Die eine Angst geht, die andere bleibt
Warum Solidaritätsinitiativen zu Covid-19 nach der Pandemie zur Unterstützung rassistisch Betroffener erhalten bleiben sollten.
Von Thilo Manemann
Der gesellschaftliche Gang verlangsamt sich, kommt teilweise zum Erliegen. Zu wünschen wäre das auch den rassistischen Einstellungen. Doch diese erfahren zum Teil einen Geschwindigkeitszuwachs. Eine Corona-Infektionen in einer Unterkunft für Geflüchtete in Suhl stachelt den rassistischen Hass an und gibt ihm die Sporen. Hetze gegen Menschen, die als „asiatisch“ markiert werden, bricht sich Bahn.
108 rassistische Angriffe mit mindestens 155 Betroffenen in Thüringen – hohe Dunkelziffer vermutet
Auf diese brenzlige Situation machte ezra, die Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen, aufmerksam. 2019 hat die Beratungsstelle 108 Angriffe mit mindestens 155 Betroffenen für Thüringen verzeichnet. Theresa Lauß, Beraterin bei ezra, spricht dabei von einem hohen Niveau, bei dem nur die „Spitze des Eisberges abgebildet wird“ und vermutet eine hohe Dunkelziffer aufgrund „eines bestimmten Anzeigeverhaltens oder auch der rechten Ideologie, die sich tagtäglich in Thüringen zeigt“. Von den registrierten Straftaten, seien 55% rassistisch motiviert und 39% richten sich gegen politische Gegner*innen.
Fehlender Schutz für Betroffene
Dass die Dunkelziffer nicht ausgeleuchtet werden könne, liege an der mangelnden Vernetzung von Beratungsstellen und unzureichenden Informationen für Betroffene. Oftmals werde auf eine Anzeige verzichtet, weil kein Vertrauen gegenüber der Polizei besteht oder die Verfahren schwerwiegende Konsequenzen für die Betroffenen bedeuten. Deshalb fordert ezra einen „Zeugenschutz bei rechten Straftaten“. Dadurch bestehe für Angeklagte keine Möglichkeit über die Akteneinsicht auf die Adressen der Betroffenen Zugriff zu erhalten.
Mehr Mittel für Online-Angebote
Insbesondere in Zeiten des Corona-Virus und der Hasskriminalität im Internet sieht ezra die Notwendigkeit für mehr Mittel bei Online-Beratungen. Betroffene können dadurch leichter registriert und unterstützt werden. Auch brechen durch die Maßnahmen gegen die Pandemie unterstützende Strukturen für Betroffene weg, die durch Online-Angebote aufgefangen werden könnten. Frank Zobel, Projektkoordinator von ezra, weist darauf hin, dass in Zeiten der Pandemie die hohe Gefahr rechtsterroristischer Angriffe nicht in den Hintergrund geraten dürfe.
Solidaritätsinitiativen auch für Betroffene rassistischer Gewalt
Allerdings lässt sich aus der aktuellen Situation lernen: Alle Bürger*innen hätten die Möglichkeit, Betroffene finanziell zu unterstützen oder durch konkrete Nachfragen zum Unterstützungsbedarf Solidarität zu zeigen – wie Covid-19. Es bleibt zu wünschen, dass die solidarischen Nachbarschaftsinitiativen nach Abschwächen der Pandemie erhalten bleiben, um Unterstützung für Betroffene rassistischer Gewalt zu bieten. Nach Zobel benötige es eine „Kultur der Solidarität, die der verständlichen Angst vieler Betroffener und Sorgen in Zeiten von eskalierendem Rechtsterrorismus etwas entgegensetzt und ihnen Hoffnung gibt“.
Zwischen 2015 und 2019 hat ezra in Thüringen 713 rechtsmotivierte Angriffe mit fast 1100 Betroffenen gezählt. „Die Anzahl der tatsächlichen Angriffe aus rassistischen Motiven hat sich in dem Zeitraum zum Teil verdreifacht“, so Zobel.