Die autogerechte Stadt: ein fataler Irrweg

Erfurt ist eine autofreundliche Stadt. Straßenraum zulasten des Autoverkehrs umzuverteilen oder autofreie Wohngebiete sind immer noch kein Thema.

 

Von Falko Stolp, 

Verkehrsclub Deutschland (VCD), Ortsgruppe Erfurt 

 

Es war Wahlkampf in Thüringen. Im Land steht die Regierungsbildung noch bevor. Bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen kommt es darauf an, im Bereich Verkehr neue Ziele zu setzen. 

 

Eines der großen Themen ist unzureichende Anbindung ländlicher Räume an den öffentliche Verkehr. Wer dort mobil sein will, braucht das Auto. Das ist bemerkenswert in einem hochindustrialisierten Land. In den Städten stößt der motorisierte Individualverkehr (MIV) schon längst an seine Grenzen, nicht nur in Thüringen. Weltweit werden Konzepte verfolgt, das Wachsen der Städte vom Wachstum des MIV zu entkoppeln: verkehrsberuhigte und autofreie Zonen, Umverteilung der knappen Verkehrsfläche zugunsten der umweltverträglichen Verkehrsarten wie Bahn, Bus und Radverkehr. Viele europäische Städte haben damit schon Erfolg. Die nach dem Krieg verfolgte Entwicklung der „autogerechten Stadt“ hat sich als fataler Irrweg erwiesen.

 

Das Auto verkörpert Freiheit, die anderen genommen wird

 

Das Auto hat seit seiner Erfindung Infrastrukturen grundlegend verändert, in immer höherem Tempo. Vieles wird inzwischen deutlich beklagt: Neu- und Ausbau von Straßen und Autobahnen bei gleichzeitiger Stilllegung von Schienenwegen, damit weitere Verlagerung von Güterverkehr auf die Straße, der MIV wird in ländlichen Regionen unverzichtbar, das Zerschneiden der Landschaft mit Zersiedlung, neue und größere Shopping-  Center mit gleichzeitigem Verfall kleinteiliger Handelsstrukturen, die Dominanz in den Städten zu Lasten aller anderen Verkehrsteilnehmer und nicht zuletzt die katastrophalen Auswirkungen auf Gesundheit, Umwelt und Klima. Schließlich darf man nicht vergessen, dass das Auto als kulturelles Objekt Freiheit verkörpert. Freiheit, die anderen genommen wird, auch das gehört dazu.

 

Deutschland als „das Autoland“ hat hier eine besondere Rolle gespielt. Noch heute hört man von Wirtschaftsvertretern den Satz: wenn es der Automobilindustrie schlecht geht, geht es der deutschen Wirtschaft schlecht. Medien verbreiten da gern Erfolgsgeschichten, wie diese aus der TLZ vom 11.10.2019:

 

„BMW will den Absatz von Luxuswagen im kommenden Jahr gegenüber 2018 verdoppeln. Die Verkaufszahl in dem Segment, zu dem das größte SUV X7, der Elektro-Sportwagen i8 sowie BMW 7er und 8er gehören, solle auf 135.000 Einheiten pro Jahr steigen. Im Luxussegment sei die Marge überdurchschnittlich hoch. Das werde helfen, um in der Autosparte wieder acht bis zehn Prozent operative Rendite zu erwirtschaften. Hohe Investitionen in Elektroautos wie den Mini mit Stromantrieb nagen an der Rendite.“

 

Geht‘s noch deutlicher? Kaum, dafür gibt es immer mehr Widerspruch. So schrieb am 21.09.2019 Richard Winterstein auf www.heise.de:

„2010 überschritt die Anzahl an Autos auf der Erde die Milliardengrenze, heute sind es bereits 1,3 Milliarden, bis 2030 werden es bei gleichbleibender Steigerungsrate 1,6 Milliarden sein und 2050 könnte uns eine Verdoppelung der Autozahlen auf 2,6 Milliarden eine inakzeptable Verschärfung klimatischer, ökologischer, gesundheitlicher sowie Verkehrs- und Infrastrukturprobleme bescheren.“

 

30 Prozent SUV bei Neuzulassungen

 

Auch in Deutschland nimmt die Anzahl Pkw immer noch zu. Bei Neuzulassungen ist der Anteil der schweren, spritfressenden und breiteren SUVs auf 30 Prozent angewachsen. Verkehrswende, vor diesem Hintergrund? Eher das Gegenteil: immer weiter so!

So freut sich die Stadt Erfurt über den angewachsenen Zuzug, muss aber zur Kenntnis nehmen, dass dabei der Zuzug der mitgebrachten Autos überproportional steigt. Das zeigt, wie autofreundlich Erfurt noch immer ist, entgegen den Behauptungen der Stadtverwaltung. Neue Parkhäuser, Wohnungsbau nur mit Autostellplätzen, billige Parkgebühren für Anwohner – das macht die Stadt attraktiv für Neu-Erfurter! Straßenraum zulasten des Autoverkehrs umverteilen? In Erfurt noch kein Thema, ebenso wie autofreie Wohngebiete.

 

Pontevedra zeigt Alternativen auf 

 

Dazu ein nachahmenswertes Beispiel aus Europa: Wem gehört eigentlich die Stadt? Ein Bürgermeister greift durch!  Sein Name: Miguel Lores. Seine Stadt: Pontevedra in Spanien. Sein Projekt: Saubere Luft, zufriedene Fußgänger, zufriedene Händler. 

Schon vor 20 Jahren hat Miguel Lores den Wandel eingeleitet. Damals erstickte Pontevedra am Verkehr, Einkäufe wurden fast immer mit dem Auto erledigt. Die Fußgänger haben die Stadt zurückerobert, Autos gibt es nur noch wenige. Am Anfang protestierten 3.000 Händler gegen die Pläne des Bürgermeisters, manche zogen vor Gericht. Die Umsätze sind aber nicht gefallen, sondern gestiegen, die Kunden kommen nun zu Fuß oder mit dem Fahrrad.

 

„Mit dem Kauf eines Autos erwirbt man doch keinen Anspruch auf einen Parkplatz. Natürlich gab es Angst vor dem Wandel, aber dann sahen die meisten, wie es immer besser wurde, und wie auch der Handel profitierte“, so der Bürgermeister.

Der Durchfahrtsverkehr wurde gestoppt, auf den verbliebenen Verkehrsstraßen gilt Tempo 30, die Emissionen sind um fast 70 Prozent zurückgegangen. Außerdem hat Pontevedra in den letzten Jahren 12.000 neue Einwohner gewonnen, die sich von dem neuen Lebensgefühl angezogen fühlten.

 

Der VCD wünscht sich in den kommenden Monaten mehr Mut und Entscheidungskraft von den Parlamenten hinsichtlich einer zukunftsfähigen Mobilität und ist selbstverständlich zur Zusammenarbeit bereit.