater-Inszenierung beeindrucken lässt und nicht hinterfragt, was dort passiert. Von einem Bundestagsabgeordneten hätte ich mehr geistiges Niveau erwartet.“  

Die Mehrheit der Deutschen lehnt den Krieg in Afghanistan ab. Außer der LINKEN setzt sich aber keine Partei im Bundestag für den sofortigen Abzug ein. Was kann man tun? Doris Grauert will sich engagieren. Sie plant die Initiative „Mütter gegen den Krieg“ wieder zu beleben und arbeitet bereits an der Erstellung einer Internetseite zur bundesweiten Mobilisierung. „Nicht nur reden, MACHEN!“, das ist ihr Motto. Dem kann man sich nur anschließen. Es bleibt zu hoffen, dass sie Erfolg hat und der Druck auf die verantwortlichen Politiker in Berlin wächst, damit man nicht nur über den Abzug redet, sondern endlich greifbare Nähe rückt.                      


Thomas Holzmann