Ausstieg aus Hartz IV?

Zur Sache

Der Soziologe und Grundeinkommensforscher Dr. Eric Schröder findet: Der SPD-Vorschlag

zum „Bürgergeld“ versprüht progressiven Glamour ist aber eigentlich nur Hartz IV light.

Die SPD hat ihr Wahlprogramm vorgestellt. Und der Wahlkampf beginnt mit einem sozialpolitischen Knall: Die SPD fordert ein Bürgergeld! Da war doch was. Im Jahr 2006, als die Grundeinkommensbewegung wegen der Hartz-Gesetze gerade wieder aufkeimte, stellten Dieter Althaus und Hermann Binkert ihr „Solidarisches Bürgergeld“ vor. 600 Euro für jeden und langfristig die Abschaffung des Sozialversicherungssystems, auch der Rentenversicherung. Ziel war die Schaffung von Arbeitsanreizen im Niedriglohnsektor und die radikale Senkung der paritätisch finanzierten Lohnnebenkosten. Ein feuchter Traum vieler Unternehmer. Da kommt die FDP ins Spiel, die seit 2005 ein Liberales Bürgergeld im Wahlprogramm hat. Da ist es aber kein Grundeinkommen mehr, sondern vielmehr eine Art Hartz-IV bei gleichzeitiger Abschaffung anderer staatlicher Sozialleistungen.

 

Kampf um Deutungshoheit zwischen Neoliberalen und Kapitalismuskritikern

 

Erleben wir also den sozialdemokratischen Ausstieg aus Hartz-IV und den Einstieg der Genossen in die bizarre Welt des Grundeinkommens, in der Neoliberale und Kapitalismuskritiker um die Deutungshoheit kämpfen? Ein genauerer Blick auf das SPD-Bürgergeld zeigt sofort, dass Letzteres nicht der Fall ist und der Begriff nur gewählt wurde, um progressiven Glamour und Aufmerksamkeit von der Grundeinkommensidee abzubekommen. Beim SPD-Bürgergeld handelt es sich eigentlich um Hartz-IV-Light: Längere Zahlung des Arbeitslosengeldes I, Förderung eines zweiten Arbeitsmarkts für Langzeitarbeitslose, Erhöhung des ALG-II-Regelsatzes, unkomplizierte Beantragung und verständliche Sprache sowie Beratung auf Augenhöhe. 

 

Fortschritt, aber weit von einer sanktionsfreien Grundsicherung entfernt

 

In einem entscheidenden Punkt bleibt das Wahlprogramm allerdings zu vage: „Sinnwidrige und unwürdige Sanktionen schaffen wir ab.“ Offen bleibt, welche Sanktionen in den Augen der SPD sinnhaft und mit der Würde vereinbar und somit zu erhalten sind. Zu vermuten bleibt, dass man sich dabei am wegweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom November 2019 orientiert, wonach der Regelsatz um maximal 30 Prozent gekürzt werden darf. Das wäre ein Fortschritt, bleibt aber hinter den Modellen einer sanktionsfreien Grundsicherung oder eines emanzipatorischen Grundeinkommens zurück.

 

Der schwarz-grüne Zug rollt

 

Warum eigentlich das Ganze? Erstens will sich die SPD durch eine stärker sozialdemokratisch orientierte Sozialpolitik von der CDU absetzen und zugleich Wählermilieus wiedergewinnen, die sie in den letzten 15 Jahren verloren hat. Das könnte angesichts des unsinnigen Grundsatzstreits über die Frage sanktionsfreie Grundsicherung oder Grundeinkommen in der Partei DIE LINKE (vgl. UNZ 3/21, Seite 8) vielleicht sogar gelingen. Zweitens ist das Bürgergeld ein Zugeständnis an den stärker werdenden linken Flügel um die beiden Parteivorsitzenden Walter-Borjans und Saskia Esken, die schon bei der Wahl des Kanzlerkandidaten Olaf Scholz zurückstecken mussten. Drittens kann man darin  einen Schritt der Abkehr von den Hartz-Gesetzen sehen, der notwendig für ein grün-rot-rotes Regierungsbündnis sein dürfte, das wahrscheinlich die einzige Chance auf eine Regierungsbeteiligung der SPD darstellt, denn: Der schwarz-grüne Zug rollt.    

 

Dr. Eric Schröder