Die Mauer muss immer noch weg

Zur Sache

30 Jahre nach Ende der innerdeutschen Grenze gib es mehr Mauern als je zuvor. Von blühenden Landschaften und gleichen Lebensverhältnissen kann keine Rede sein.

Historisch bedeutsame Tage produzieren sich im Gehirn festsetzende Bilder. Für den 9. November 1989 sind es Menschen, die auf der Mauer tanzen und endlose Kolonnen von Trabis, die hupend gen Westen knattern. Im Bundestag wurde der bevorstehende Endsieg im „Kalten Krieg“ mit einem interfraktionellen Schmettern der Nationalhymne gefeiert. Weniger euphorisch fielen heutige Schlussfolgerungen aus. So bei der Veranstaltungsreihe  „30 '89: DDR-Geschichte und Gegenwart“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen. Am 8. November  diskutierten Bernd Löffler, Prof. Christa Luft und Prof. Frank Ettrich, moderiert von Katalin Hahn, über das Thema „Blühende Landschaften …“ 

 

Bernd Löffler, damals bei der Vereinigten Linken, erinnerte sich an  Bilder als Bananen in Trabbis geworfen wurden. Ihm wurde klar: Das war´s. Zuvor lag im „Herbst der Anarchie“ die Macht für einige Zeit auf der Straße. „Es hat sie nur niemand ergriffen“. Als aus der Parole „Wir sind das Volk“ „Wir sind ein Volk“ wurde, zog sich Löffler von den Demonstrationen zurück. Immerhin viele der damaligen Forderungen nach  Rechten und Freiheiten wurde verwirklicht. „Dass es irgendwann eine Situation gibt, diese Dinge wieder zu verteidigen, hätte ich damals nicht für möglich gehalten“, sagte Löffler auch mit Blick auf die Forderung, „die Mauer muss weg“. An der innerdeutschen Grenze seien es 17 Mauern und Zäune gewesen – heute sollen es um die 70 sein. Mexico, Westjordanland, Marokko oder Ungarn, die weltweite Liste tödlicher Grenzen wächst. 

 

Begriffe wie friedliche Revolution oder Wende hält Löffler für einen Mythos. Anders als die große Masse der begeistert nach D-Mark und Helmut krakeelenden, nahm er den kohlschen Auftritt auf dem Erfurter Domplatz (20.2.90) anders wahr. Löffler und einige Mitstreitende aus der Offenen Arbeit demonstrierten gegen Kohl und erfuhren eine pogromartige Stimmung. Eine bedrohliche Vorstufe zu dem, was aktuell über die frühen Neunziger gesagt wird: Baseballschlägerjahre.

 

Differenziert und kritisch, aber aus einem ganz anderen Blickwickel betrachtete die Wirtschaftsprofessorin Dr. Christa Luft die Ereignisse vor 30 Jahren. 

 

Sie arbeitete u.a. an Konzepten, die Mark der DDR konvertierbar zu machen. „Als die Grenze offen war, konnten wir alles in den Papierkorb werfen“, lautete ihr ernüchtertes Fazit über die ökonomischen Auswirkungen des 9. Novembers. Trotzdem ging sie kurz danach als Wirtschaftsministerin in der Regierung Modrow an Bord des sinkenden Schiffes DDR. „Sollten wir gleich die weiße Fahne hissen und uns ergeben?“ 

 

Das Wirtschafts-Reformprogramm, an dem sie arbeitete, sollte die großen Kombinate von Produkten entlasten, die nicht zu ihrem Kerngeschäft gehören. Gleichzeitig wurden die 1972 enteigneten kleineren Betriebe an die ursprünglichen Besitzer zurückgegeben. Hoffnung schöpfen, etwas in Gang setzen: Dann kam die D-Mark und mit ihr die galoppierende Deindustrialisierung Ostdeutschlands. „Was haben wir falsch gemacht, dass die Menschen für hartes Geld bereit sind, alles hinter sich zu lassen, was sie früher als gut befunden haben“, fragte sich Christa Luft damals. Der kolossale Irrtum, dem die meisten aufsaßen, war aus Lufts Sicht, dass die Menschen glaubten, sie können die sozialen Errungenschaften der DDR behalten und würden die D-Mark obendrauf bekommen. 

 

Von 1994 bis 1998 saß die Wirtschaftsexpertin für die PDS im Bundestag. Dort bekam sie direkt zu spüren wieviel ostdeutsche Expertise wert war. Als sie den Vorschlag machte, ein großes Bildungsprogramm zu finanzieren, in dem man einen kleinen Teil der Goldreserven verkauft (der Goldpreis war damals sehr hoch) schallte es höhnisch entgegen, sie wolle jetzt noch ein zweites Land an die Wand fahren.

Das große Ganze nahm schließlich Prof. Frank Ettrich in den Blick. Schon in der DDR an der Humboldt-Universität tätig, ist er als Professor mit ostdeutscher Biografie  so etwas wie der Thüringer Wolf unter den Soziologen. Ausgehend vom Untertitel der Veranstaltung „blühende Landschaften“ machte er wenig Hoffnung auf gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West. Im Gegenteil: Die Unterschiede seien, was die Transferökonomie betrifft, größer als im italienischen Nord-Süd-Gefälle „Mezzogiorno“. Solche krassen strukturellen Unterschiede ließen sich in vielen anderen Ländern finden. Sogar in den USA zwischen Nord- und Südstaaten  und das seit 200 Jahren. Wirtschaftsräume ließen sich nicht angleichen, egal wieviel Geld hineingepumpt würde, so der Soziologe von der Universität Erfurt. 

Insbesondere durch den Abzug sämtlicher Forschung und Entwicklung sei der Osten heute nichts anderes als eine „verlängerte Werkbank“, ohne grundsätzliche Unterschiede zu Bangladesh. Aber dafür gibt es wieder Luchse und Großtrappen, scherzte Ettrich. Entgegen landläufiger Vorstellungen, betonte der Experte für Strukturanalysen aber: „Die DDR ist nicht wirtschaftlich zusammen gebrochen“. Christa Luft vermutete sogar, dass Horst Köhler und Thilo Sarrazin, damals zuständig für die Wirtschafts- und Währungsunion „Angst vor einem dritten Weg“ hatten.  Gegen den setzten sie gezielt die D-Mark als Lockmittel ein. 

 

In der Forschung stehen ohnehin längst andere Themen auf der Agenda. Statt D-Mark und Bananen liegt der Fokus zwischen Diktaturerfahrungen und Kolonialismus. Den gibt es erstaunlicherweise vor allem bei den Jüngeren. Für Ettrich verblüffend, ist die aktuelle Zuspitzung dieser Debatten.  Die sind auch deshalb von hoher Aktualität, weil ähnliche Prozesse immer wieder ablaufen. Für die Menschen in Griechenland ist die Troika ähnlich wie für die im Osten die Treuhand. Statt sich über Kolonialismus zu zerfleischen, empfiehlt Ettrich, mehr Neues zu wagen – zum Beispiel im Bereich Ökologie und Soziales. So könnten jungen Menschen Perspektiven aufgezeigt werden, nicht nach Stuttgart oder Berlin zu gehen. Dabei geht es auch viel um Image. Bis nach Südamerika hat sich herumgesprochen, dass der Osten braun ist, berichtete Bernd Löffler. Ausländische Studierende werden täglich auf der Straße „böse angeguckt“. Alltagsrassismus, Gewalt und die Wahlerfolge sind für ein positives Image nicht hilfreich. Eine progressive Landesregierung, die sich wagt neues zu versuchen, statt nur zu verwalten, schon eher.                            

 

th